58. Geburtstag
Einst war es ein Tag, dem ich entgegen fieberte, Tage und Wochen plante und organisierte ich die Dinge. Wen alles zu meinem Geburtstag einladen ? Wie viele Gäste würden kommen ? Was war alles vorzubereiten ? Unser Garten war dann der Ort der Feier. Tische und Stühle mussten stehen, reichlich Salate waren zuzubereiten, der Grill musste zum richtigen Zeitpunkt die richtige Hitze entwickeln, damit Fleisch und Würstchen den Gästen schmeckten. Nicht fehlen durfte natürlich das Kölsch aus einem Fass, denn gerade mit meinen Geburtstagsgästen stieß ich gerne mit einem frisch gezapften Kölsch an, obschon ich ansonsten den Geschmack von Weizenbier oder einem herben Pils bevorzuge.
Zu meinem 58. Geburtstag spürte ich, dass ich in die Jahre gekommen war, denn ich scheute all diesen Aufwand von Planung, Organisation und Arbeitsleistung, die für die Herrichtung der Feier zu erbringen war. Die Pizzeria „L’Osteria“ in Bonn-Oberkassel hatte ich ins Visier genommen, direkt am Rhein gelegen, ein durch schattige Bäume verdeckter Rheinblick. An einem lauen Sommerabend draußen sitzen, mit Freunden plaudern, alte Zeiten aufleben lassen, die Abendstimmung genießen, den Rhein vorbei plätschern lassen, einen leckeren Rotwein oder ein kühles Bier genießen, so hatte ich mir meinen Geburtstag vorgestellt. Doch aus dem lauen Sommerabend wurde nichts, das kühle und nasse Wetter sollte uns von der Außengastronomie vertreiben.
Geburtstagskarte von unserer Tochter
Geburtstage sind eine Art von Momentaufnahme oder Bestandsaufnahme. Die Zeiten sind allgemein schwieriger geworden, bestehende Kontakte zu pflegen, mit zunehmenden Gebrechlichkeiten und zunehmendem Betreuungsaufwand für Eltern, Schwiegervater und Schwager, der im Behindertenwohnheim wohnt. Darum muss sich meine Frau kümmern, und alleine die Anzahl der Arzttermine, zu denen sie die beiden durch die Gegend fährt, sind ein wahrer Zeitfresser.
So schaue ich bei der Momentaufnahme meines Geburtstags gleichermaßen zurück und nach vorne. Wie gestaltet sich der Freundeskreis ? Welches sind die langjährigen Weggefährten ? Wie sieht das eigene Beziehungsgeflecht aus ? Wohin geht es perspektivisch weiter ? Ich kann nicht leugnen, dass ein Geburtstag bereits nach Tagesbeginn ein besonderer Tag ist. Weltweit vernetzt, spielt sich naturgemäß auch der Geburtstag im Netz und in den sozialen Medien ab. Während früher meist telefonisch oder persönlich gratuliert wurde, ist es heute vor allem Facebook, wo von den 141 Freunden so mancher seine Glückwünsche an die Chronik gepostet hat, dazu haben sich einige Gratulanten per SMS oder E-Mail gemeldet.
Hinzu kamen am frühen Morgen erste Telefonanrufe, nach dem Einkaufen dann ein Stelldichein vor unserem Haus. Wie der Zufall es will, haben zwei Nachbarn genau einem Tag vor meinem Geburtstag ihren Geburtstag. Der eine Nachbar, der mit seinem weißen Audi vorbei fuhr, hielt an, kurbelte seine Scheibe herunter und wir gratulierten uns gegenseitig. Kurz darauf, schritt dann der andere Nachbar aus seiner Haustüre heraus, so dass wir uns zu dritt allesamt gratulierten. So spontan, wie unsere Gratulations-Aktion entstanden war, lösten sich die fröhliche, sich gegenseitig beglückwünschende Gesellschaft wieder auf, weil wir gerade eilige Dinge zu erledigen hatten.
Nachdem der Briefträger um die Mittagszeit die Post in unseren Briefkasten geworfen hatte, freute ich mich über die Geburtstagskarte unserer großen Tochter, die ich aus dem Briefkasten gefischt hatte. Eis und Sand und Strand waren auf der Postkarte zu sehen, und über SMS meinte unsere Tochter, dass die Karte nicht ganz zum verregneten Wetter passen würde. Sie gefiel mir trotzdem.
Gegen 17.15 Uhr machten wir uns auf den Weg nach Bonn-Oberkassel. Von den dreizehn Gästen, die ich eingeladen hatte, musste eine absagen, und das aus einem knallharten traurigen Anlass: ihre 50-jährige behinderte Schwester war gestorben.
eine halbe Pizza Tonno
Es muss nicht gleich der Tod eines nahen Angehörigen sein, auch aus anderen Gründen sind die Zeiten beschwerlicher geworden. Unser Betreuungsaufwand steigt, weil sich meine Frau um den zunehmend gebrechlichen Schwiegervater kümmern muss, hinzu kommt der Schwager, der im Behindertenwohnheim wohnt. Hilfsmittel wie Rollator oder Gehstock können unterstützen, um die Gebrechlichkeit zu überwinden. Dennoch wurde der Fußweg vom Parkhaus zur Pizzeria für meinen 81-jährigen Schwiegervater zur lang währenden Prozedur. Die Probe war hart, die vielleicht einhundert Meter lange Rheinpromenade mit dem Rollator bewältigen zu müssen. Auf der Wegstrecke war eine lange Reihe von Treppenstufen besonders kritisch, wo wir den Rollator hinunter tragen mussten.
Den Traum von einem lauen Sommerabend und einer Abendstimmung über dem Rheinufer mussten wir spätestens an der Pizzeria begraben. Der Regen tröpfelte weiterhin, so dass wir einen Platz in der hintersten Ecke der Pizzeria zugewiesen bekamen, der nicht schlecht war, weil der Geräuschpegel gedämpft war. Nach und nach trudelten meine Freunde ein, die sich gegenseitig im wesentlichen durch eine gemeinsame Freundin kennen gelernt hatten. Sie selbst hatte sich nun aber merkwürdigerweise ins Abseits manövriert.
Freunde kommen und gehen, und oft ist der Aufwand unverhältnismäßig, alte Kontakte aufrechterhalten zu wollen. So verliert man sich aus den Augen – zum Beispiel habe ich keinerlei Kontakte mehr zu alten Klassenkameraden. Das ist ein natürlicher Prozess, dass auf der einen Seite Kontakte wegfallen und auf der anderen Seite neu dazu kommen. Dafür halten mir aber manche Weggefährten Jahrzehnte und länger die Stange. Neu in dieser Runde war unser Nachbar, der in den letzten Jahres stets wegen anderer Termine verhindert war.
So fand sich eine munterer Kreis zusammen, in dessen Runde ich gelegentlich den Platz wechselte, um mit vielen reden zu können. Natürlich gab es auch Geschenke. Allgemein kannte man meine Neigungen, dass ich einem leckeren Tropfen Wein nie abgeneigt bin und dass Gutscheine – ob fürs Fahrrad oder zum Lesen – stets willkommen sind. Mit alledem wurde ich dann überreich beschenkt.
Meine Geburtstagsgäste hatte ich gewarnt, dass die Pizzen in der L’Osteria übergroß sind. Manchen war dies bekannt, so dass sich zwei eine Pizza teilten, andere beherzigten dies, indem sie die kleineren Portionen Pasta und keine Pizza aßen. Wieder anderen war die Pizzagröße genau Recht, weil sie einen Bärenhunger hatten.
Pizzeria L'Osteria in Bonn-Oberkassel
Hinweisschild (oben links), Wanddekoration (oben rechts),
Küche (unten links), Außengastronomie (unten rechts)
Aus meinen Gesprächen nahm ich einige Erkenntnisse mit. In meinem Alter, wenn man auf die Sechzig marschiert, kann die Gesundheit zu einem zerbrechlichen Gut werden. Den Bruder unserer Freundin hatte ich früher über Radtouren kennen gelernt. Noch Ende der 2000er Jahre hatte er auf seinen Touren locker 200 Kilometer am Tag herunter gespult. 54 jährig, leidet er nun an Arthrose. Sieben kleinere Operationen, darunter an Hüfte, Wirbelsäule und Knie, musste er über sich ergehen lassen. An Bewegung oder gar Fahrradfahren ist nicht mehr zu denken. Nun kann er wieder Treppen steigen, was ihm davor die Schmerzen verwehrt hatten.
Je mehr man auf die Sechzig schreitet, um so mehr scheint Altersteilzeit ein wichtiges Thema zu sein. Unser Nachbar, der vorgestern das magische 60. Lebensjahr erreicht hatte, wird Ende des Jahres seine aktive Phase der Altersteilzeit beenden. Für ihn bedeute dies ein Stück Lebensqualität, Freizeit anstatt Arbeit. Die Gesundheit setze die Rahmenbedingungen, und wenn man es sich leisten könne, solle man den Ruhestand für allerlei Unternehmungen nutzen, wofür während des Berufslebens die Zeit gefehlt hätte. Ein Freund griff das Thema Vorruhestand direkt auf. Er arbeitet in einer Kölner Maschinenbaufirma, und diese Firma müsse Personal abbauen, so dass das Management breitflächig das Thema Altersteilzeit in die Diskussion gebracht hat. Ihm fehlten allerdings Informationen über Abläufe und Modalitäten, die er sich nun über unseren Nachbarn beschaffte.
Positives wussten Freunde zu erzählen, die sich in den letzten Jahren keinen Urlaub mehr leisten konnten. In diesem Jahr ist es wieder so weit, so dass ich aufhorchte. Jetzt im Juli sind es zunächst zehn Tage Kuba – Mutter und Sohn – und dann vierzehn Tage Rügen – Ehemann und Ehefrau. Kuba als Urlaubsziel – das hielt ich für einen Knaller. Dabei dachte ich an Traudes Blog http://www.rostrose.blogspot.de mit ihrem Reisebericht, in dem sie quer über die Insel Kuba bereist hatte. Die Fotos auf ihrem Blog beeindrucken. Mich begeisterte vor allem die Altstadt von Havanna mit ihren stolz heraus geputzten Fassaden im spanischen Kolonialstil. Für die Urlaubsfreuden hieß es vor allem für unsere Freunde: Spanisch büffeln. Dazu studierten beide fleißig ein Lehrbuch und ein Wörterbuch, dass sie sich angeschafft hatten.
Aus unserem Kreis verabschiedet haben sich zwei Freunde, die sehr lange Zeit gemeinsame Weggefährten waren, sie seit 1982, und er seit 1995. Letztlich haben sich meine Ehefrau und ich über sie, das war im Jahr 1987, kennen gelernt. Mit ihren gemeinsamen Unternehmungen entstand dann dieses Netzwerk von Freunden, von denen viele heute zu meinen Geburtstagsgästen gehören.
e-Mail unserer Freundin
Die beiden Freunde brechen nun all ihre Kontakte ab und wagen einen Neubeginn. Sie wandern aber nicht aus, wie man es vermuten könnte, sondern begeben sich in die höhere Sphären von Religion und Spiritualität. Jeder Mensch ist ja über eine Religion mit den letzten Dingen verflochten, mit den Ursprüngen allen Daseins, mit dem Leben an für sich und wie es nach dem Tod weiter geht, und die beiden scheinen sich nun intensiv diesen Dingen zu widmen. Abgesehen von wenigen e-Mails herrscht mittlerweile Funkstille. Einladungen zum Geburtstag oder zu anderen Aktivitäten haben die beiden jedes Mal mit der Begründung abgelehnt, dass die beiden an Gebetskreisen teilnehmen, in Klöstern sind oder zu anderweitigen kirchlichen Zusammenkünften. Das befremdet, ich muss es aber so akzeptieren. Ob solch eine radikale Abkehr von dem alten Freundeskreis und solche eine Isolation in eine Glaubensgemeinschaft der richtige Lebensweg sind, das wage ich allerdings zu bezweifeln.
Die fröhliche Geburtstagsgemeinschaft in der Pizzeria hat dies nicht beeinträchtigt. Freunde kommen und gehen. Alle waren glücklich, alle waren zufrieden, allen hat es lecker geschmeckt.