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Hochkreuz

Wenige Häuser, das Straßenbahndepot der Stadtwerke, Betriebswohnungen, eine Tankstelle, eine botanische Lehr- und Versuchsanstalt, ein SPD-Verlag, eine Hofanlage, verwilderte Brachflächen, Ackerland und Kappesfelder: es klingt unglaublich, dass weite Flächen zwischen Bonn und Godesberg bis in die 1960er Jahre hinein landwirtschaftlich genutzt wurden. Eine urbane Stadtlandschaft, wie wir sie heute kennen, entstand erst spät. Weil Akzente in den sich dehnenden Freiflächen fehlten, nannten Einheimische dieses Gebiet auch „die Pampas zwischen Bonn und Godesberg“.

In dieser sich formenden Stadtlandschaft, in der ein wirkliches Zentrum fehlte, besann man sich auf ein altes Wegekreuz, das fortan den Werdegang dieses neuen Stadtteils prägen sollte. Ein nicht alltägliches Wegekreuz, welches den Stil sakraler Kleinkunst bei weitem überstieg. Erbaut von Menschen, zeugen Wegekreuze von Schicksalen und Dankbarkeit. Wege gabeln sich, kreuzen sich, zweigen in verschiedene Richtungen ab, sie sammeln an einem Punkt Zufallsmomente und Begegnungen. Wegekreuze haben somit ihre eigene Symbolik. Davon ist das Hochkreuz kein schlichtes, stinknormales Wegekreuz, sondern ein kunstvolles , im Stil der Gotik in die Höhe wachsendes Kreuz. Der Zeit der Gotik entsprechend, wurde es auf das 14. Jahrhundert datiert: „Bischof Walram, lies dat steynen Cruitz setzen tuschen Gudesberch ind Bunne …“, diese Einordnung um 1350 liefert die Koelhoff’sche Chronik aus dem Jahr 1499.

Stadtteileingangsschild mit einer Kreuzbaute im Hintergrund

Die Betriebswohnungen wurden abgerissen, das Regierungsviertel wuchs, Ministerien fanden in Neubauten Platz. Diesem Wachstumsprozess kam irgendwann das Hochkreuz in die Quere, als die Straßenbahnlinie von Bonn nach Godesberg gebaut wurde. Die Archäologen sind sich nicht sicher, ob die heutige Bundesstraße B9 in ihrem Trassenverlauf von Bonn nach Remagen aus der Römerzeit stammt. Fest steht jedenfalls, dass die Straße bereits im Mittelalter eine wichtige Wegeverbindung von Nord nach Süd war. Man folgte dort dem Verlauf des Rheins nach Remagen – oder in die andere Richtung. In Friesdorf siedelten an den Hängen des Kottenforstes die Franken, das belegen Gräberfelder aus dem 9. Jahrhundert, die man in der Nachkriegszeit fand. Der Weg von Friesdorf zum Rhein führte von West nach Ost, so dass sich am Hochkreuz Wege mit einer West-Ost- und Nord-Süd-Verbindung kreuzten. Wie so oft, wenn die Entstehung im Unklaren ist, ranken sich mehrere Mythen und Sagen um dieses gotische Wegekreuz. Eine Sage erzählt, dass zwei Ritter aus Friesdorf gegeneinander gekämpft haben sollen, von denen einer getötet wurde. Dem überlebenden Ritter soll der Kölner Erzbischof Walram die Buße auferlegt haben, dieses Kreuz zu errichten.

Mit den dreigeschossigen Trachytsäulen, giebelartigen Bekrönungen und den Spitzbogenblenden weist das Hochkreuz Stilelemente auf, wie man sie etwa bei gotischen Kirchenbauten vorfindet. Das Hochkreuz erhielt seine Gestalt, wie wir es heute sehen, nach den Restaurierungsarbeiten im Jahr 1859. Christus, Johannes der Täufer und zwei Engel stehen in den Bogennischen, die aufsetzenden Schrägkanten umrahmen zwei musizierende Engel und zwei Evangelisten. Zuvor war es stark verwittert, so dass die Beschädigungen einen großen Umfang angenommen hatten. Stücke waren aus der Säule heraus gebrochen, die Fialen und das Kreuz auf der Spitze fehlten ganz, die Köpfe der unteren Figuren waren abgerissen. Es war kein geringerer als der Kölner Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner, der die Wiederherstellung des Hochkreuzes in die Hand nahm und umsetzte.

Seitdem sich Regierungsbauten etabliert hatten, verkörperte das Wegekreuz aus der Zeit der Gotik so viel Symbolgehalt, dass die Stadtplaner seine Namensgebung auf ein neues Stadtviertel ausgedehten. Das Hochkreuz markierte fortan nicht nur den Punkt, wo sich die Wege von West nach Ost, von Nord nach Süd kreuzen, sondern 246 Hektar Fläche, welche die Autobahn A562, die Bundesstraße B9, die Kennedyallee und der Rhein einrahmten. Zum Rhein hin wuchs in den 1950er Jahren die amerikanische Siedlung, um mit ihren Alliierten Hochkommissaren den Besatzungsstatus der noch jungen Bundesrepublik zu festigen. Aus dem Boden gestampft, ist so etwas wie ein Zentrum oder Ortskern nicht wirklich auszumachen. Von der Rheinaue aus kommend, beeindruckt dieser künstliche Stadtteil mit reichlich Grün. Dichte Reihen von Platanen begleiten die wichtigen Hauptstraßen. Abseits findet man sich rasch in einem Wirrwarr von Seiten-, Stichstraßen und Sackgassen wieder. Zwischen Einfamilienhäusern, alleinstehend oder in einer Reihe, verliert der Ortsunkundige bisweilen die Orientierung. Auch der 1965 fertiggestellten Heilig-Kreuz-Kirche mit ihrer dreieckigen Stirnfront und dem frei stehenden Glockenturm fehlt es an Anziehungskraft, um einen Sammelpunkt oder einen richtigen Ortskern um sich zu scharen. Auf dem herunter gezogenen Kirchendach balancierend, schaut das Kreuz auf der Giebelspitze geradezu demütig herab, während auf der Stirnfront siebzehn verglaste Maueröffnungen dominieren.

Hochkreuz (oben links, Mitte rechts, unten links), Kreuzbaute (oben rechts),

Heilig-Kreuz-Kirche (Mitte links), Eingang zur früheren gärtnerischen Versuchsanstalt (unten rechts)

Zwischen Umrissen von Bungalows, einzel stehenden Einfamilienhäusern, versetzt stehenden Reihenhäusern und ein paar Mietkasernen zerfließt der Stadtteil Hochkreuz. Die Reste der einstigen Landwirtschaft sind kaum noch auszumachen, es gibt sie aber noch in einem kleinen Umfang am Gustav-Stresemann-Institut. 1917 wurde die gärtnerische Versuchsanstalt Friesdorf gegründet. Auf dem drei Hektar großen Gelände experimentierte man in der Pflanzenwelt. Es war ein sogenannter „Sichtungsgarten“, in die Veredelung von Pflanzen getestet wurde. Es wurden Sortimente gesichtet, Pflanzenarten miteinander gekreuzt, schädlingsresistente Pflanzen gefunden, Kriterien zur Auslese von Handelspflanzen entwickelt, neue Kultivierungsverfahren eingeführt. Ab 1931 wurde in einem eigenen Schulgarten ausgebildet, eine Meisterschule für Floristen und Gärtner von internationalem Ruf eröffnete.

Durch Rankgitter-Pavillons hindurch und an Informationstafeln vorbei, sind die Reste des Parks für den Besucher zugänglich. Ein breiter, gerader Weg führt zu einem zentralen Platz. Von dort aus kann man den Blick in den Gartenraum und in Richtung Rheinaue genießen oder sich den lehrreichen Garten sowohl über die Haupt- wie auch ein System intimer Wege erschließen. Sternenmagnolie, Urwelt-Mammutbaum, Immergrüne Eiche, Geweihbaum oder Losbaum prägen den Zyklus der Jahreszeiten. 1979 wurde der Garten in das Ausstellungskonzept der Bundesgartenschau eingebunden. 1986 zog die Lehr- und Versuchsanstalt Friesdorf nach Auweiler an der Peripherie von Köln um. Im ehemaligen Haupthaus ist heute ein Teil des Gustav-Stresemann-Institutes untergebracht. Zu großen Teilen wurden die Flächen der Versuchsanstalt bebaut, nachdem die Bundesrepublik den Grund und Boden gekauft hatte.

Der Bund ließ sich durch die Symbolik des Hochkreuzes inspirieren. Wo vorher das Grün der Botanik spross, ragen nun neu gebaute Ministerien in die Höhe, welche nach dem Bonn-Berlin-Gesetz bis heute die Ressorts Bildung und Forschung, Verkehr und digitale Infrastruktur, Finanzen sowie Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit beheimaten. Fünfzehn Stockwerke, Treppenhäuser, die an den Seiten in der Luft zu schweben scheinen, vier langgezogene Gebäudeteile, die zusammen ein Kreuz bilden: auf eine ungewohnte Art sind die beiden Kreuzbauten, die das Ministerium für Bildung und Forschung beherbergen, zum Sinnbild eines modernen Architekturstils geworden.

Die Straßenecke der Max-Löbner-Straße, die nach dem Gründer der gärtnerischen Versuchsanstalt Friesdorf benannt ist, führt an den beiden Kreuzbauten zurück zu demjenigen Standort, wo der Bau der Straßenbahn dem Hochkreuz in die Quere kam. Das war im Jahr 1956, als das Hochkreuz abgetragen wurde und eine Straßenbahnhaltestelle weiter, die heute Hochkreuz/Deutsches Museum heißt, wieder aufgebaut wurde. Doch der Zahn der Zeit nagte weiter an dem gotischen Wegekreuz. Der Autoverkehr nahm weiter zu, LKW’s und Straßenbahn erschütterten die Bausubstanz, Abgase zerfrassen die Oberfläche, so dass sich Teile erneut lockerten und herab zu fallen drohten.

Hochkreuz vor dem Rheinischen Landesmuseum; Quelle Wikipedia

So entschlossen sich die Verantwortlichen der Stadt, das Hochkreuz erneut abzubauen. Die Prozedur aus dem Jahr 1956 wiederholte sich im Jahr 1977. Abbau, Restaurierung, Wiederaufbau. Man entschied, das Hochkreuz an einem Standort weit weg von großen Ausfallstraßen und vom Autoverkehr wieder aufzubauen. Bis zum Oktober 1981 sollte es dauern, dass das Hochkreuz eine neue Bleibe vor dem Eingang des Rheinischen Landesmuseums gefunden hat.

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