Tagebuch Dezember 2019
1. Dezember 2019
Der Sonntag schritt voran, wir hatten zu Mittag gegessen, und um den Tag nicht nur in den eigenen vier Wänden zu verbringen, beschlossen wir, den Bonner Weihnachtsmarkt zu besuchen. So fuhren wir los mit Schwager und Tochter. Zu viert war der Start auf dem Münsterplatz etwas holprig, da es voll war. Das Gedrängele war groß und die Warteschlange war lang, um in den Käthe-Wohlfahrt-Laden zu kommen. Dasselbe Gedrängele setzte sich fort, als ich nach einem Plan gefragt wurde. Diesen Plan, den ich in Form eines spontanen Bummelns und Schauens entworfen hatte, versperrte dann dieses Gedrängele, weil bei unserem Weg quer über den Münsterplatz die Sicht auf die Stände des Weihnachtsmarktes versperrt war. Die Absicht zum Bummeln wich einer Nervosität. Vertane Zeit, das dachten wir, denn die zu Hauf vorhandene Arbeit blieb zu Hause liegen. Obschon sich das Gedrängele an den Ständen im Abschnitt der Fußgängerzone vor Karstadt lichtete, gestaltete sich unser Bummel nicht einfacher. Der Schwager war auf Glühweintrinken und Krakauer fixiert. Gegenüber von Karstadt gab es einen Glühweinstand, er wollte aber nicht im Stehen seinen Glühwein trinken, sondern sich hinsetzen. Das erschwerte unseren nicht vorhandenen Plan, auf welchen Wegen wir wohin bummeln wollten, erheblich. So bummelten wir vorbei an Freßständen, wovon ein Stand, der frittierte Kartoffelscheiben anbot, besonders lecker aussah. Der Bottlerplatz gegenüber C&A sah dann mit seinem Menschengedrängele nicht ganz so katastrophal aus. Einige Handwerksstände waren umringt von Besuchern, aber an vielen anderen Ständen war die Sicht frei. An dem Stand mit Pralinen überlegte unsere Tochter sehr lange, sie schaute, war interessiert, wollte sich von mir beraten lassen, sie war unschlüssig, bis sie dann doch keine Pralinen wollte. Moment für Moment, hatte sich unsere Grundstimmung sich ins Positive verwandelt. Einmal umkurvten wir die Handwerksstände auf dem Bottlerplatz, dann wurstelten wir uns durch den dichteren Menschenstrom zum Friedensplatz hindurch. Dort erweckte ein Stand mit unterschiedlichsten Aufschriften von Vornamen und einem einheitlichen Katzenmotiv, die auf Tassen hinein graviert waren, unsere Aufmerksamkeit. Wir kauften keine Tasse, aber mit einem Schlag löste sich das Problem des Glühweintrinkens. An dem Glühweinstand auf dem Friedensplatz sah der Schwager es nicht mehr als erforderlich an, den Glühwein im Sitzen zu trinken, sondern er begnügte sich mit einem Stehplatz. Derweil trank ich einen Kaffee, während Tochter und Ehefrau nichts tranken. Anstatt dessen aßen sie ein paar Stände weiter eine Bratwurst. Am anderen Ende des Friedensplatzes gab es an einer Imbissbude Krakauer zu essen, und so konnten wir die Wünsche des Schwagers – Glühwein und Krakauer – vollends zufriedenstellen. Was hektisch begonnen hatte, war längst in Harmonie übergegangen. Noch einmal bummelten wir an den zum Münster zugewandten Ständen des Weihnachtsmarktes vorbei, dabei musste ich einen Abstecher in die Seitengasse zur Commerzbank machen, da Ebbe in meiner Geldbörse herrschte. Der Gang zum Geldautomaten war kurz, und danach konnte ich meinen Hunger stillen, da ich noch nichts gegessen hatte. Ich aß abseits des Weihnachtsmarktes, bei Pomm Fritz, wo man Fritten essen konnte, die so ungefähr aus frischen Kartoffeln gemacht waren wie in den Niederlanden. Dort ließ ich es mir schmecken – und der Rest der Familie stibitzte sich so manche Fritte von den beiden großen Portionen mit Mayonnaise und mit Ketchup.
2. Dezember 2019
Mit dem Überschreiten der Ü60-Altersgrenze rücken die Einschläge näher. Einschläge, die es im zwischenmenschlichen Umfeld sicherlich auch vor dieser Altersgrenze gegeben hat, aber man nimmt sie deutlicher wahr. Neuestes Beispiel ist ein Facebook-Freund, mit dem ich mich einmal im Jahr getroffen habe, eher häufiger als seltener als dieses eine Mal. Im Januar hatte ich ihn das letzte Mal getroffen, da stand eine Augen-OP an. Eigentlich war er weitsichtig, aber mit einem Mal hatte sich die Sehschwäche umgekehrt. Die OP wurde durchgeführt, und im Juni wollte ich mich wieder treffen. Er antwortete diffus, dass mit den Augen etwas nicht stimmen würde, so dass er sich nicht treffen könne. Ich befürchtete schlimmes, als er einige Monate später in Facebook postete, man würde eine Weile lang nichts mehr von ihm hören. So kam dann kein Lebenszeichen über Facebook, persönliche Nachrichten blieben unbeantwortet. Erst jetzt, Anfang Dezember, erfuhren seine Facebook-Freunde, was los gewesen war. Das Sehvermögen hatte sich so rapide verschlechtert, dass es gegen Null gegangen war. Die Ursache dafür waren allerdings nicht die Augen selbst, sondern die Ärzte diagnostizierten einen Gehirntumor. Dieser war gutartig, er konnte entfernt werden, und mein Facebook-Freund fand sich mitten im Leben zurück und konnte wieder normal sehen. Als ich dies las, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Die Krankheitsentwicklung war plötzlich gewesen, in weniger als einem Jahr traten die Symptome hervor und verschlechterten sich kontinuierlich. Und vor der Entfernung des Gehirntumors mochte es eine Frage auf Leben und Tod gewesen sein, ob mein Facebook-Freund jemals aus der Narkose wieder aufwachen würde und wenn ja, wie. Seine Erfahrung muss grausam gewesen sein, wie sein Leben an einem seidenen Faden hängt.
3. Dezember 2019
Wie ein Bahndamm in Köln-Ehrenfeld die Erinnerung an den Nationalsozialismus beschwört. Der Widerstand gegen die Nationalsozialisten gestaltete sich schwierig, weil Gedanken und Gespräche bis in die Familien hinein kontrolliert wurden - so sollten etwa Kinder ihre Eltern und Verwandte und Eltern ihre Kinder und Verwandte denunzieren. Mithin war Kritik an Hitler und den Nationalsozialisten, an ihren Ideologien, ihrem Handeln oder ihren Plänen nicht nur in der Öffentlichkeit lebensgefährlich. Nachdem der Bombenkrieg einen Großteil der Städte des Rheinlandes zerstört hatte, formierte sich ab 1943 Widerstand. Jugendliche rotteten sich in den Kriegsruinen zusammen, die Hitlerjugend lehnten sie mit ihrer gleich geschalteten Ideologie ab. Die losen Bewegungen im Rheinland, die naturverbunden waren, die gerne mit der Gitarre unterwegs waren und in ihren Liedern gegen die Nationalsozialisten stichelten, fassten sich als Edelweißpiraten zusammen. Die Jugendlichen verteilten Flugblätter, sie schmierte Parolen gegen die Nationalsozialisten auf Häuserwände und Eisenbahnwaggons. Einer von ihnen, der damals 16-jährige Bartholomäus Schink, stieß im Spätsommer 1944 zu einer Gruppe um den geflohenen KZ-Häftling Hans Steinbrink. Die Gruppe sammelte im zerbombten Köln Waffen und Sprengstoff, um einen – wie auch gearteten „Endkampf“ – gestalten zu können. Bei Auseinandersetzungen mit der Gestapo schießen sie schließlich auf örtliche NS-Führer und Polizisten. Drei von ihnen, darunter Bartholomäus Schink, wurden festgenommen. Genau an dieser Stelle, unter diesem Bahndamm in Köln-Ehrenfeld, wo die Bahnlinie von Köln nach Aachen verläuft, wurden die drei Edelweißpiraten ohne Gerichtsverfahren am 10. November 1944 in Köln öffentlich gehängt. Diese Erhängung durch die Nationalsozialisten fasst die Wandmalerei in dem Zitat zusammen „Edelweißpiraten haben sie sich genannt, wo diese Blume war, da war Widerstand.“ Übersetzt in viele europäische Sprachen, rauschen über die Betondecken die Züge hinweg.
4. Dezember 2019
In der Vorweihnachtszeit läßt es sich leider nicht vermeiden, dass man an allen Ecken mit Weihnachtsliedern berieselt wird, oftmals auf eine unpassende Art und Weise, wo sie im falschen Moment am falschen Ort das falsche Hintergrundambiente abgeben. So geschehen am Kölner Alten Markt im Café, wo der Blick aus dem Fenster auf den Weihnachtsmarkt in all seiner Harmonie nach draußen stach. Die Hintergrundmusik, die ansonsten eine Mainstreammischung aus Rock und Pop spielte, von Michael Jackson bis Madonna, dudelte nun mit Bruce Springsteen vor sich hin. Nun, zuerst verhält es sich so, dass ich trotz seiner unstrittigen Größe und Beliebtheit überhaupt nichts mit Bruce Springsteen anfangen kann. Die starke Inbrunst und die Ausdrucksfähigkeit seiner Stimme, die zweifelsohne besteht, läuft vollkommen meinen Geschmäckern zuwider. Falls möglich zappe ich zu Hause auf dem Radio zu einem anderen Sender, wenn ich Bruce Springsteen höre. Und nun sang Bruce Springsteen – passend und unpassend zugleich – in der Vorweihnachtszeit mit dem Weihnachtmarkt auf dem Alten Markt im Hintergrund ein Weihnachtslied. Aus voller Kehle schmetterte er dahin „Santa Clause is coming into Town“. Das war abscheulich, wie sich die weihnachtlichen Klänge aus seiner Stimme, die er voll aufgedreht hatte, aufdrängten. Den Klängen aus den Lausprechern, die etwas lauter waren als Zimmerlautstärke, suchte ich zu entfliehen, doch es gelang mir nicht. Ich befürchtete schlimmes, was die Gemütlichkeit des Cafés betraf, doch bei dem nachfolgenden Musikstück kam die Entwarnung. Es war ein Blues, dessen Stück ich nicht kannte. Definitiv war es kein verkapptes Weihnachtslied, denn weder kam ein Santa Clause, noch Christmas oder ein Tannenbaum vor. Der Blues ächzte und krächzte mit seiner schleppenden Stimme vor sich hin, und so war die Harmonie zurück gekehrt.
5. Dezember 2019
Eine weitere Negativ-Nachricht bei unserem Umbauvorhaben im Haus des verstorbenen Schwiegervaters, die uns allerdings nicht umhauen sollte. Wir waren davon ausgegangen, dass das Behindertenwohnheim, wo der Schwager wohnt, das Haus des verstorbenen Schwiegervaters anmietet, um dort betreutes Wohnen umzusetzen. Mit der Wohnheimleiterin hatte meine Frau dazu einen Termin, doch das Wohnheim sieht nun keinen Bedarf mehr. Es sind allerdings Zusammenhänge in die Begründung eingeflossen, die obskur klingen und darauf beruhen, was man im Ort so umher erzählt. Klatsch und Tratsch haben somit ein gewisses Gewicht an der Entscheidungsfindung gehabt. Ausschlaggebend war eine Situation, als der Schwager krank war und sich in demjenigen Behindertenwohnheim aufhielt, wo meine Frau gerade arbeitete (also nicht das Wohnheim, wo der Schwager wohnt). Meine Frau erzählte, dass der Schwager bei Krankheit zum Haus Hildegard gehen muss, weil in seinem Wohnheim tagsüber keine Betreuer anwesend sind. Dort geht er aber nie hin und dem Haus Hildegard ist es auch egal, wo er sich aufhält. Meine Frau erzählte weiter, dass Arztbesuche und Krankheiten allgemein ein Problem seien. So hätte es Fälle gegeben, dass ihr zugesichert worden sei, dass das Wohnheim mit dem Schwager zum Arzt gehen würde. An dem betreffenden Tag fand dann aber eine Teambesprechung statt, so dass er erst einen Tag später zum Arzt kam, weil meine Frau an diesem Tag arbeiten musste. Diese und andere Unzufriedenheiten habe man sich im Ort herum erzählt, welche dann bei dem Gespräch meiner Frau mit der Wohnheimleiterin und einer weiteren Mitarbeiterin heraus gekramt wurden. Die Betreuung des Schwagers sei unzureichend, das würde man sich im Ort erzählen. Das hatte zwar nichts mit der Argumentation zu tun, dass es keine Bewohner gibt, die für dieses betreute Wohnen in Frage kommen. Es wurde aber in aller Breite mit meiner Frau diskutiert. Die beiden Damen gaben dann meiner Frau andere Ansprechpartner aus anderen Trägern, die betreutes Wohnen anbieten. Von diesen Ansprechpartnern haben wir noch keine Rückantwort.
6. Dezember 2019
Soeben haben wir einen mitreißenden Abend in der Realschule erlebt. In der dortigen Aula hat der Theaterverein Rheidt sein diesjähriges Stück „Der Trödelkönig“ aufgeführt. Uns ein Theaterstück des Theatervereins anzuschauen, diese Idee hatten wir, nachdem der Theaterverein sein Interesse bekundet hatte, Gegenstände aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters für die Bühnenkulisse zu verwenden. Daraus wurde zwar nichts, aber das Theaterstück glänzte vor hervorragenden Akteuren auf der Bühne. Dabei war der Hauptdarsteller kurios: eine mehr als 2.000 Jahre lang konservierte Mumie spielte die Hauptrolle. Allzu viel soll nicht verraten werden, aber über das Eigenleben der Mumie entwickelte sich eine Komik, bei der ich mich bisweilen gekrümmt habe vor Lachen, wobei die Gesangseinlagen exzellent waren. Das erste Mal haben wir eine Aufführung des Rheidter Theatervereins besucht, und es war bestimmt nicht das letzte Mal.
7. Dezember 2019
Irgendwie hatte der Einfall etwas besonderes für sich, Bekleidung aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters an den Mann – oder besser – die Frau zu bringen. Von der bereits 1996 verstorbenen Schwiegermutter waren mehrere Kleidungsstücke dabei, die besonders verschnörkelt oder verziert waren, die Rüschen trugen oder auch selbst genäht waren. Meine Frau ordnete diese Kleidungsstücke dem Modestil des „Vintage“ zu, und so suchten wir fleißig im Internet nach Mode-Vintage-Läden. Diese gab es beinahe nicht in unserer Stadt oder in Bonn, aber in einer größeren Anzahl in Köln. Diese kontaktierten wir über Facebook, wobei die Vintage-Boutique „Zeitschätze“ in der Kölner Südstadt Interesse zeigte. Ich solle vorbei kommen, und die Vintage-Anziehsachen einfach mal zeigen. Dies tat ich dann, wobei die Parkplatzsuche in der Südstadt in der Nähe des Ubierrings eine Herausforderung war. Bestimmt fünf Minuten musste ich zu Fuß laufen, doch der Fußweg lohnte sich. Es war ein wirklich hübscher Laden, der auf Alt getrimmt war und wo sich ständig Kunden umschauten. Die Atmosphäre war locker und gelöst, und die Inhaberin musterte genau die einzelnen Kleidungsstücke und nahm elf Vintage-Anziehsachen entgegen. Auf Kommission, was bedeutete, dass sie diese Stücke bis nach Karneval im nächsten Jahr in ihr Angebot nahm. Sie schätzte Verkaufspreise ein, die wir beim Verkauf erhalten würden. Nach Karneval sollten wir uns wieder melden. Es war ein interessanter Exkurs in die Welt der Vintage-Mode.
8. Dezember 2019
An welchen Orten mich ein gewisser Teil meines Lebens umgetrieben hat. Vier Jahre lang hatte es mich regelmäßig in dieses Gebäude am Rande der Kölner Südstadt verschlagen. Das war im Zeitraum von 1997 bis 2001, als dieser breite und ausladende Bau die Fachhochschule Köln beherbergte. In diesen Räumlichkeiten, wovon mir vor allem der breite und ehrwürdige Treppenaufgang im Eingangsbereich in Erinnerung geblieben ist, war wiederum die Fernuniversität Hagen untergebracht, wo ich in kleinen Lerngruppen meine Kurse absolvierte, die dann in Klausuren mündeten. Neben Familie und Beruf war das Fernstudium hammerhart, ab und an habe ich die Klausuren erst im zweiten Anlauf geschafft. Die Erinnerung ist aber durchweg positiv. Die Dozenten, die ihre Tätigkeit ebenso nebenberuflich ausübten, hatten stets ein hohes Fachwissen und konnten die abstrakte bis trockene betriebswirtschaftliche Materie gut erklären. Bis heute gilt ihnen meine Bewunderung, wie sie Bewertungswahlrechte in der Steuerbilanz, die Lagrange-Methode, die Portefeuille-Theorie nach Markowitz, die Gutenberg-Produktionsfunktion oder statistische Rergressionsanalysen vermitteln konnten. Die Dozenten waren genauso hoch motiviert wie die anderen studentischen Mitstreiter, zu denen sich einzelne Kontakte bis heute erhalten haben. Nach 2001 wurde das Studienzentrum der Fernuniversität Hagen von Köln nach Leverkusen verlegt. 2006 hatte ich schließlich das Fernstudium abgeschlossen, als ich den akademischen Titel eines Diplom-Kaufmanns geschafft hatte.
9. Dezember 2019
Wie der Apfel sich auf der Jugendstilfassade zu einem tragfähigen Symbol entwickelt. Diese Kombination ist gar nicht so selten: gerade die Fassaden von Kaufhäusern und anderen großen Ladenlokalen tragen in Fußgängerzonen, wie hier auf der Kölner Schildergasse, den Jugendstil. Säulen, Blätterwerk von Pflanzen oder auch Tierdarstellungen umfassen den Jugendstil, der um die 1900er-Jahrhundertwende seine Blütezeit erlebte. Konzerne – wie hier Apple – suchen ebenso eine Symbolkraft ihrer Produkte, weil die Kundschaft stärker Symbolen zuneigt ist als einem Produktportfolio aus abstrakten Typenbezeichnungen. So ist bei Apple der Apfel selbstsprechend und mit seinem heraus geschnittenen Kreisanteil sogar unverwechselbar. Der Apfel und der Jugendstil sind zu einer Einheit geworden. Zu den floralen Mustern im Giebelbereich gesellt sich der Apfel des Weltkonzerns. Im Inneren des Geschäftslokals dreht sich nach seiner Bestimmung alles um iPhones und iPads. Was für ein riesengroßes Warenangebot aus dem Hause Apple dort präsentiert wird, sprengt jede Vorstellungskraft.
10. Dezember 2019
In diesen Tagen hieß es: Daumen drücken. Das hatten wir groß auf unserem Terminkalender notiert, der sich in diesen Tagen der Vorweihnachtszeit voll gekritzelt ist vor lauter Terminen. Damit wir diesen Weg weisenden Termin nicht vergessen in den Tagen voller Betriebsamkeit, die vor lauter Terminen untergehen. Es galt, Daumen zu drücken für die mündliche Prüfung unserer Tochter, welche ihr Medizinstudium abschloss. Es war die allerletzte Prüfung, bei der die Studenten eine Krankheitsdiagnose lebender Patienten erstellen mussten. Wie der Rest des Studiums, klappte diese letzten Prüfung in Form der Krankheitsdiagnose bestens. Mit Bravour hat sie bestanden. Herzlichen Glückwunsch zum akademischen Grad einer Ärztin !
11. Dezember 2019
Locker und ungezwungen, wie eigentlich in all den Jahren zuvor, haben wir uns mit unseren Arbeitskollegen auf dem Bonner Weihnachtsmarkt versammelt. Die Resonanz hätte größer sein können, aber unser Abteilungsleiter und die vier Teamleiter glänzten mit ihrer kompletten Anwesenheit. Das gab dem Treffen eine Geschlossenheit und auch Gemütlichkeit, so dass wir mit etwa zwölf Kollegen gut zusammen standen. Der Glühwein floß, und so mancher von uns musste abstinent bleiben, weil er oder sie mit dem Auto nach Hause zurück fahren mussten. Zuletzt diskutierten wir lebhaft, alle horchten, und wir beschworen vergangene Zeiten, die wir durchlebt hatten. Welche Kollegen unsere Weggefährten gewesen waren, Namen kursierten, und ein gestandenes Resümee durchlebte alle Zeiten: in unserer Firma laufen sich alle früher oder später wieder über den Weg. Ein Resümee war allerdings neu und gleichzeitig trivial. Es gibt einen jahreszeitlichen Verlauf, dass zu Jahresbeginn gejammert wird, weil viel zu wenig Geld budgetiert worden ist, so dass das operative Geschäft droht zu erlahmen. In der Weihnachtszeit werden die Mitarbeiter dann in höchsten Tönen gelobt, was auch wichtig ist, da viele Mitarbeiter, die direkt mit Kunden zu tun haben, einen wirklich harten Job ausüben. Das ist dann aber auch so, dass die Mitarbeiter ihren Job so gut gemacht haben, dass die gesteckten Ziele in vielen Jahren erreicht werden. Jammer und Lob im Jahresverlauf: das Fazit ist, dass es richtig ist, das Geschäft über das Geld zu steuern. Offenbar muss man gegen eine gewisse Trägheit ansteuern. Die Mitarbeiter können, wenn sie motiviert sind, einen guten Job machen. Die Kunst, sie zu motivieren und Wert zu schätzen, scheitert in der Regel nicht am Geldmangel.
12. Dezember 2019
Es gibt Städte und Orte, die solch eine Dynamik entfalten, dass man sie mit einem Mal nicht mehr wieder erkennt. Beispiel Troisdorf: noch im Januar dieses Jahres war ich mit dem Auto in diese Stadt gefahren. Vom Parkhaus am Bahnhof war ich zu Fuß unterwegs in die Fußgängerzone, der Rohbau eines mehrgeschossigen Baus stemmte sich in die Höhe. Der Fußweg längs der Baustelle war versperrt, so dass man die Straßenseite wechseln musste. Firmenwagen, deren Arbeiter auf der Baustelle tätig waren, vergrößerten das Baustellenchaos. Nun war alles fertig und sah wie geleckt aus. Schmutz und Dreck waren verschwunden, die direkte Nähe zum Bahnhof scheint ein idealer Standort für Hotelketten zu sein. Die Anbindung mit Eisenbahn zu den Städten Köln und Bonn ist ideal, und so werden Übernachtungen rege nachgefragt werden. Ein Konglomerat von Dienstleistungsbetrieben schart sich um die Gleise und um den Bahnsteig, wenn im wilden Tempo weiß-rot gestreifte ICEs vorbei rasen. An einem Bankschalter kann man sich mit flüssigem Bargeld versorgen, wenn man sich im Fitness-Studio fit hält oder dem Hobby des Tanzens in einer Tanzschule nachgeht. Bahnreisende können sich an einem Kiosk mit Zeitungen eindecken, und nach einer Fitnesseinheit oder nach einer absolvierten Tanzstunde kann man in einer Pizzeria gesellig beisammen sein. Die Konglomerate des Konsums wachsen zu urbanen Zentren zusammen. Alles ist ständig in Bewegung und ringt nach Veränderung. Der Verbraucher bestimmt mit seinen Konsumgewohnheiten das Gesicht der Stadt.
13. Dezember 2019
Eine Zeit vor dem Kölner Dom ? Wer heutzutage den himmelwärts strebenden Kirchenraum dieser gotischen Kathedrale betritt, der vermag sich kaum vorzustellen, dass es einen Vorgängerbau gegeben hat. Ein genaueres Bild davon, wie diese Vorgängerkirche ausgesehen haben könnte, gibt ein Fußbodenmosaik. Wenige Jahre nach der Fertigstellung des Kölner Doms im Jahr 1880 wurden Fußbodenmosaike im Chorbereich verlegt, welche die bedeutendsten Kölner Erzbischöfe darstellen. Eines dieser Mosaike stellt den Erzbischof Hildebold dar, dessen Hände diesen romanischen Kirchenbau halten. Als wäre die Last nicht schwer genug, stützen zwei Mönchsgestalten die Kirche. Die Umrandung der Darstellung trägt die Aufschrift: „Herr Hildebold. Erzbischof von Köln, Erzkaplan Karls des Großen, regierte die Kirche von Köln vom Jahre 785 bis zum Jahre 819. Er begann den Alten Dom.“ In der Tat war es dieser Erzbischof Hildebold, der diesen großartigen Kirchenbau, von dem null und gar nichts erhalten ist, veranlasste. Die Idee zu diesem Kirchenbau mag er von dem karolingischen Zentralbau des Aachener Doms mitgebracht haben, denn Karl der Große hatte ihn als Gelehrten in seine Kaiserpfalz berufen. Um 800 beauftragte ihn Karl der Große, für den Sitz des Erzbischofs in Köln eine neue Bischofskirche zu bauen. Die Fundamente für diese fulminante Kirche wurden allerdings erst 818, einige Jahre nach dem Tod Hildebolds gelegt. Diese Kirche muss vor 857 fertiggestellt worden sein, denn die Annalen des Klosters Fulda erwähnen, dass der „Alte Dom“ durch einen Blitzschlag getroffen worden war, wobei drei Menschen getötet wurden. Mit 97,50 Meter war die Länge imposant und umfasste rund zwei Drittel der Grundfläche des heutigen Kölner Doms. Grabungen unter dem Kölner Dom belegten im Jahr 1948 die Existenz einer früheren Kirche um 800. Viereinhalb Jahrhunderte wurde die Kirche als Gotteshaus genutzt, sie erlebte sogar die Überführung der Gebeine der Heiligen Drei Könige im Jahr 1164. Das Meisterwerk der Goldschmiedekunst, der Dreikönigsschrein, stand etwa nach 1200 im „Alten Dom“. Mit der Grundsteinlegung des „neuen“ Kölner Doms musste der „Alte Dom“ weichen. Er wurde abgebrannt, und die stehen gebliebenen Kirchenmauern wurden abgebrochen. Wie der stolze romanische Kirchenbau einst ausgesehen haben kann, dies hält das Mosaik des einstigen Erzbischofs in seiner Hand.
14. Dezember 2019
Das Chaos nimmt in unserem Haus weiter seinen Lauf, nachdem wir uns entschieden haben, aus Gründen des Bundesteilhabegesetzes sowie aus Kostengründen ab dem 1. Januar nächsten Jahres den Schwager vorübergehend bei uns aufzunehmen. Die Grundsituation könnte sich klären, nachdem uns gestern die öffentlich bestellte Gutachterin das Wertgutachten des Hauses des verstorbenen Schwiegervaters zugesandt hat. Die Planungssicherheit sollte nun gegeben sein, wenn der Wert der Immobilie bekannt ist. Allerdings ändert dies nichts an der Tatsache, dass wir das Gästezimmer für unseren Schwager herrichten müssen. Auch dort steht reichlich Krempel herum, wobei die Katzen sich allerdings freuen, dass die Türe zum Gästezimmer gerne offen steht und ein Plätzchen zum Einkuscheln im Bett bereit hält. Der Zeitdruck bis zum Jahresende ist groß. Das Bett mit unserer Tochter muss getauscht werden, die Sachen müssen aus dem Behindertenwohnheim ausgeräumt werden, ein Kleiderschrank fehlt für die Anziehsachen des Schwagers. Es sind wieder einmal viel zu viele Dinge gleichzeitig abzuarbeiten, und das kurz vor Weihnachten. In diesem Umfeld gestaltet es sich selbst schwierig, einen Weihnachtsbaum aufzustellen.
15. Dezember 2019
Ein Novum, das bezeichnend war für die Zeitnot in diesem Jahr. Im Büro hatte ich mit meiner Frau und meiner Mutter telefoniert, dazu wollte ich noch eine Sache fertig erledigen für meinen Chef. Die Regionalbahn um 17.07 Uhr hatte ich am Bonner Hauptbahnhof verpasst. Und um pünktlich um 18 Uhr am verabredeten Treffpunkt in Köln zu erscheinen, musste ich den Intercity um 17.22 Uhr nehmen. Mit der nächsten Regionalbahn wäre ich erst nach 18 Uhr in Köln gewesen. Demgegenüber hatte mir in den vergangenen Jahren ein ausreichendes Zeitkontingent zur Verfügung gestanden, einmal durch den Dom zu laufen und eine Kleinigkeit zu essen. Das war in diesem Jahr nicht so, und nachdem ich am Hauptbahnhof hastig eine Portion Fritten in mich hinein gestopft hatte, traf ich den früheren Arbeitskollegen um 18 Uhr an der Kreuzblume vor dem Dom. Unser alljährlicher Gang über den Weihnachtsmarkt am Alten Markt bot ausreichend Gelegenheit, uns auszutauschen. Es überwogen Gesprächsthemen, dass ihm der Freundeskreis seiner Lebensgefährtin bisweilen zu exklusiv und auch zu abgehoben war. Dazu kam eine gewisse Last durch die anhängende Familie seiner Lebensgefährtin, eine Last, die von der Tochter plus Enkeltochter seiner Lebensgefährtin ausging. Wegen schlechter schulischer Leistungen sowie aufmüpfigen Verhaltens in der Pubertät war die Enkeltocher, 14 Jahre, zum Problem geworden. Bereits einmal hatte die Enkeltocher der in Berlin lebenden Familie die Privatschule gewechselt, und nun wollten die Eltern die Tochter auf eine andere Privatschule hinaus werfen. Dagegen intervenierte die Lebensgefährtin, aber auch der bei Osnabrück wohnende leibliche Vater. Nachdem die Enkeltochter eine zeitlang bei ihrem leiblichen Vater wohnte und auch dort zur Schule ging, holte die Mutter sie wieder zurück mit dem Ergebnis, dass sie nun auf Mallorca eine internationale Schule besucht. Die Familie der Tochter der Lebensgefährtin hatte jede Bodenhaftung verloren, ihr Mann besaß eine Leiharbeiterfirma und sie schwammen in Geld. Ein Ferienhaus am Gardasee hatten sie bereits gebaut. Nach Verkauf dieses Ferienhauses kauften sie sich ein anderes Ferienhaus auf Mallorca, wo die Enkeltocher dann die Schule besuchte. Widersinnig war dabei, dass der Vater Flugangst hatte. Um nach Mallorca zu gelangen, fuhr er mit dem Auto bis Marseille und dann mit der Fähre nach Mallorca. Der Reichtum der Lebensgefährtin meines früheren Arbeitskollegen, die früh Witwe geworden war, resultierte aus Immobilienbesitz in Form von mehreren Mietshäusern. Eine Dreiergemeinschaft besaß die Mietshäuser, von denen zwei sich von ihren Immobilien trennen wollten. Die Lebensgefährtin wollte diese Anteile kaufen, doch ein Immobilienmakler hatte sich eingeschaltet, so dass die Verkaufspreise in die Höhe schossen. Mit diesem zu hohen Verkaufspreis kam kein Hypothekendarlehen mit einer Bank zustande, so dass die Lebensgefährtin ihren Immobilienbesitz verkaufen musste. Aber was mit dem Verkaufserlös machen ? Sie kaufte sich nun eine Ferienimmobilie an der niederländischen Nordseeküste, wobei ich schmunzelte über ihre Probleme mit der niederländischen Sprache. Das Verkaufsprospekt war auf Deutsch, aber die ganze Kaufabwicklung geschah auf Niederländisch. So hatten sie eine E-Mail erhalten, bis wann sie den Kaufpreis auf welches Konto zu zahlen hatten. Eine zeitlang später waren sie zur Abwicklung des Kaufs nach Middelburg gefahren. Weil sie die E-Mail auf Niederländisch nicht verstanden hatten, hatten sie den Kaufpreis auch nicht gezahlt, was wiederum Voraussetzung für den Kauf der Ferienwohnung war. Unerledigter Dinge mussten sie dann von Middelburg nach Hause zurück fahren. Mangels Niederländischkenntnissen war die Verständigung zudem in Middelburg schwierig. Als die Lebensgefährtin ihre Mietshäuser noch besaß, hatten sie – genauso wie wir – mit einem öffentlich bestellten Gutachter für Immobilien zu tun. Dabei ging es um einen Rechtsstreit, weil eine Mieterin sich benachteiligt fühlte, da die Wohnflächenberechnung falsch sei. Da die Flächenberechnungen gerichtsfest sein mussten, wurde ein öffentlich bestellter Gutachter benötigt. Schnell verdientes Geld, in seinem zweiten Leben würde er sich zum öffentlich bestellten Gutachter umschulen lassen, das meinte mein Freund. Die digitale Messung der Wohnfläche hätte die Zeit eines Mausklicks gedauert, dann noch ein bißchen Rechnerei – und dafür hatte der öffentlich bestellte Gutachter 600 Euro pro Wohneinheit in Rechnung gestellt. Zum Freundeskreis der Lebensgefährtin gehörten so manche Artgenossen mit einem dicken Portemonnaie, darunter wohnte einer in Vancouver/Kanada. Einen mehrwöchigen Besuch hatten sie im nächsten Jahr eingeplant, wobei mein Gegenüber durchaus Lust verspürte, Vancouver kennen zu lernen. Allerdings ging es im unmittelbaren Anschluss nach Mallorca zu anderen Freunden, was dann wiederum absolute Unlustgefühle erzeugte. Er mochte die Freunde nicht, die dichte Aufeinanderfolge von längeren Reisen und Mallorca zählte nicht unbedingt zu seinen Lieblingsinseln. In einem Punkt hatte er den Snobismus des Freundeskreises adaptiert: er hatte einen Golfkurs absolviert. Er wurde auch angesprochen, ob er für 3.000 Euro im Jahr Mitglied werden wollte. Dies lehnte er dankend ab, da man auch ohne Mitgliedschaft auf dem Golfplatz bei Düsseldorf Golf spielen konnte. In Düsseldorf wiederum hatte sich die andere Tochter der Lebensgefährtin eine Eigentumswohnung gekauft. Die Tochter, eine überzeugte Singlefrau, spielte kein Golf, aber es war der helle Wahnsinn, was der Immobilienmarkt in Düsseldorf so hergab. Fette 300.000 Euro hatte sie für 50 Quadratmeter bezahlt, und das nicht einmal bei bester Stadtlage in der Innenstadt. Die eigene Tochter, 32, war keine solch überzeugte Singlefrau. Langsam bekam sie Torschußpanik, was die Suche nach ihrem Traummann betraf. Sie trauerte einem Traummann nach, mit dem sie im letzten Jahr den Tannenbaum geschmückt hatte, der aber keinerlei Absichten hegte und dies mehrfach bekundet hatte. Seine Ex-Frau, die seit 6-7 Jahren wieder verheiratet war, war übrigens nach Schleiden in der Eifel gezogen. Ihr Mann arbeitete in der Eifel, und so hatten sie die städtischen Strukturen von Mönchengladbach mit ganz viel Landschaft in der Eifel getauscht, wo man dementsprechende Fahrwege zum Einkaufen benötigte, aber mit jede Menge beschaulicher Landschaft in direkter Nähe. Was trieb den Freund sonst so um ? Er fotografierte Wassertürme, wegen der Nähe in der Umgebung von Mönchengladbach. Er war sogar in Wegberg gelandet, dabei hatte er allerdings ein kleineres Konfliktpotenzial mit seiner Lebensgefährtin. Da die Strecke nur 20 Kilometer betrug, wollte er diese mit dem Fahrrad gefahren sein. Der Lebensgefährtin war die Fahrt durch das Stadtgebiet zu gefährlich, so dass sie die Fahrräder auf dem Auto bis Rheindahlen mitgenommen haben wollte. Das lehnte er wiederum ab, so dass er alleine fuhr. Geplant hatte er eine Fahrradtour auf alten Bahntrassen, durch das Bergische Land und durch das Hohe Venn. Achja, wir sprachen auch über unsere schlechten Zähne. Während ich in Kürze die teleskopierende Brücke eingesetzt bekommen würde, hatte er vor etlichen Jahren acht Zähne gezogen bekommen, und dies unter Vollnarkose. Die Behandlung war gut verlaufen, dort hatte er nun Implantate. Ebenso wie bei mir war sein Rechnungsbetrag fünfstellig – dieser lag bei 12.000 Euro. Diesen Betrag hätte er eigentlich bar vorauszahlen sollen, was ihn eine gewisse Mühe kostete, den Zahnarzt davon zu überzeugen, dass er erst die Rechnung bei der Krankenkasse einreichen müsse.
16. Dezember 2019
Eine ganze Terminserie von Zahnarztterminen beanspruchte mich in den letzten Zügen des Kalenderjahres. Der Termin am 3. Dezember war schon heftig, als fünf Zähne abgeschliffen worden waren. Bis Weihnachten sollte ich die sogenannte teleskopierende Brücke erhalten, womit alle meine fehlenden Zähne am Oberkiefer überbrückt werden sollten. Noch trug ich die Provisorien auf den fünf abgeschliffenen Zähnen. Zwei Implantate würden in die teleskopierende Brücke einbezogen werden, so dass die Brücke auf insgesamt sieben Zähnen befestigt wird. Ein Wunderwerk der Zahntechnik sollte es werden, das hoffentlich bis an mein Lebensende halten wird.
17. Dezember 2019
Wie in anderen Situationen, war der Anruf des Bruders kurz und knapp. Die Stresssituation drang in seinem Telefonat durch, dass die Mutter im Krankenhaus lag und dass er alle wichtigen Personen zu informieren hatte. Dabei musste ich die Krankheitsdiagnose eines Oberschenkelhalsbruches einordnen, ein Sturz, ein Bruch und wie man im Krankenhaus vorzugehen dachte. Das Telefonat mit unserer Tochter und die Suche in Google stellten dann die begrifflichen Irritationen klar: dass der Hals von den Verletzungen betroffen war, ließ schlimmes befürchten, doch was man normalerweise unter „Hals“ verstand, war damit nicht gemeint, da vielmehr der Oberschenkelhals zur Hüfte gehörte, die folglich Gegenstand des Bruchs war. Das war aber immer noch schlimm genug, da die Heilung einen operativen Eingriff erforderte, wovon nicht nur wegen der Betäubung Gefahr ausging. Zudem würde in der Ü80-Altersklasse die Heilung langsam verlaufen mit einem dementsprechend längeren Krankenhausaufenthalt. Da sich der Vorfall kurz vor dem Weihnachtsfest ereignet hatte, war ein Verbleib über das Weihnachtsfest wahrscheinlich.
18. Dezember 2019
Auf was für Merkwürdigkeiten wir gestoßen sind, als wir einen Abnehmer für drei Pelze gesucht haben, von denen ein bis zwei der 1996 verstorbenen Schwiegermutter gehört hatten. Wir hatten die Kleinanzeigen aufgeschlagen in einem derjenigen Wochenblätter, von denen unser Briefkasten zuhauf überflutet wird. Selten bis gar nicht lesen wir die Berichte über die Belanglosigkeiten des Lokalgeschehens, diesmal schauten wir in die Kleinanzeigen hinein. Gleich mehrfach interessierten sich Händler für allerlei Trödel und insbesondere Pelze. Also riefen wir an, wobei ausnahmslos Handy- und keine Festnetznummer angegeben waren. Der erste Händler, mit dem wir telefonierten, kam aus Bochum. Pelze ja, dafür interessiere er sich grundsätzlich, aber für drei Pelze von Bochum in unsere Gegend zu fahren, das sei irreal und unrentabel. Die zweite Dame, die wir erreichten, kam nicht weit weg von Bochum, nämlich aus Oberhausen. Das Echo war dasselbe wie aus Bochum. Zu weit weg, für die Ausbeute von nur drei Pelzen lohnte sich die Anfahrt nicht. Wie kam es denn, dass Händler aus dem Ruhrgebiet in unser Anzeigenblatt gerutscht waren ? Setzten sie auf eine breite Streuung, dass in Haushaltsauflösungen, egal wie weit entfernt sie lagen, große Schätze schlummerten ? Beim dritten Händler mit dem sehr deutsch klingenden Namen Manfred Schmidt hatten wir schließlich Erfolg. Er kam zwar aus Krefeld, war aber häufig im Großraum Köln-Bonn unterwegs. Er kooperierte sogar mit der ZDF-Sendung Bares für Rares, er war Schmuckexperte und arbeitete mit Susanne Steiger zusammen, dessen Schmuckladen ich in Bornheim entdeckt hatte. Wegen des Schmuckes, den wir ihm nur in kleinen Mengen anbieten konnten, suchte er uns am nächsten Tag auf. Die Pelze waren dabei ein Mitnehmprodukt, von denen er zwei mitnahm. Die Ausbeute von 210 Euro war nicht schlecht, aber einen großen Berg von Anziehsachen wälzten wir weiterhin vor uns her.
19. Dezember 2019
Noch fünf Tage bis Heiligabend, und die Wocheneinkäufe gestalteten sich bei real im HUMA-Einkaufszentrum in St. Augustin äußerst entspannt. Am frühen Vormittag war wenig los, in Ruhe füllte sich unser Einkaufswagen, niemand drängelte sich zwischen den Regalreihen. Last-Minute-Einkäufe im schlimmsten Menschengewühl wollten wir auf wenige Resteinkäufe beschränken. Da wir zugunsten der früheren Uhrzeit auf das Frühstück zu Hause verzichtet hatten, holten wir dies im HUMA-Einkaufszentrum nach. Wir entschieden uns, ein Stückchen wie in Frankreich zu frühstücken. Die EPI-Boulangerie-Patisserie warb damit, dass sie Baguette nach der echten französischen Rezeptur backte. Aber wir probierten kein Baguette, wir studierten Leckereien mit wohl klingenden französischen Namen wie Eclairs, Chouquette oder Brioche an der Auslage. Wir wählten eine „tarte flambée“, die man zwar mit „Flammkuchen“ übersetzen konnte, die aber ganz anders aussah und schmeckte, wenn wir denn einmal Flammkuchen gegessen hatten. Die „tarte flambée“ war aus Blätterteig gemacht, die Rundform war viel kleiner als ein Flammkuchen und bedeckt mit einer dicken Füllung aus Speckwürfeln, die sehr herzhaft schmeckte. Bis uns die „tarte flambée“ serviert wurde, dauerte es ein wenig, weil diese im Backofen nochmals aufgewärmt wurde. Die Atmosphäre, sich ein bißchen wie in Frankreich fühlen zu können, floss locker und lässig dahin. Eine Insel der Ruhe inmitten des allzu hektischen Treibens vor Weihnachten.
20. Dezember 2019
Es fühlte sich so an, als hätten sich die Wogen des Mobbings etwas beruhigt. Die Schule neigte sich den Weihnachtsferien zu, und da ich Urlaub hatte, fuhr ich unsere Tochter zur Schule. Obschon das Aufstehen bei unserer Tochter zäh war, beeinträchtigten weder Kopfschmerzen noch Bauchweh seit mehreren Wochen unsere Tochter. Ob sie mit Freude zur Schule ging, das wussten wir nicht. Aber im Hintergrund ahnten wir, dass in der Vorweihnachtszeit ein Stückchen Frieden zu ihren Mitschülern eingekehrt war. Sie nahm Teil an der Kommunikation in ihrer Klasse, was nicht immer so war. Am letzten Tag vor den Weihnachtsferien wurde gewichtelt, und schon Wochen vorher drängte sie, auf dem Bonner Weihnachtsmarkt oder sonstwo ein Wichtelgeschenk zu besorgen. Vor einer Woche war es dann soweit, als wir mit unserer großen Tochter aus Freiburg den Bonner Weihnachtsmarkt besuchten. Nachdem sie auf dem Weihnachtsmarkt nichts schenkbares gefunden hatte, kaufte sie beim Kaufhof einen Markierstift und einen Bleistift. Schön eingepackt, ging es nun mit dem Wichtelgeschenk und einem Ein-Liter-Kakao-Tetrapak in die Schule. Der Abschied von der Tochter war eine gewisse Zeremonie. Aus dem Auto wollte sich nicht an dem Rondell, sondern auf dem Parkplatz neben dem Kindergarten heraus gelassen werden. Und dies nicht direkt vor dem Schultor, sondern eher auf der Mitte des Parkplatzes. Ich zündete den Motor aus und umarmte sie, wir wechselten weiche und warme Worte vor dem Schulunterricht. Leise vor sich her tappsend, schritt sie zum Schulhof. Nach der Schule, als sie nach Hause kam, war alles in bester Ordnung. In den ersten beiden Unterrichtsstunden hatten sie einen Film über Huckleberry Finn geschaut. Das Wichtelgeschenk, das sie zurück erhalten hatte, waren Deostifte. Ein Wichtelgeschenk, über welches der Schenker offensichtlich nachgedacht hatte.
21. Dezember 2019
Als Mann hatte ich Horror vor dieser Situation und in den vergangenen Jahren war ich daran vorbei gekommen, weil ich mit meiner Frau zusammen den Weihnachtsbaum ausgesucht hatte. Nun, in diesem Jahr, war die Zeit ohnehin knapp vor Weihnachten, weil das Chaos herum stehenden Hausrats groß war und viel zu viel aufzuräumen war. So beschloss meine Frau, dass ich in diesem Jahr alleine den Weihnachtsbaum auszusuchen hatte, und dies ziemlich knapp vor Weihnachten, als die Auswahl von passablen, Weihnachtsbaum-tauglichen Weihnachtsbäumen nicht gerade viel versprechend war. Ich drohte, in eine Falle der Unmöglichkeit zu laufen: zu groß, zu klein, zu dünn, zu dick, zu licht, krumm gewachsen, schiefe Spitze oder was auch immer, unser Wunsch-Weihnachtsbaum mit den Ideal-Maßen würde nie und nimmer zu kriegen sein. So bewegte ich mich dann auf dem Weihnachtsbaum-Gelände ganz weit nach hinten, wo dann doch ein Weihnachtsbaum in gewisser Hinsicht den Ideal-Maßen entsprach – zumindest nach meinem Empfinden. Die freundlichen Jungs mit der Motorsäge fuhren dann flugs mit ihrem Quad zu den hinteren Weihnachtsbaumreihen am anderen Ende des kahl gesägten Wäldchens, vorne am Eingang netzten sie ein und sagten die Frei-Haus-Lieferung am Folgetag zu. Gut gelaunt und im Glauben, vieles richtig gemacht zu haben, erhielt ich sogleich zu Hause einen Dämpfer. Voller Überzeugung zeigte ich meiner Frau Fotos auf dem Smartphone, Fotos unseres Weihnachtsbaums mit einem Loch in der Mitte. Oben war der Weihnachtsbaum schön dicht, unten genauso, aber in die Mitte schob sich eine Lücke ohne Tannengrün. Das gefiel meiner Frau überhaupt nicht, und wie schlimm oder weniger schlimm der Weihnachtsbaum tatsächlich aussehen würde, das würde uns erst dann so richtig ins Auge springen, nachdem er in unserem Wintergarten aufgestellt sein würde.
22. Dezember 2019
Inmitten der Herausforderung, unseren Wintergarten so herzurichten, dass wir dort unseren Weihnachtsbaum aufstellen konnten, kostete ich die kleine Auszeit aus, in unsere Nachbarstadt zum Briefkasten der Stadtverwaltung zu fahren. Die Antwortkarte, um den Stadtwerken den Zählerstand der Wasseruhr mitzuteilen, war wieder aufgetaucht. Den ganzen Tag waren wir mit Räumen, Spülen und Saubermachen beschäftigt. Und der Berg von Hausrat aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters schwand nur allmählich. Hier ein unansehnlicher Tonkrug zum Wegwerfen, dort ein paar Streichholzschachteln, die sich zu den übrigen Schachteln gesellen konnten. Hier ein Messbecher, dessen Schrift so abgewetzt war, dass man sie nur noch schemenhaft entziffern konnte, dort ein paar Deckel, zu denen die Plastikdosen fehlten. Viel zu viel blieb auf den angestammten Plätzen stehen. Am späten Nachmittag war ich froh, mich für ein paar Schritte nach draußen bewegen zu können. Vom Parkplatz zum Briefkasten der Stadtverwaltung, dann die Suche nach einem Briefkasten der Deutschen Post, da ein Brief seinen Weg zur Behindertenwerkstatt finden sollte. Ein kurzer Fußweg durch den plätschernden Regen über den Marktplatz, auf dem eine große Abrißlücke klaffte. Der Regen plätscherte durch die klare Luft. Trotz der uninspirierenden Umgebung des monotonen Platzes setzten sich längere Ketten von Gedanken in Gang. Zeit zum Innehalten hatte ich allerdings nicht, zumal der Platz keinerlei Orte zum Verweilen bot. Vom Briefkasten schritt ich zurück an dem Lokal „Gertrudenhof“, wo ich in das großzügige, aber weitgehend entleerte Innere schauen konnte. Der Regen tröpfelte in mein Gesicht, benetzte die Brille. Tropfen verzerrten den Blick auf Schautafeln, worauf Gemeinschaften wie der VdK oder der Junggesellenverein informierten. Die paar Minuten Abwechslung von der Geschäftigkeit zu Hause gingen viel zu schnell vorbei.
23. Dezember 2019
Hatte sich grundlegend in ihrem Kopf etwas verändert ? So schlecht der Fortschritt in den Weihnachtsvorbereitungen war, um so umwälzender war der Vorschlag, der in den vergangenen Jahren undenkbar gewesen wäre. Um viertel vor sieben kam der Zug unserer Tochter am Bonner Hauptbahnhof an, und meine Frau schlug vor, gemeinsam unsere Tochter abzuholen und im Anschluss über den Weihnachtsmarkt zu bummeln. Diesem Vorschlag, alle Aufräumerei links liegen zu lassen und uns angenehmeren Dingen zuzuwenden, konnte niemand widerstehen. Voller Panik stellte unsere kleine Tochter bei der Annahme des Vorschlags fest, dass der gemeinsame Bummel durch die Innenstadt sogar zwingend notwendig war, weil sie noch gar nicht alle Geschenke beisammen hatte. So waren wir nach der Ankunft des Intercitys froh, dass wir alle zusammen gefunden hatten, wobei unsere kleinere Tochter den Gang über den Weihnachtsmarkt mit ihrer Suche nach fehlenden Weihnachtsgeschenken im wesentlichen festlegte. Bei TKMaxx ließen wir sie alleine, damit niemand das Geschenk bemerkte. Während sie bei Thalia mit meiner Frau Ausschau hielt, schlurfte der Rest zum chinesischen Restaurant am Marktplatz. Allen Weihnachtsstress schob ich bei gebratenem Reis mit Huhn beiseite, das ich mit Messer und Gabel aß, während die übrige Familie sehr geschickt dabei war, mit Stäbchen zu essen. Wir waren so spät zu Hause, etwa gegen halb 10, dass das Weihnachtsfest ganz weit entfernt schien.
24. Dezember 2019
Es war ein hartes Stück Arbeit, bis wir den Weihnachtsbaum im Wintergarten stehen hatten und die Bescherung statt finden konnte. So spät wie in diesem Jahr, es war so gegen halb acht Uhr abends, als wir essen konnten und die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum lagen, waren wir noch nie zeitlich unterwegs. Nach Wochen der Gelassenheit und ohne Zeitdruck, dass die Bescherung nahe rückte, war nun alles auf einmal zu erledigen. Erst vor dem Mittagessen eröffnete mir meine Frau, dass das Wohnzimmer mit all dem herum stehenden Hausrat einmal auszuräumen sei, dass der Fußboden frei sein solle, um mit dem Staubsauger in einer Komplettaktion gesaugt werden solle. Dieses Chaos von Hausrat beförderte ich in den Flur, wo wir dann Teil für Teil, Stück für Stück, in kleinerem Umfang aussortierten und wegwarfen, in größeren Teilen in Kisten verstauten und danach ab in den Untiefen unseres Kellers. Bis wir danach gegessen hatten, war es bereits einiges nach 15 Uhr, wobei wir uns zwischendurch darüber stritten, dass eine Katzentoilette aus dem Wintergarten in den Keller gehörte. Im Wintergarten hatten wir nunmehr dieselbe Aktion vor uns wie im Wohnzimmer, wobei wir uns zum einen größeren Teil mit Stapeln von Papierkram befassen mussten. Dies zog sich wiederum genauso zäh in die Länge. Einen kleinen Teil entsorgten wir, die größeren Teile wanderten im Endeffekt in den Keller. In der Summenbetrachtung krankte vieles daran, dass es schwierig war, Abnehmer für unseren überflüssigen Hausrat aus dem Haus des verstorbenen Schwiegervaters zu finden. Als alles leer war und wir unseren Weihnachtsbaum aufstellen, sah dieser nicht so schlimm aus wie befürchtet, da wir die lichte Seite mit dem Loch zur Wand hin positionierten. Beim Schmücken des Weihnachtsbaums halfen unsere Töchter fleißig mit, während sich unser Sohn um die Batteriebeleuchtung kümmerte. So nahm die anstehende Bescherung doch eine harmonische und positive Wendung, so dass das Werk des aufgestellten Weihnachtsbaums, der Geschenke im Wintergarten und der gekochten Hackfleischsoße am Heiligabend dann doch vollbracht war. Es war aber ein hartes Stück Arbeit mit einem Marathon des Aufräumens und Wegräumens, was wir allzu lang vor uns hergeschoben hatten.
25. Dezember 2019
Beim Frühstücken am Ersten Weihnachtsfeiertag hieß es: tief durchatmen. Die Anstrengung am Heiligabend war groß gewesen. Ein großer Kraftakt, den aufgetürmten Hausrat in Wohnzimmer und Wintergarten beiseite zu räumen, Ordnung und Übersichtlichkeit wieder herzustellen und unter dem Weihnachtsbaum uns gegenseitig zu beschenken. Dass wir im Wohnzimmer wieder dorthin treten und gehen konnten, wohin wir wollten, erschien nach Monaten der totalen Unordnung wie ein Wunder. Regungslos saß ich nunmehr am Frühstückstisch, ich suchte jede Bewegung zu vermeiden und bei einer heißen Tasse Kaffee wieder klaren Kopf zu bekommen. Die Veränderungen waren geradezu revolutionär, und wir waren erleichtert, in einer viel langsameren Taktung die beiden Weihnachtsfeiertage vor uns zu haben.
26. Dezember 2019
Solch ein Pech hatten wir am Weihnachtsfest noch nie gehabt, dass jemand aus unserer Familie über Weihnachten im Krankenhaus gelegen hatte. So wurde der Besuch beim Bruder mit seiner Familie zur Durchgangsstation, auf der wir einige Tassen Kaffee und Mineralwasser tranken. Bei der aufgetischten Kuchenauswahl von Coppenrath & Wiese war ich der einzige, der davon aß. Unser Sohn und Tochter studierten ihre Manga-Comics, während unsere große Tochter ihre sich auf dem Wohnzimmerboden ausbreitende Katze liebevoll streichelte. In der Atmosphäre der sterilen weißen Wände lief der Besuch im Krankenhaus dementsprechend unromantisch ab. Nüchtern nahmen wir die Fakten zur Kenntnis: mit einer Eisenplatte war der Bruch stabilisiert worden, mittlerweile war der selbstständige Gang zur Toilette wieder möglich, rund zehn bis vierzehn Tage würde der Krankenhausaufenthalt dauern, und nach der Entlassung sei eine REHA empfehlenswert. Die Wiedersehensfreude mit unserer Familie war stark gewöhnungsbedürftig. In den unpersönlichen Abläufen des Krankenhausbetriebs stockte die zwischenmenschliche Kommunikation, wenngleich sie noch am selben Tag ihr Bruder und ihre Schwester besucht hatten. Sie klagte über das Essen im Krankenhaus, und darüber hinaus ließ sie demütig die Ursachen ihres Krankenhausaufenthaltes über sich ergehen. Allzu lange dauerte unser Krankenhausbesuch nicht. Im Gegensatz zu unseren „normalen“ Besuchen kamen wir diesmal nicht über die Phase der gegenseitigen Tuchfühlung hinweg, der ansonsten ein herzlicheres und innigeres Wiedersehen folgte.
27. Dezember 2019
Besuch der Ausstellung „California Dreams“ in der Bundeskunsthalle. In chronologischer Reihenfolge und mit vielen anschaulichen Exponaten erzählt die Ausstellung von der Besiedlung der amerikanischen Pazifikküste, dem atemberaubenden Wachstum von San Franciscos durch den Gold Rush im 19. Jahrhundert bis zu den zeitgenössischen Bewegungen der 1968er-Flower-Power-Kultur oder des Silicon Valley. Das Bild, welches das Christentum im Namen der Kolonisierung abgegeben hat, ist in der Ausstellung nicht gerade rühmlich. Ab 1776, nachdem der Franziskaner-Pater Junipero Serra die Mission „San Francisco de Asis“ gegründet hatte, konnten die spanischen Kolonialherren an der amerikanischen Westküste Fuß fassen. Diese Mission, die im wesentlichen eine militärstrategische Bedeutung hatte, zeigt ein Gemälde, das die Malerin Oriana Weatherbee Day von 1877 bis 1884 gemalt hatte. Das geschäftige Treiben sieht nur auf den ersten Blick idyllisch aus. Die Missionare hatten es mit eingeborenen und indigenen Volksstämmen zu tun, die Indianern nicht unähnlich waren. Die Mission fungierte als eine Art von Umerziehungslager. Baracken waren der Missionsstation angegliedert, das Gelände war eingezäunt. Die indigenen Jäger, Sammler und Fischer wurden zu Gemeinschaften zusammengefasst und interniert. Missionare predigten das Christentum, und im Namen des Christentums war Zwangsarbeit auf den Feldern der Mission abzuleisten. Der Schein auf dem Gemälde trügt. Es war kein harmonisches Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen, sondern eine Garnison von Soldaten befand sich in direkter Nachbarschaft. Fluchtversuche wurden drastisch bestraft. Diesen Wink gibt der Galgen, der einem beiläufigen Normalzustand angenommen hat, so dass Soldaten über solche Geschehnisse hinweg plaudern. 1833 endeten diese Institutionen der Unterdrückung, nachdem viele Missionen säkularisiert, also aufgelöst wurden. „California Dreams“, eine lohnenswerte Ausstellung, die noch bis 12. Januar 2020 zu besichtigen ist.
28. Dezember 2019
Im Umfeld all unserer Umbau- und Finanzierungsaktivitäten, mit all unserem Ärger mit dem Amtsgericht und dem Ergänzungsbetreuer, im Umfeld all unserer Aufräumaktivitäten, bei denen das Weihnachtsfest eine viel kurze Insel der Ruhe gewesen ist, in diesem Umfeld folgt nun die nächste größere Aktion. Umzug des Schwagers aus dem Behindertenwohnheim in das Gästezimmer unseres Hauses, bevor er nach Fertigstellung in das Haus des verstorbenen Schwiegervaters umziehen soll. Was in seinem Zimmer im Behindertenwohnheim steht, müssen wir nun in unser Haus transportieren. Wegen des Sessels, der lang und sperrig ist, hilft ein Freund. Wir fahren zurück zu uns nach Hause, beide Fahrzeuge vollbeladen mit dem Sessel, Kartons, Regalen und Koffern. Am nächsten Tag räume ich mit unserer Tochter den Kleiderschrank aus, der Unmassen an Anziehsachen enthält – darunter alleine 16 Jacken (!!!) und soviel Unterwäsche, die kein Mensch braucht. Es sind aber auch noch Puzzlespiele, Bücher oder Kartons mit Gläsern zu transportieren. Kurzum, soviel, dass wir in unserem Haus erneut überschwemmt werden mit Massen von Hausrat, was wir wiederum verstauen müssen oder auch zu einem kleineren Teil entsorgen werden. Glücklicherweise wird dieser Zustand nur vorübergehend andauern, es ist aber noch unbekannt, wie lange.
29. Dezember 2019
Wieso das Kölner Lebensgefühl Bodenständigkeit vermittelt. Arbeiter haben das Stadtleben geprägt, das zeigt sich in Ehrenfeld. In der Epoche der Industrialisierung schossen die Fabriken wie Pilze aus dem Boden, weit verzweigte Gleisanlagen von Eisenbahnen führten in Werkshallen hinein. Das Innenleben einer Glasfabrik in den alten Werkshallen zeigt zum Beispiel die Unterführung unter dem Bahnhof Köln-Ehrenfeld auf einer Fotografie. Daneben schwört der Musiker Rolly Brings auf sein Kölner Lebensgefühl: „IHREFELD, DU RUSSJEPUTZTE MADAMM, AHL MÄDCHE WAT ES AAN DIR NOR DRAAN ? DU RÜCHS NOH BIER UN AUSPUFF, NOH FRITTE UN KEBAB: IHREFELD, DU HÄS MI HERZ JESCHNAPP.“ Im Umfeld dieser morbiden, dunklen und aufgewühlten Bahnunterführung eine treffende Charakterisierung.
30. Dezember 2019
Die Wellen des Chaos schwellen in unserem Haus wieder an. Was der Schwager aus dem Behindertenwohnheim – insbesondere aus dem Kleiderschrank – mitgebracht hat, ist reichlich bis überreichlich. Es sind nicht nur die Jacken, die er in einer solchen Anzahl besitzt, dass er sie nie und nimmer tragen kann. Unter T-Shirts, Pullovern und Sweat-Shirts sind jede Menge dabei, die wir ihn nie haben tragen gesehen. Seine Antwort auf unsere Frage, wo und mit wem er sie gekauft habe, war: mit den Betreuern und im Urlaub. Der Kauf von Bekleidung ist anscheinend sehr unkoordiniert abgelaufen. Es scheint niemals aussortiert worden zu sein, welche Bekleidung verschlissen ist oder nicht mehr passt. Obschon jede Menge tragbare Bekleidung vorhanden war, ist einfach dazugekauft worden, und dies in einer viel zu großen Menge. Dazu hatte auch der Schwiegervater beigetragen, der fleißig über das Internet Anziehsachen bei Walbusch bestellt hatte. Kein Hemd war gebügelt, nichts war ordentlich gefaltet, obschon der Schwager geäußert hatte, dass man mit ihm gebügelt hätte. Beim Sichten der Unterwäsche fuhr der Schrecken in unsere Glieder, als wir vollkommen verdreckte Unterhosen mit gewissen braunen Streifen entdeckten. Das Chaos türmte sich zwar wieder auf, die Situation war aber im Vergleich zum verstorbenen Schwiegervater anders. Die meisten Anziehsachen konnten wir in Kleiderschränke verstauen, der übrige Hausrat war bereits in Umzugskisten verstaut oder würde noch verstaut werden. Irgendwann würde all dies in das umgebaute Haus transportiert werden. Wir mussten uns nicht dauerhaft den Kopf darüber zerbrechen, den Hausrat einer sinnvollen Verwendung zuzuführen. Das verlieh der Sache dann doch wieder eine Perspektive.
31. Dezember 2019
Am letzten Tag des Jahres hieß es Abschied zu nehmen vom Behindertenwohnheim. Das Ausräumen des Zimmers lief mehr nach einer Routine ab, die letzten Wolldecken, Biergläser, Handtücher in unser Auto zu verstauen. Ein Freund half uns, den bis zum letzten Moment benötigten Fernseher mit dem dazugehörigen Schrank mitzunehmen. Unsere eigenen Assoziationen mit dem Behindertenwohnheim waren nicht unbedingt positiv, der Abgang hätte schöner ausfallen können, als die Leiterin es ablehnte, uns Bewohner für das betreute Wohnen im umzubauenden Haus des Schwiegervaters zur Verfügung zu stellen. Alles in allem, ein bürokratischer Apparat, bei denen sich die Behinderten in ihre Abläufe fügen mussten, was nicht immer dem Wohl der Behinderten dient. Wir waren froh, diesen unseligen Ort zu verlassen. Das Treppenhaus hinab schreitend, betrachtete ich dennoch die positive Energie der Händeabdrücke, die belegten, was die Hände von Behinderten alles zu schaffen vermöchten.