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Wesseling - Otto-Wels-Platz

Straßennamen verkörpern bisweilen Mief und Provinz. Sind sie nach Personen benannt, klingen sie so weit weg wie Böhmische Dörfer. Wer hätte etwa gewusst, dass der Hans-Jaax-Platz nach Troisdorf einzusortieren ist, die Willi-Lindlar-Straße nach Hennef oder die Arnold-Janssen-Straße nach St. Augustin ? Im Umfeld des komplizierten und bürokratisch aufgeblähten Ideenfindungsprozess, Straßen nach Personen zu benennen, wirkt das absurd, wenn Entscheidungen über Straßennamen zum wahren Politikum werden, weil Gott und die Welt, also alle, die in Städten und Kommunen etwas zu sagen haben, mitreden wollen. So stapeln sich zurzeit Anträge, Straßen nach Helmut Schmidt umzubenennen.

Gedenkstein an Otto Wels

In Wesseling war der Ratsbeschluss klar, sogar parteienübergreifend. Ein Bürgermeister der CDU benannte einen Platz nach einem Abgeordneten der SPD. Solch eine Einigkeit unter den Parteien kennt man ansonsten selten, in diesem Fall, um den Symbolgehalt des früheren Reichstagsabgeordneten Otto Wels heraus zu stellen. Mit seinem Namen schmücken konnte sich der Platz vor dem Rheinforum, der den Charme alter Industriekultur bewahrt hat. Der rot angestrichene Kran, dessen Querträger sich über den Rhein hinaus schiebt, läßt die übermächtige Chemie vergessen. Ein Hotel, Radio Erft, die Veranstaltungshalle „Rheinforum“, die Familien- und Erziehungsberatungsstelle der Stadt Wesseling umgeben in ihren einstöckigen Bauten den Kran mit seinem freien Platz.

Es war im März 2013, als der damalige CDU-Bürgermeister Hans-Peter Haupt den Findling vor dem Rheinforum enthüllte. Die silbrige Metalltafel betont in fetter Schrift die zentralen Worte des Politikers Otto Wels: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ In Wuppertal, Alsdorf, St. Augustin, Brühl, Neuss, Leverkusen, Köln-Dellbrück, kurzum, in vielen Städten im Rheinland hat sich Otto Wels in Straßennamen verewigt, so dass es schon beinahe eine Bildungslücke ist, wenn man ihn nicht kennt.

Der 30. Januar 1933 markiert eine Zeitenwende zur Diktatur. Hitler wurde Reichskanzler. Einen Tag später löste er den Reichstag wieder auf und ordnete Neuwahlen an. Am 27. Februar 1933 brannte der Reichstag. Die Neuwahlen am 5. März gewannen die Nationalsozialisten mit 44%. In den letzten Atemzügen der Demokratie schlug die Stunde des Otto Wels. Die Kommunisten waren bereits kalt gestellt worden, weil sie zum einen verfolgt, verprügelt und inhaftiert wurden, zum anderen durften sie bei den Neuwahlen nicht mehr mitmachen. Am 23. März 1933 sollte das „Gesetz zur Behebung von Not in Volk und Reich“, besser bekannt als das „Ermächtigungsgesetz“, im Reichstag verabschiedet werden. Auch einige unliebsame SPD-Abgeordnete wurden im Vorfeld verfolgt, verprügelt, inhaftiert, so dass nur 94 von 120 Abgeordneten anwesend waren, um über das Ermächtigungsgesetz abzustimmen.

Otto-Wels-Platz, Blick über den Rhein (unten)

Otto Wels ließ sich bei der Debatte nicht einschüchtern, obschon SA- und SS-Leute mit ihren Drohgebärden die Atmosphäre aufheizten. Weiß bis in die Lippen, den Mund zusammengepresst, die stämmige Gestalt gestrafft, die Schultern hochgezogen, als müsse er ein Gewehrfeuer überwinden, so beschrieb ein Zeitzeuge Otto Wels, als er das Rednerpult betrat. Neben seinem markanten Satz „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ bewies er in seiner Rede Zivilcourage, Mut und Stehvermögen. Vehement vertrat er seine Meinung als SPD-Abgeordneter gegen Adolf Hitler: „Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewusstsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren ….. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“

Er trotze der untergehenden Demokratie wie ein Kapitän auf einem sinkenden Schiff. Mit der Abstimmung am 23. März 1933 wurde Adolf Hitler zum Alleinherrscher. Von den 538 Abgeordneten stimmten 444 mit „Ja“ und 94 mit „Nein“. Danach konnte Hitler Gesetze im Alleingang durchboxen, die Opposition war im Reichstag quasi abgeschafft, an der Reichsverfassung brauchte er sich nicht mehr zu stören.

Sich seiner prekären Lage bewusst, weil er seine persönliche und unbequeme Meinung als SPD-Abgeordneter geäußert hatte, emigrierte Otto Wels im Sommer 1933 nach Prag. 1938, nach der Besetzung des Sudetenlandes, war es ihm in Tschechien zu heiß, so dass er nach Paris auswanderte. Dort starb er im September 1939 im Alter von 66 Jahren und erlebte so gerade den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Rede von Otto Wels (Quelle: youtube)

Nachdem der Gedenkstein enthüllt war, mahnte der Bürgermeister von Wesseling, Hans-Peter Haupt, an die Zeit des Nationalsozialismus. Die Gefahren von Rechtsextremismus, aber auch Unwissenheit, Mitläufertum, unreflektiertes Übernehmen von anderen Meinungen, Ausländerfeindlichkeit können leider auch heute nicht verleugnet werden. „Weghören und Wegsehen haben der Weimarer Republik das Ende beschert. Zu wenig Demokraten stemmten sich gegen die drohende Katastrophe. Für uns muss das bedeuten, dass wir allen Feinden der Demokratie rechtzeitig und energisch entgegentreten. Für neofaschistische Umtriebe muss es in diesem Land Null Toleranz geben", das sagte Hans-Peter Haupt in seiner Rede. Eine zeitlose Botschaft. Von der Zivilcourage eines Otto Wels könnte jeder von uns etwas gebrauchen.

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