zwei Stolpersteine in Bonn-Bad Godesberg
Unbeachtet vom Autoverkehr, den eine Ampelschaltung in zähem Verkehrsfluss durch eine Baustelle zwingt, werden Schichten der Erinnerung aufgebohrt. Erinnerungen an die Schattenseiten der deutschen Vergangenheit auf der Rheinallee in Bonn-Bad Godesberg, wo die verspielten und schönen Stilelemente der Villen gar nicht hinein passen wollen in die Zeit des Nationalsozialismus: schwere Säulen, die Eingänge einrahmen und entfernt an römische Tempel erinnern, immer wieder Stuckarbeiten, an Fassaden, über den Fenstersimsen, über Eingängen, auf Giebeln, auf Balustraden, mit filigranen Stuckarbeiten als Zierelemente, zur Straße hin wuchtige, Raum ausfüllende Erker.
Die Rheinallee 35. Unter einer nüchternen und winterkahlen Baumreihe kramen zwei Messingplatten die dunkle Seite unserer Vergangenheit hervor. Der in Köln lebende Künstler Gunter Demnig hat die Stolpersteine ins Leben gerufen, von denen es mittlerweile 44.000 Exemplare gibt, außer in Deutschland in 16 weiteren Ländern, darunter Belgien, Ungarn, Norwegen, Russland.
zwei Stolpersteine auf der Rheinallee 35
Mehr als siebzig Jahre später geben die pflastersteingroßen Messingplatten den ermordeten Juden ihre Namen zurück. „Elli Daniel, Jahrgang 1894, deportiert 1942, Ghetto Zamosc, tot“ und „Ernst Daniel, Jahrgang 1901, verhaftet Buchenwald, ermordet 2.8.1938“, das dokumentiert die Gravur auf den Messingplatten. Ab 1911 hatte die jüdische Familie Daniel diese Doppelhaushälfte in der Rheinallee bewohnt. Nachdem die Eltern 1928 und 1930 starben, wohnten zwei der vier Geschwister, nämlich die Tochter Elli und der Sohn Ernst, mit Beinamen „Sally Ernst“, bis zum Jahr 1935 in diesem Haus, dessen Verzierungen an der Fassade etwas spärlicher ausfallen, wenn man diese mit den umliegenden stolzen Bürgerhäusern vergleicht.
Vor 1933 nennen die Quellen für Sally Ernst die Berufsbezeichnungen „Arbeiter“ und „Kaufmann“. 1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, zählte er zu den „Angehörigen der jüdischen Rasse“, die von der Bürgermeisterei Bad Godesberg Fürsorgeunterstützung erhielten. Das Jahr 1935 markierte einen Wendepunkt im Schicksal von Elli und Sally Ernst Daniel. 1935 verschärften die Nationalsozialisten den §175 des Strafgesetzbuches, der Homosexuelle betraf. Sie führten den Tatbestand der „schweren Unzucht“ ein, der fortan mit Zuchthaus von einem bis zu zehn Jahren bestraft wurde. So blieb es nicht aus, dass Sally Ernst Daniel als Homosexueller im August 1935 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. Die Presse schlachtete dieses Vergehen der „schweren Unzucht“ aus, zumal Sally Ernst Jude war. Die Lokalausgabe des Westdeutschen Beobachters für Bonn und Siegburg berichtete mit der Schlagzeile, indem diese seinen Namen im nachfolgenden Bericht nannte: „Schädlinge des Volkes – jüdischer Sittlichkeitsverbrecher und sein Genosse abgeurteilt.“
Haus auf der Rheinallee 35
Verzweifelt und auf sich alleine gestellt, dürfte diese Verhaftung für seine Schwester Elli ein traumatisches Erlebnis gewesen sein. Elli, die als „Stütze“, „Köchin“ oder „Hausgehilfin“, so die Berufsbezeichnungen, in der Hauswirtschaft ihr Geld verdiente, zog 1935 weg in den Wittelsbacher Ring zu einem befreundeten jüdischen Ehepaar. Danach, noch im Jahr 1935, verschlug sie es weiter weg aus dem Rheinland, nach Idar-Oberstein.
Dass das Haus in der Rheinallee 35 leer stand, daran sollte sich nichts ändern, als Sally Ernst aus der Haft entlassen wurde. 1936 zog er zu seiner Schwester Martha Oster in der Burgstraße 46.
1938 wurde Sally Ernst seine Homosexualität erneut zum Verhängnis, da sie der Rassenideologie der Nationalsozialisten zuwider lief. Die Nationalsozialisten, die auszusortieren suchten, was nicht deren Anforderungen an eine bestmögliche reine Rasse entsprach, hatten die Gruppe der Arbeitsunwilligen ins Visier genommen. Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ sollte all diejenigen „Arbeitsscheuen“ liquidieren, die zweimal einen ihnen angebotenen Arbeitsplatz nicht angenommen hatten. Heinrich Himmler erweitere diesen Personenkreis quasi willkürlich auf „Asoziale“ oder auch sogenannte „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“.
Da Sally Ernst seine Homosexualität nicht abstreifen konnte, fiel er unter diesen Kreis der „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“. In zwei Verhaftungswellen, eine im Frühjahr und eine im Sommer, sammelte 1938 die Polizei mehr als 10.000 „Arbeitsscheue“ oder „Asoziale“ ein. Der Vorwand für diese Aktion klang harmlos, nämlich die Beschaffung von arbeitsfähigem Personal sicher zu stellen. Tatsächlich wanderten aber Bettler, Landstreicher, Verbrecher, Schwerverbrecher direkt ins Konzentrationslager, darunter auch Sally Ernst Samuel. Seine Inhaftierung im Konzentrationslager Buchenwald überlebte er nur kurz. Am 2. August 1938 starb er an einer Lungenentzündung – so steht es in den Akten.
Grabstein auf dem Godesberger Burgfriedhof
Das Haus in der Rheinallee 35 stand bis zum März 1939 leer, als dieses an „reinrassige“ Deutsche verkauft wurde. Derweil suchte Elli Daniel verzweifelt, dem nationalsozialistischen Mob zu entkommen. Im Mai 1941 zog sie von Idar-Oberstein in ein jüdisches Altenheim nach Unna in Westfalen um. Am 28. April 1942 kam der Moment, dass Elli der von Heinrich Himmler propagierten Endlösung der Judenfrage zugeführt wurde. Im Altenheim von Unna wurde sie abgemeldet und nach Dortmund transportiert. Zusammen mit weiteren westfälischen Juden wurde Elli von Dortmund aus in das Ghetto Zamosc in Ostpolen deportiert. Dieses Ghetto wurde im Herbst 1942 aufgelöst und die Überlebenden wurden auf die Konzentrationslager Belzec und Sobibor in Ostpolen verteilt. Wo und wann genau Elli Daniel ermordet wurde, ist nicht geklärt.
Der Grabstein der jüdischen Familie Daniel auf dem Godesberger Burgfriedhof. Ein wenig Frieden hat die Familie auf dem jüdischen Teil des Friedhofs gefunden. Reihenweise finden sich Sterbedaten auf den Grabsteinen in den 1930er und 1940er Jahren. Aus diesen Jahreszahlen kriecht das Grauen hervor, welches die Verstorbenen erlebt haben und welches man als Unbeteiligter nur erahnen kann. Hier ruht der ermordete Homosexuelle Sally Ernst Daniel gemeinsam mit seiner Mutter Therese Daniel geborene Bach und seinem Vater Samuel Daniel.