Pädagogische Akademie, Deutscher Bundestag, UN-Campus und die Bauhausarchitektur
Die Deutschlandflagge wehte so, wie die Nachkriegsgeschichte Bonn geprägt hatte. Zunächst wehte sie verhalten, dann pustete der Wind sie stramm durch, lange Zeit flatterte die Flagge im Wind, schließlich flaute der Wind so sehr ab, dass die Deutschlandflagge schlapp herunter hing. Die Deutschlandflagge vor dem ehemaligen Deutschen Bundestag, ein Sinnbild für die Hauptstadtfrage in der deutschen Nachkriegsgeschichte ?
Zaghafte Wolkenpakete hat der Himmel auf dem Platz der Vereinten Nationen beiseite geschoben. Der Flachbau des ehemaligen Deutschen Bundestages versucht, seinen Bedeutungsverlust einzudämmen. Die Tafel vor dem UN-Campus ist lang, welche UN-Institutionen seit mehr als zehn Jahren beheimatet sind. Alte große Namen sind nach Berlin abgewandert, neue große Namen der Vereinten Nationen sind gekommen: Klimaschutz und Weltgesundgesundheitsorganisation, Nachhaltigkeit und Biodiversität, Weltkulturerbe und Schutzabkommen für Fledermauspopulationen fühlen sich nun in den Gebäuden heimisch, die damals der Bundestag und der Bundesrat samt Plenarsaal ausgefüllt hatte. Seit 10 Jahren ist die Deutschlandflagge nicht mehr mit der Bundeshauptstadt verankert. Nun hängt sie schlaff herunter, während sich die Flagge der Vereinten Nationen aufbläht. 15 Jahre Pädagogische Akademie, 50 Jahre Bundestag, 15 Jahre UN-Campus. Die Nutzung hat sich geändert, und die Pädagogische Akademie, der Deutsche Bundestag und die UN-Institutionen sind in die stets gleich gebliebene, streng geometrische Hülle der Bauhausarchitektur, die sich bewußt auf minimale Formen reduziert, hinein geschlüpft. Diese Hülle, die sich modular aus Bauklötzen zusammen fügt, so wie kleine Kinder mit Bauklötzen spielen.
Die Nachkriegsjahre verliefen stürmisch, als Bonn und Frankfurt um den Hauptstadtsitz konkurrierten. Da unzerstört, spielte Bonn mit dem Museum König und der Pädagogischen Akademie Ende der 1940er Jahre seinen Standortvorteil gegenüber Frankfurt aus.
Flaggen
Noch war hier alles ländlich am Stadtrand von Bonn. Der Rhein plätscherte gemütlich vor sich her. Lastschiffe arbeiteten sich vorwärts. Schafherden grasten auf grünen Wiesen. In der Gärtnerei sprossen auf dem Tulpenfeld Blumen in den schönsten Farbtönen. Von Häusern weit und breit keine Spur – nur die Pädagogische Akademie blickte mit ihrem schneeweißen Baukörper über den Rhein in das Siebengebirge.
Die Geschichte des schneeweißen Baus der Pädagogischen Akademie reicht in die 1920er Jahre zurück. Nicht anders als in unserer Gegenwart, wurde an der Bildungspolitik herum gewerkelt. Diesmal waren die Volksschulen an der Reihe, die die Schüler aus nicht privilegierten Bevölkerungsschichten besuchten – das war neben Mittelschule und Gymnasium der Löwenanteil der Schüler. Die Bildungsministerium hatten die Preußen als Erbe aus dem Kaiserreich übernommen – daher „Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“. Theorie und Praxis sollten neu miteinander verzahnt werden. Vorlesungen in Pädagogik wurden in eine eigene Pädagogische Hochschule ausgelagert. Lehrer sollten nach diesen Lernkonzepten Bildner sein, die in unmittelbarer Berührung mit dem Volk geistiges Leben zu wecken und zu gestalten vermochten, so die Theorie. In Übungsschulen sollte die Praxis des Lehrens und Lernens erprobt werden. An die zwanzig Pädagogischen Akademien wurden im damaligen Deutschen Reich ab 1925 geplant und gebaut, so in Erfurt, Frankfurt, Hannover oder Dortmund. In der Planungsphase kam allerdings die Weltwirtschaftskrise und die desolate Wirtschaftssituation des Deutschen Reiches dazwischen.
Dem Preußischen Bildungsministerium war daher der neue Architekturstil der Bauhausarchitektur willkommen, der 1925 als neuer Architekturstil in der Bauhausschule in Dessau entstanden war und die industrielle Serienproduktion mit dem traditionellen Handwerk zu verbinden suchte. Ornamente oder Verzierungen wurden nur punktuell gesetzt. Da nach dem Baukastenprinzip gebaut wurde, waren die grundlegenden Bauelemente identisch. All dies half, Kosten zu sparen, so dass alle Pädagogischen Akademien im Stil der Bauhausarchitektur auch realisiert werden konnten.
Das Aus für die Bauhausarchitektur kam dann wie ein Paukenschlag, 1933, als die Nationalsozialisten einen protzigen und führer-orientierten Baustil bevorzugten. Die Bonner Pädagogische Hochschule wurde 1933 gerade fertiggestellt, als die Nationalsozialisten die pädagogischen Vorlesungen auf einheitliche, völkische, rassenideologische Inhalte abänderten.
frühere Pädagogische Akademien in Bonn (oben links), Hannover (oben rechts), Kiel (unten links),
Dortmund (unten rechts); Quelle Hannover, Kiel, Dortmund: Wikipedia
In der Nachkriegszeit war es mit Ruhe und ländlicher Beschaulichkeit schnell vorbei. Am 5. Juli 1948 trudelte spätabends die Anfrage ein, ob die Stadt Bonn nicht den vorbereitenden Verfassungskonvent unterbringen könnte. Das war der Parlamentarische Rat, dessen erste Sitzung am 1. September 1948 im Museum König tagte. Gleichzeitig wurden die Arbeitssitzungen in der Pädagogischen Akademie abgehalten. Natürlich bejahten die Stadtväter voller Begeisterung.
Spätestens mit der Entscheidung des Parlamentarischen Rates Am 10. Mai 1949, dass Bonn als neue, vorläufige Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland bestimmt wurde, wurde alles zu eng und zu klein. Auf Feldern und Wiesen, neben Sportplätzen, auf denen Fußballmannschaften gekickt hatten, setzte ein Bauboom zwischen dem Museum König und der Pädagogischen Akademie ein, ein Bauboom, der Regierungsgebäude wie aus dem Nichts hervor zauberte.
Eher nüchtern und sachlich, auf wenige Formen reduziert, so fügte sich die Bauhausarchitektur in den Status der Vorläufigkeit hinein, die die Präambel des Grundgesetzes betonte. Das Erscheinungsbild der neuen Regierungsbauten sollte nicht repräsentativ sein. Unter diesen Rahmenbedingungen erhielt der Düsseldorfer Architekt Hans Schwippert 1948 den Auftrag, den Umbau der Akademie zu einem dauerhaften Parlamentsgebäude zu planen. Schwippert fügte dem Akademiegebäude einen fünfgeschossigen Bau für den Bundesrat und einen dreigeschossigen Anbau für den Deutschen Bundestag an. Ein größerer kubischer Bau, dessen Neubau zwischenzeitlich geplant war, musste verworfen werden, um den Status Bonns als Provisorium zu wahren.
Der neue Plenarsaal, den Schwippert an die bisherige Turnhalle der Akademie anfügte, war sogar etwas größer als der des alten Reichstagsgebäudes in Berlin. Am 5. Mai 1949 feierten die Bonner das Richtfest. Wie der Zufall es wollte, wählten nur fünf Tage später die Mitglieder des Parlamentarischen Rates Bonn zum "vorläufigen Sitz der Bundesorgane". Die Bauhausarchitektur sollte nicht nur Kosten sparen, sondern auch Bescheidenheit und Zurückhaltung demonstrieren. Die Bauhausarchitektur sollte zudem ein Zeichen setzen gegen den Nationalsozialismus, der diesen Baustil verworfen hatte.
frühere Pädagogische Akademie (oben links/rechts, unten Mitte/links), Platz der Vereinten Nationen (oben Mitte), Abgeordnetenhaus aus dem Jahr 1953 (unten rechts)
Mit der Bauhausarchitektur wussten so manche Abgeordnete wenig anzufangen und störten sich vor allem an der Enge der Gebäude. So äußerte sich die Alterspräsidentin Marie-Elisabeth Lüders: "Wenn ich hier im Bundestagsrestaurant bin, so weiß ich niemals, ob ich mich in einem Aquarium befinde oder vielleicht im Wartesaal eines Zentralbahnhofs." Das Gebäude sei für den parlamentarischen Betrieb ungeeignet, so Lüders.
Es war sogar Konrad Adenauer selbst, der die Bauhausarchitektur verteufelte. Die monotone Fensterfront war ihm zu langweilig, die Glaswände zu licht. Am meisten regte ihn die bescheidene Innenausstattung auf. Die weißen Velourwandbehänge, die Fußböden aus Linoleum oder der weiße Wandanstrich missfielen ihm.
1953 entstand dann neben dem Plenarsaal ein neues Abgeordnetenhaus, welches die schwierige Raumsituation entspannte. Auf acht Stockwerken kopierte dieser Bau die Bauhausarchitektur der Pädagogischen Akademie.
Auf der schneeweißen Gebäudefront verlaufen gleichförmige Fensterreihen. Glaswände an den Seitenflügeln werfen das Spiel der Wolken zurück. Wenn man von gekippten Fenstern oder heruntergelassenen Rouleaus absieht, unterbricht nichts die Monotonie der Fensterreihen, deren geometrisch Rechtecke exakt ihre Linien ziehen.
Kongresszentrum (2015 fertiggestellt)
Seit 2000 ist der Hauptstadtsitz futsch, und während die politischen Schwergewichte in das ferne Berlin abgewandert sind, beherrscht eine elegante Mischung aus Ruhe und Geschäftigkeit den Platz der Vereinten Nationen. Der Rhein fließt lautlos dahin. Die Motoren der Containerschiffe wühlen in der schmalen Fahrrinne das Rheinwasser auf. Bei Rheinkilometer 653 hieven die Ruderer ihre Boote in den Rhein.
Es sind aber auch Skandale, Pleiten und Korruption, die den Platz der Vereinten Nationen geprägt haben. Das 15-stöckige Kongresszentrum des „World Conference Center Bonn“ verschlang Hunderte von Millionen, bis es im Juni 2015 fertig gestellt wurde. Zwischenzeitlich ging der Investor des Projektes Pleite und landete gemeinsam mit zwei Beratern im Gefängnis. Die Anklage gegen die damalige Oberbürgermeisterin wegen Untreue wurde eingestellt. Unsummen hängen im Raum. Die EU-Kommission hat noch zu entscheiden, ob die Stadt Bonn, die für das Projekt eine Bürgschaft abgegeben hat, 86 Millionen Euro an die Sparkasse Köln/Bonn zu zahlen hat.
Dieser Fall würde dem Platz der Vereinten Nationen einen sehr schalen Beigeschmack verleihen, wenn sich der Steuerzahler mit 86 Millionen Euro an den Gesamtbaukosten von 200 Millionen Euro beteiligen müsste. Einhundertacht Jahre vorher waren die Stadtplaner wesentlich schlauer. Am 17. August 1928 vereinbarte das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung mit der Stadt Bonn in der Entwurfsphase der Pädagogischen Akademie: „… die Höhe der Baukosten, an denen sich die Stadt zu beteiligen hat, wird auf 1,75 Millionen Reichsmark begrenzt.“
Diese Obergrenze wurde auch eingehalten – letztlich dank der sparsamen Formen der Bauhausarchitektur.