Tagebuch Dezember 2024
1. Dezember 2024
Zu Beginn der 48. Kalenderwoche brach meine Zahnprothese durcheinander, weil ich ein ähnliches Malheur hatte wie in diesem Frühjahr. Damals war mir die Prothese beim Kauen eines Zirbelbrotes in der Mitte durchgebrochen. Krass, so lautete das Urteil meines Zahnarztes, so etwas hätte er bei einer fünf Jahre alten Prothese noch nicht gesehen. Beim Kauen eines Röggelchens brach die Prothese diesmal nicht durch, doch an der rechten Kieferseite brach die Verblendung an mehreren Backenzähnen komplett ab, so dass nur noch das Grundgerüst der Zähne übrig blieb. Einmal kaute ich darauf weiter, was dieses Grundgerüst aushielt, das Auseinanderbrechen geschah dann, als der Zahnarzt die Prothese in den Händen hielt. Dreimal musste ich an diesem Tag den Zahnarzt aufsuchen mit dem Endergebnis, dass dem Zahntechniker die Wiederherstellung der Prothese gelang. Aus diesem Ereignis musste ich lernen, dass die auf die Zähne wirkenden Kräfte beim Kauen enorm waren, so dass Vorsicht geboten war. Welche harten Speisen ich kaute, dabei würde ich mich zukünftig einschränken müssen. Weder Röggelchen noch Zirbelbrot, normale, weichere Brötchen sollten hingegen verträglich sein. Ein anderes höchst unangenehmes Erlebnis hatte unsere Tochter mit ihrem Sohn, als er sich seine Finger in der Haustüre eingeklemmt hatte. Die Haustüre hatte sie wohl noch nicht ganz geschlossen, weil der Schrei ihres Sohnes bewirkte, dass sie das Verschließen stoppte. Der Kinderarzt konnte jedenfalls keine gravierende Quetschung feststellen. Nicht uninteressant war die Diskussion zwischen meiner Frau und unserer Tochter, als sie den Vorfall mitbekommen hatte. Unsere Tochter diskutierte lediglich, dass sie nicht Schuld gewesen war. Was wirklich geschehen war, darum druckste sie sich herum. Wie in den Vorjahren, halfen wir auf dem Weihnachtsmarkt im Nachbarort an dem Stand des Fördervereins für die Behinderten. Viel Kaffee, Kakao und Glühwein tranken die Besucher des Weihnachtsmarktes, und von 10 bis 14 Uhr trugen wir leere Gläser und Tassen in die Küche des angrenzenden Kindergartens, wir spülten und transportierten die gespülten Gläser und Tassen zurück an den Stand, samt voller Kannen Kaffee und Kakao. Mein Schwager half tatkräftig beim Spülen, beim anderen WG-Bewohner, der mithalf, schwand allerdings rasch das Interesse. Nachdem er eine halbe Stunde abgetrocknet hatte, bekam er Hunger und spazierte über den Weihnachtsmarkt, um Waffeln zu essen. Gesättigt, half er dennoch nicht in der Küche, sondern sackte in einen Sessel im Eingangsbereich und döste vor sich hin. Zu nichts war er zu bewegen und zu gebrauchen, so dass wir ihn irgend wann in die Dreier-WG zurück schickten. Indes beschäftigte sich der dritte WG-Bewohner anderweitig. Er war bereits aktiv gewesen mit Hörspielen, wozu er Rollen an seine Betreuerinnen und an uns verteilt hatte. Märchen hatte er als Hörspiel aufgenommen oder auch das Musical „König der Löwen“. Diesmal übte er sich und andere, die er eingespannt hatte, im Gesang. Seine Singstimme von Karaoke waren durch die halb geöffnete Türe zu hören, und er wollte nicht aufhören zu singen.
2. Dezember 2024
Heute Abend war das Planungstreffen der ZWAR-Gruppe des historischen Köln für die Agenda 2025, was wir im neuen Jahr unternehmen wollten. Einen Bewertungsbogen einer Vorauswahl mit 20 Aktivitäten hatte ich entworfen, wozu Führungen angeboten wurden. Der Besuch war sehr rege im griechischen Restaurant in unserem Ort, im Erdgeschoss hatten wir einen kompletten Tisch für uns, insgesamt 27 Bewertungsbögen konnte ich einsammeln, erste Auswertungen machte ich am Folgetag. Das Echo war überwältigend, und die sehr große Runde überraschte mich mit einem Weihnachtsgeschenk, indem alle Geld in einem Umschlag gesammelt hatten. Es herrschte aber nicht nur ganz viel Friede und Freude und eine positive Einstimmung auf das Weihnachtsfest, sondern es wurde auch lecker gegessen und miteinander geredet. Neben mir saßen zwei Urgesteine aus unserem Ort, die dementsprechend lange in die Vergangenheit zurück blicken konnten. Beide kannten die Pfarrer aus längst vergangenen Zeiten, davon hatte der eine den Pfarrer als Messdiener kennen gelernt. Im Krieg hatte er im Kopf eine Schussverletzung erlitten, seitdem trug er eine Metallplatte im Kopf, die ihm größere Schmerzen verursachte. Um diese Schmerzen zu lindern, trank er gerne Alkohol. So hatte es Messen gegeben, die er mehr oder weniger lallend über die Bühne brachte. Dieselbe Benebelung mit Alkohol geschah während der Ausflüge der Messdiener, die die Pfarre spendierte. Während sich der Küster um die Messdiener kümmerte, verschwand der Pastor rasch in der nächst gelegenen Kneipe, wo er sich maßlos betrank und mehr oder weniger torkelnd den Bus zur Heimfahrt bestieg. Mein Tischnachbar erzählte des weiteren über seine Zeit als Jugendlicher zu Hause. So wie es in der Zeit vor und nach 1968 üblich war, trug man gerne lange Haare, die bis über die Schultern reichten. Sei Vater hatte offenbar ein Problem mit seinem Aussehen, das den gängigen Konventionen widersprach. Blicke reichten aus, um Zorn zu erzeugen. Gemeinsames Schweigen drückte eine Eiseskälte aus. Dabei war ihm seine Langhaarfrisur höchst lästig. Das Haarewaschen war eine fürchterliche Prozedur, der Wust von Haaren beeinträchtigte massiv das Gesichtsfeld, es war einfach viel zu viel um den ganzen Kopf herum. Jeden Tag schwor er sich, durchhalten zu müssen. All die Last seiner Haare erduldete er, um gegen seinen Vater zu opponieren. Und diesen Widerstand hielt er durch. Dann redeten wir über die Nutzung des Deutschland-Ticket, welches er mit seiner Frau rege für Zugfahrten durch das Rheintal, das Moseltal, nach Koblenz, nach Trier und anderen schönen Orten nutzte. Ich hoffte, dass ich gemeinsam mit meiner Frau, die noch kein Deutschland-Ticket besaß, ähnlich schöne Erlebnisse haben würde. Erneut erlebten wir in der Geselligkeit unserer ZWAR-Gruppe einen sehr schönen Abend. Und wir waren uns sicher, dass wir im neuen Jahr viele schöne gemeinsame Führungen durch Köln erleben würden.
3. Dezember 2024
Niedergang in der Ladenpassage vor dem Hauptbahnhof. Wie viele Geschäfte dort geschlossen hatten, war erschreckend. Die Baustelle war damals, das war um das Jahr 2018, riesig gewesen. Groß bis sehr groß war der Aufwand gewesen, die Ladenzeile vom Busbahnhof zum Hauptbahnhof umzubauen. Mit einer größeren Auswahl an Restaurants war die Ladenpassage anfangs sehr schön gewesen, man konnte dort schön sitzen und auch lecker essen. Doch dann kamen zwei Unwetter (eines davon zeitgleich mit der Hochwasserkatastrophe an der Ahr), welche unter anderem die ganzen Elektroninstallationen lahm gelegt hatten. Mehr als zwei Jahre dauerte es danach, dass die Restaurants wieder eröffnen konnten. Nach dieser Wiedereröffnung ging es nur noch bergab, als sukzessive die Restaurants wieder schlossen. So sind die Lücken groß geworden, die Gastronomie hat kaum noch Auswahl zu bieten, ein paar Billig-Back-Ketten haben sich behaupten können. Bei REWE to go, dm und LIDL fühlt sich die Kundenfrequenz halbwegs normal an. Der Rest dreht sich in einer Abwärtsspirale, in der die Laufkundschaft wegrennt und das Angebot stetig ausgedünnt wird.
4. Dezember 2024
All die Weihnachtsbeleuchtung, all die Weihnachtsgirlanden, all die Weihnachtskugeln und all das Tannenbaumgrün verstärkten den Effekt, dass einem die Zeit davon rannte. All dieses Weihnachtliche signalisierte, dass das Weihnachtsfest immer näher bevor stand. So viel gab es zu machen und zu tun, man selbst rannte und tat, darunter erledigten wir aber kaum etwas, was direkt mit dem Weihnachtsfest zusammen hing. „Plätzchen backen“, das las ich gerade auf einer Schilderliste im Café, was alles für das Weihnachtsfest zu tun hatte. Genau dies war eines derjenigen Dinge, die wir unbedingt erledigen wollten mit unserem Enkelkind, aber ständig und dauerhaft waren wir irgend wie anderweitig beschäftigt (wenn man vielleicht von Spül- und Hol- und Bringtätigkeiten auf dem Weihnachtsmarkt im Nachbarort am letzten Wochenende absah). Heute fuhr ich zu dem 14-tägigen Basistreffen unserer ZWAR-Gruppe, wo ich Aktuelles aus unserer Gruppe des historischen Köln berichtete. Plätzchen Backen, meine Erinnerungen daran waren eher negativ gefärbt, als ich Spritzgebäck Jahr für Jahr meistens alleine für den Weihnachtsmarkt ím Nachbarort gebacken hatte. Das war eine Ganztagesaktion, die alles andere lahm gelegt hatte, Blech für Blech hatte ich in den Backofen geschoben, eine ständige Reproduktion des aus dem Fleischwolf gedrehten und in Form gebrachten Teiges. Und niemand half für ein paar Plätzchentüten, die im Handumdrehen auf dem Weihnachtsmarkt verkauft worden waren. Zwischen all dem Weihnachtsgedudele und Weihnachtsdeko in den Schaufenstern drohte ich, in diesem Jahr mit alledem, was ich an meinem Arbeitsplatz vor meinem Abschied noch zu erledigen hatte, zerrieben zu werden. Viele Kollegen stürmten auf mich ein, um mein so wichtiges Fachwissen vor meinem Weggang noch teilen zu können. Fein und sauber hatte ich in einer Liste alles herunter geschrieben, welche Themen zu übergeben waren und was nach meinem Weggang auf die anderen zukommen würde. Hochdruck herrschte so zu allen Tageszeiten. Kam ich nach Hause, galt es, Bilder von meinem dienstlichen Rechner zu kopieren, vom dienstlichen auf mein neues privates Handy war ebenso jede Menge an Bildern, Kontakten und Notizen herüber zu retten. Zurzeit hörte der Druck nicht auf, erst mit meinem Ausstand würde dieser allmählich nachlassen, so richtig erst nach Weihnachten, wenn die Weihnachtsmärkte wieder abgebaut wurden und unser Christbaum, den wir noch nicht gekauft hatten, in unserem Wintergarten stehen würde.
5. Dezember 2024
Auf diesen Ausblick würde ich in baldiger Zukunft verzichten müssen. Wie viele Tage es in der baldigen Zukunft sein würden, das konnte ich mittlerweile an einer Hand abzählen. Diese Tage, dass ich noch arbeiten musste, zerronnen dahin in einem schwindenden Zeitfenster. Dieser Ausblick war nicht gerade hübsch, er befreite aber, weil sich die Höhe der Bürobauten und der Weitblick sinnvoll kombinierten. An der gegenüberliegenden Front der Bürobauten spielten sich dieselben Leiden und Freuden, derselbe Stress und dieselben Aufgeregtheiten, dieselben Führungsstile und dieselben Arbeitsmethoden ab wie in den Bürowelten auf unserem Stockwerk. Dass der Blick in die Weiten der Rheinaue schweifen konnte, inspirierte: der Blick beflügelte, die Momente waren nicht selten, dass das Denken in neue Horizonte vorstoßen konnte. Arbeitswelten konnten Ideen hervor bringen, die letztlich zwar in rechnerische Kalküle gepresst waren, aber immer noch Freiräume ließen für zwischenmenschliche Beziehungsebenen. Es gab auch Erfolgserlebnisse, die im Zusammenhalt des Teams bestehen konnten oder auch netten, freundlichen, liebgewonnenen Kollegen. Von diesen Welten galt es bald Abschied zu nehmen, ein Abschied, der mir schwerfallen würde. Und so blieb mein Blick nicht stehen, er schwankte zwischen dem Monitor meines Bildschirms und den aalglatten Bürohausfassaden, die in gemessenen Einheiten hinauf strebten.
6. Dezember 2024
Der Nikolaustag war ein Tag, an dem sich meine Frau zunächst massiv ärgerte. Im Rahmen des Behindertentreffs fand nachmittags die Weihnachtsfeier statt. Ein Nikolaus war organisiert worden, jeder bekam eine Tüte mit Plätzchen und Geschenken, gemütlich saß man beisammen und es wurden bestimmt auch Weihnachtslieder gesungen. Als meine Frau denn losfahren wollte und ihren Bruder mitnehmen wollte, hockte dieser starr vor seinem Fernseher und das einzige Wort, was er heraus brachte, war ein „Nein“. Er war nicht ansprechbar, er konnte sich nicht erklären, er sträubte sich dagegen, sich von der Stelle zu bewegen, dazwischen dieses unumstößliche „Nein“. Meine Frau musste sich ins Äußerste zusammen reißen, um nicht auszurasten, dass alles Einreden auf ihren Bruder zwecklos war. So blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn zu Hause zu lassen, was war aber mit den beiden anderen Bewohnern der Dreier-WG ? Der eine ging mit seiner Freundin zu Fuß zur Weihnachtsfeier, der andere schwankte in seinen Absichten, was er wollte. Es fanden nämlich zeitgleich die Weihnachtsfeiern der Lebenshilfe und des Behindertentreffs statt, zunächst hatte er die Weihnachtsfeier des Behindertentreffs favorisiert, zuletzt aber diejenige der Lebenshilfe, zumindest war die Weihnachtsfeier auf seinem Kalender durchgestrichen. Meine Frau fragte ihn nach seinen Absichten. Ja, er wolle zur Weihnachtsfeier der Lebenshilfe, und seine Betreuerin wolle ihn dorthin abholen. Mittlerweile ging es aber bereits auf 16 Uhr zu, so dass die Weihnachtsfeier entweder bereits begonnen hatte oder bald beginnen würde. Mit seiner Betreuerin habe er wohl keine konkrete Uhrzeit verabredet, sei wolle ihn aber abholen. Auf die Bitte meiner Frau, sie auf ihrem Handy anzurufen, meldete sie sich nicht. So entschlossen sich die beiden kurzerhand, ihn mitzunehmen zur Weihnachtsfeier des Behindertentreffs, außerdem saßen unsere Tochter plus ihr Sohn bereits in unserem Auto. Den Nikolaus wollten sie sich auf keinen Fall entgehen lassen. So lief die Weihnachtsfeier mit den anwesenden Behinderten harmonisch, schön und nett ab. In einer Tüte bekam alle ein paar Kleinigkeiten als Geschenk, man sang Weihnachtslieder, und meine Frau musste der Runde irgend etwas vorgaukeln, als sie ihren Bruder wegen Krankheit entschuldigte. Und unser Enkelkind bekam ganz große Augen, als er den Nikolaus erblickte. Wie es seine Art war, musste man ihn am Händchen nehmen, damit der den Saal des Pfarrheims erkunden konnte. Als der Nikolaus erschien, näherte er sich dieser rot gekleideten Person allmählich und blieb ehrfürchtig etwa einen Meter vor ihm stehen. Ale meine Frau zum Haus der Dreier-WG zurück kehrte, erwartete sie ihren Bruder trotzig, schweigend, nichts sagend, in sich gekehrt und böse Blicke auf das Weltgeschehen richtend. Doch er gab sich nicht ganz so wortlos, wie meine Frau ihn erwartet hatte, wodurch der Ärger meiner Frau sich erneut steigerte. Er fragte nach dem Geburtstag einer guten Freundin nach. Dorthin waren wir sowie er abends eingeladen, irgend etwas musste ihn blockiert haben, dass er eine Abneigung gegen die Weihnachtsfeier des Behindertentreffs verspürt hatte, während diesem Geburtstag wiederum zugeneigt war. Außerdem fragte er nach seinem Weizenbier, ob er denn abends sein Weizenbier bekommen würde, was den Wutpegel meiner Gattin besonders erhöhte. Nun denn, als meine Frau zu uns nach Hause zurück kehrte, schüttete sie all ihr Missfallen aus. Meine Entscheidung, den Schwager zum Geburtstag mitzunehmen, akzeptierte sie trotz all der Begleitumstände. Seine Wesensart, widerspenstig zu sein und sich zu sperren, während man ihn als Behinderten andererseits teilhaben lassen musste, würde sich beständig nach dem Lustprinzip durch wursteln können, das zu tun, wozu er Lust hatte und das zu vermeiden, was Unlust in ihm hervor rief. Am Abend hatte sich unsere Freundin jede Menge Arbeit gemacht, Salate zuzubereiten, Frikadellen zu braten, Brühwürstchen abzukochen und Vanillepudding als Nachtisch zuzubereiten. Wir erzählten uns vieles und lachten. Der älteste Sohn unserer Freundin hatte nach der Geburt rote Haare gehabt, was in der Optik allgemein ein Problem darstellte. Nach mehreren Jahren wuchs sich dieser Rotton heraus, dann nahmen seine Haare einen normalen dunklen Farbton an. Meine Frau erinnerte sich, dass auf der Neugeborenenstation, als unsere älteste Tochter geboren wurde, eine Tochter mit roten Haaren geboren hatten. Darauf geriet sie in Panik. Zum Thema Geburt erzählte meine Frau, dass sie in der Nachbarschaft einer jungen Frau begegnete, die in demselben Zeitraum schwanger war wie unsere Tochter. Ihre Mutter kannte sie, und sie befragte sie, nachdem unsere Tochter ihren Sohn geboren hatte, wie es denn ihrem Enkelkind gehe. Bei ihrer Tochter war der schlechtest nur denkbare Fall eingetreten. Ihre Tochter hatte Zwillinge geboren, die als Frühgeburt beide bereits im September geboren worden waren. Ein Kind war an einer Gehirnblutung gestorben, das andere hatte mehrere Operationen nur mit Mühe überlebt und war nun schwerstbehindert. Unsere Freundin, die Geburtstag feierte, hatte ihren derzeitigen Hund aus Russland. Abends um 22 Uhr ging sie regelmäßig mit ihm spazieren, doch nachts und 2 Uhr wurde er genauso regelmäßig wach und weckte den Rest der Familie, wenn er ins Bett kriechen wollte. In der Zeit, als sie noch in Köln gewohnt hatten, war ihr erster Hund besonders aggressiv. „Terrier von Lindenthal“ nannten andere ihn, und irgend wann musste er eingeschläfert werden. Ein anderer Hund, den sie besessen hatten, war ein wahnsinniges Kraftpaket. Einmal war sie mit ihm im Kiosk einkaufen gegangen, dabei hatte sie ihn draußen an einem Fahrradständer angebunden. Mit einem Mal hörte sie in den Innenräumen des Kiosks ein schepperndes Geräusch. Als sie nach draußen trat, sah sie, wie der Hund den Fahrradständer von der Stelle gerissen hatte und über die Straße schleifte. Als sie mit ihrem Sohn einen Urlaub auf Kuba verbrachte, Dort pflegten die Einwohner die Gewohnheit, dass Hunde, die eine Hundemarke trugen, in Imbissen, Geschäften und Restaurants Essen schnorren durften. Die andere Freundin, die ebenso bei dem Geburtstag anwesend war, erzählte vom früheren Hund ihrer Tante. Wenn ihre Familie aß, musste man aufpassen, dass er am Esstisch kein Essen wegaß. So hatte er einmal einen Großteil einer Packung Margarine ausgeleckt. Ein anderes Mal ging die Tante mit dem Hund, einem Dalmatiner, im Feld spazieren. Als sie Kühen auf der Wiese begegneten, erstaunten die jeweiligen Tierarten vor ihren schwarz-weißen Flecken, indem sie sich einander zuwandten. Dieses Staunen übertrug sich so sehr auf die Tante, dass sie augenblicklich ihr Gleichgewicht verlor und ausrutschte. Dabei rutschte sie so unglücklich aus, dass sie in einen Kuhfladen fiel. Wir erzählten indes von unserem Enkelkind, dass gleich mit vier Katzen in einem Hause lebte. Innig war das Verhältnis zu unserem Kater Rambo geworden, als sich dieser in unserem Bett gekuschelt hatte, während unser Enkelkind schlief. Als unser Enkelkind aufwachte, griff er fest in das Fell des Katers, wobei er dieses einmassierte. Dabei wich unser Kater nicht von der Stelle, sondern ihm gefiel diese Prozedur auf seinem massigen Körper offenbar. Dann kamen wir auf das Thema Bundeswehr. Der Mann unserer Freundin, die ihren Geburtstag feierte, hatte durchweg positive Erinnerungen an seine Bundeswehrzeit. Stationiert war er als Wehrpflichtiger in Koblenz gewesen, wo er mit anderen Soldaten tatsächlich ein Bordell besucht hatte. Nachdem es dort Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte, waren die Soldaten aus der Kaserne dort ein zweites Mal erschienen und hatten eine Treppe von oben nach unten zerlegt, sogar ein Spind war auf die Straße geflogen. Wir redeten sogar über ein ernstes Thema, das war der Ukraine-Krieg, wobei wir die EU-Kommissarin von der Leyen als Schwachstelle identifizierten. In ihrer Zeit als Verteidigungsministerin war die Stärke der Bundeswehr weiter abgebaut worden, so dass wir heutzutage nicht mehr verteidigungsfähig waren. Aus einem Interview wurde sie zitiert, dass sie keines ihrer Kinder zur Bundeswehr schicken würde. Nach elf Uhr, als mehrere von uns die Müdigkeit überfiel, trennten wir uns. Und der Schwager war noch topfit und hatte es bei mehreren Gläsern Weizenbier gut ausgehalten.
7. Dezember 2024
Über die bürokratischen Strukturen im Hintergrund der Betreuung der Dreier-WG sind wir bisweilen entsetzt. Ergreifen wir die Initiative, deren Alltag angenehmer zu gestalten, werden wir oftmals zurück gepfiffen, dass die Dinge so bleiben sollen, wie sie sind. Und dies aus dem Grunde, dass die drei Bewohner Empfänger von Sozialleistungen sind. Nur in geringem Umfang sind sie zahliungsfähig, so dass das Geld an allen Ecken und Enden fehlt. So hatten wir im Sommer für die Terrasse einen Sonnenschirm gekauft, der bei LIDL im Angebot gewesen war, sowie Ersatz für zwei zerbrochene Kaffeetassen. Den Sonnenschirm, der 127 Euro gekostet hatte, und die beiden Kaffeetassen, die 10 Euro gekostet hatten, war vom Konto des Schwagers beglichen worden. Meine Frau hatte versucht, diese Beträge auf die WG-Einkäufe, die für alle Bewohner zu tätigen sind, anzurechnen. Dies mit dem Standortbüro der Lebenshilfe für das betreute Wohnen auszuregeln, misslang. Die zuständige Mitarbeiterin erläuterte meiner Frau, dass Beträge erst dann angerechnet werden könnten, wenn die dieses Betreuungsbüro ziugestimmt hätte, was bei dem Sonnenschirm und den Kaffeetassen nicht der Fall gewesen sei. Also blieb der Schwager auf diesen Kosten sitzen. Dies bedeutet dann aber auch, dass die Bewohner auf der Terrasse im Sommer in der prallen Sonne sitzen sollen. Beim Kaffeetrinken müssen sie mit dem knappen Kontingent an Tassen klar kommen, anderenfalls müssen sie den Kaffee aus Gläsern oder anderen Behältnissen trinken. Über so viel Theater rund um einen Sonnenschirm und zwei Kaffeetassen sind wir entsetzt. Denselben Zirkus hatten wir an anderer Stelle, als wir am Wochenende Brötchen für die Dreier-WG besorgt hatten. Erst hieß es, die Brötchen müssten voraus bezahlt werden, wenn wir diese besorgen. Später wurde uns sogar gänzlich verboten, die Brötchen mitzubringen. Die Betreuerinnen vor Ort tun normalerweise ihr bestes, die Behinderten vor Ort zu betreuen. Aber die Strukturen dahinter: nein danke !
8. Dezember 2024
Vor meiner Zurruhesetzung war viel zu viel gleichzeitig zu erledigen. Für meine Tätigkeiten würde es keinen Nachfolger geben, so dass ich in der 49. Kalenderwoche meine Kollegen über die zu übernehmenden Tätigkeiten aufklärte. Die dafür verfügbare Zeit, meinen Kollegen diese Tätigkeiten zu erzählen, war viel zu kurz, was zeigte, dass das im Verlauf von Jahrzehnten gewachsene Fachwissen quasi unersetzlich war. Parallel dazu war für mich persönlich sehr wichtig, Fotos, Bilder und Dateien vom dienstlichen Laptop auf mein neues Laptop zu übertragen. Dasselbe galt für das Handy, wo ich viel zu viele private Fotos auf das neue private Handy übertragen musste. Notizen und Kontakte waren ebenso zu übertragen, was unserem Sohn ohne jegliches händisches Kopieren über die Cloud mit einem Übertragungskabel gelang. Wie in jedem Jahr, rücken so all die Besorgungen, To do’s und Weihnachtsgeschenke für das Weihnachtsfest in den Hintergrund. Mir fehlte der Überblick, wer wem was schenken würde. Das einzige, worum ich mich gekümmert hatte, war eine Tischreservierung für den Abend des ersten Weihnachtsfeiertages im indischen Restaurant in unserem Ort. Vor mir her schob ich genauso die Situation nach meiner Zurruhesetzung, mit etwa 1.500 Euro netto pro Monat weniger auskommen zu müssen. Musste ich alle Fixkosten wie bisher begleichen, musste ich so gerade mit 200 Euro im Monat auskommen. Was unser Enkelkind betraf, waren die drei Zähne in der 49. Kalenderwoche das wesentliche Ereignis. Viele Spielzeuge mussten zum Kauen und Beißen in seinen Mund, was dazu geführt hatte, dass drei Zähne den Durchbruch in seinen Mund gefunden hatten. Gläschen bis zum 10. Monat aß er mittlerweile. Dass er von demselben Essen mitaß, was wir aßen, soweit hatten wir uns noch nicht hervor gewagt.
9. Dezember 2024
Unser Sonntag benötigte ein paar Anläufe, um zum Bonner Weihnachtsmarkt zu finden. Die Absicht meiner Frau war klar gewesen: mit Tochter und Enkelkind wollten wir zusammen zum Weihnachtsmarkt aufbrechen und dort herum bummeln, so wie wir es regelmäßig in der Vorweihnachtszeit getan hatten, bis Corona alles auf den Kopf gestellt hatte. In der Zeit nach Corona hatten sich die Wege unserer Familie dann verlaufen. So wollten wir die Zeit gemeinsamen Verweilens auf dem Weihnachtsmarkt wieder zurück gedreht haben, doch die sonntägliche Bereitschaft sollten sich als etwas komplizierter heraus stellen. Unsere Tochter hatte nicht den wirklichen Antrieb, so dass die Abläufe dahin trudelten. Spät stand sie auf, spät frühstückten wir, bis sich das Spielchen initiierte, wie es sonntags des öfteren auftrat. Mittags bekam unser Sohn Hunger, wofür ich mit meiner Essensplanung vorgesorgt hatte, so dass ich mit einigen Enthaltungen und wenigen Mehrheiten die marinierten Paprikaschnitzel mit Fritten im Backofen und Gurkensalat aus zwei Gurken, die bereits eine Woche alt waren, zubereitete. Wir aßen zu Mittag, während unser Enkelkind eingeschlafen war, und selbst als es wieder aufwachte, begab sich unsere Tochter in die Nachbarschaft, um unseren ausgebüxten Kater Oskar wieder einzusammeln. Des dauerte lange bis sehr lange, weil er in den benachbarten Gärten herum streunte. Wir hatten bereits fast 16 Uhr erreicht, als ich die Hoffnung bereits aufgegeben hatte, den Weihnachtsmarkt zu Gesicht zu bekommen. Auch der Schwager hatte bereits angerufen, in dem Telefonat hatte er mit Unlust auf den Vorschlag reagiert, er solle mit dem Rollator bei uns vorbei schauen und sein Weizenbier bei uns abholen. Dieser rückte in einem Dialog mit meiner Frau wieder in den Vordergrund, er säße zu Hause nur herum, er täte nichts, er stünde unter einer Dauerberieselung durch das Fernsehprogramm, während er eigentlich gerne zum Weihnachtsmarkt gefahren wäre (danach hatte er mich mehrmals gefragt). Als logische Konsequenz daraus ergab sich, ihn anzurufen, um nicht vielleicht doch noch zum Weihnachtsmarkt zu gelangen. So tat ich es denn auch, ging zu Fuß zu ihm, sammelte ihn ein und fuhr zusammen mit ihm mit dem Bus zum Weihnachtsmarkt. Dort drehten wir eine Runde von einem Ende zum anderen, und er schwärmte davon, dass er nicht nur mit mir, sondern auch mit seiner Betreuerin am kommenden Mittwoch den Weihnachtsmarkt besuchen würde. Als wir am Stand mit der Weihnachtspyramide gegenüber der Münsterkirche einen Glühwein tranken, erzählte er mr, dass der eine WG-Bewohner ihm ein Fertiggericht mit einer Bratwurst weggegessen habe -vermutlich, weil er kein Geld mehr in der Geldbörse für Lebensmitteleinkäufe hatte. Die Freundin des anderen WG-Bewohners hatte in Kürze Geburtstag, an dem die beiden – wie in jedem Jahr – im chinesischen Restaurant essen gehen wollten. Die ganze Woche hatte er Urlaub gehabt, in dem er zu einem Großteil DvDs geschaut hatte – die Staffeln von Raumschiff Enterprise hatte er rauf und runter geschaut. Um 18 Uhr beeindruckte das schwere Glockengeläut der Münsterkirche, etwas irritiert war ich am Glühweinstand, als eine im schwarzen Gewand voll verhüllte Frau, in dessen Gesicht nur noch die Augen heraus lugten, mit ihrem Mann über den Weihnachtsmarkt spazierte. Da der Schwager nur noch fünfzehn Euro in seiner Geldbörse hatte, durfte der Besuch des Weihnachtsmarktes nicht so riesig üppig ausfallen. Nach dem Glühwein aßen wir noch eine Krakauer. Nachdem wir diese verspeist hatten, fragte ich den Schwager, ob er noch Lust auf einen Kaffee habe, was er verneinte. Den Rückweg über den Weihnachtsmarkt passten wir so ab, dass wir den Bus um 19.00 Uhr am Busbahnhof erreichten. So gegen viertel vor acht war ich denn zu Hause.
10. Dezember 2024
Was für eine Rede sollte ich halten ? Viel zu viel war zu meinem Abgang zu regeln, mein Arbeitskollege würde mich übermorgen mit seinem Auto zu Hause abholen,, um all den Kuchen, das Gebäck und die Getränke ins Büro zu transportieren. Seine Ankunftszeit hatte ich geregelt, die Autofahrt zur Bäckerei war noch zu machen, neues Laptop, neues Handy, gestern trat das Problemfeld Online-Banking auf. Einen neuen Aktivierungscode brauchte ich für das neue Handy – dort blieb ich in ausweglosen Schleifen zwischen Handy und Online-Banking hängen. Zeit, darüber nachzudenken, wie meine Abschiedsworte auszuformulieren wären, hatte ich nicht. Gewiss würde sehr viel Positives dabei sein. Stets hatte ich Sinn und Inhalt in meiner Arbeit gesehen, nette Arbeitskollegen hatten mich umgeben, auch nette Chefs und ein Arbeitgeber, der den Rahmen für ein angenehmes Arbeitsumfeld geboten hatte. Dass wir ein Team waren, hatten wir gelebt, und so etwas wie die Leitlinien der Zusammenarbeit hatten wir gut beherzigt. Ich war nie ein großer Redner gewesen, und so würde ich es auch bei meinem Abschied halten. Große Momente ? Was ich vielleicht großes geleistet hatte, war die Umsetzung von Personalabbau, weil wir viel zu viel Personal an Bord hatten, doch dies war eher ein unangenehmes Thema zu berechnen, wie hoch diese Personenzahl genau war. Ansonsten war ich eher darauf bedacht, flach und unauffällig am Arbeitsplatz zu sein und den Finger dann zu heben, wenn es nötig war. Weil sich im Moment zu viel tat, stand mir der Kopf nicht danach, an der einen großen Rede herum zu grübeln. Es fiel mir ohnehin schwer genug, das Ende umzusetzen. Die letzten Tage abzuarbeiten, die unvollendeten Dinge zu übergeben. Und zu wissen, dass all das Fachwissen von mehreren Jahrzehnten nicht ersetzbar sein würde. Die Dinge, die nach mir kommen würden, konnte ich getrost ausblenden. Niemand würde die Erwartungshaltung hegen, dass die eine große Rede kommen würde, anstatt dessen würde vieles Gedachte in diese Zeilen fließen, die ich just in diesem Moment in diesem Café nieder schrieb …
11. Dezember 2024
Den Bewohnern der Dreier-WG hatten wir eine Freude bereitet, indem wir mit ihnen in der Vorweihnachtszeit im griechischen Restaurant essen gegangen waren. Wir hatten dasselbe griechische Restaurant ausgewählt, wo wir bereits vor einer Woche mit unserer ZWAR-Gruppe gewesen waren. Die Bewohner aßen Steak, Hähnchenbrustfilet und Gyros, wobei der eine WG-Bewohner gerne Schnitzel gegessen hätte und auf Hähnchenbrustfilet auswich, weil keine Schnitzel auf der Speisekarte standen. Der andere WG-Bewohner äußerte sich lobend, weil er diesmal von seinem Steak satt geworden war – ganz im Gegensatz zu der Pizzeria, wo der Schwager seinen Geburtstag gefeiert hatte, dort hatte dieser WG-Bewohner zusätzlich zu einer Pizza Calzone noch einen Nachtisch und einen Teller Spaghetti Bolognese gegessen. Der vorherige WG-Bewohner erzählte von früheren Urlauben in Marokko und Italien, im neuen Jahr wäre er gerne in Urlaub gefahren. Dies war in den vergangenen Jahren daran gescheitert, dass er auf das Vermögen, das er besaß, nicht zugreifen konnte. Von seinem monatlichen Taschengeld konnte er sich keinen Urlaub leisten. Drei Tüten mit Süßigkeiten, Keksen und Nikoläusen, die meine Frau fertig gemacht hatte, bekamen die WG-Bewohner geschenkt. Den meisten Wirbel verursachte unser Enkelkind, den wir mit seiner Mama und ihrem Freund mitgenommen hatten. Die Zeit dauerte einigermaßen kurz, dass wir ihn in seinem Hochstuhl beschäftigt bekamen, Eine gewisse Zeit kaute er an seinem Brot, das zur Vorspeise des Salates gereicht worden war, dann wollte er auf unseren Schoß genommen werden. Nach weniger als einer Minute wollte er auf dem Boden stehen und anschließend am Händchen genommen werden, um durch das Restaurant zu laufen. Hin und her spazierte er durch das Restaurant, was ihm naturgemäß einen riesigen Spaß bereitete, weil er an solch einem Ort noch nie hatte laufen dürfen. Besonders interessant waren diejenigen Stellen, die er nicht betreten durfte wie etwa das Treppenhaus. So durften wir uns abwechseln, ihn am Händchen herum zu führen, einer von uns durfte sich mit dem Enkelkind beschäftigen, die anderen konnten währenddessen essen. Ganz spannend wurde es, als wir zu Ende gegessen hatten. Er drängte immer mehr in den Küchenbereich, wo die verschlossene Türe auch verschlossen bleiben sollte: diese Stelle war schlichtweg zu gefährlich, weil die Kellner ihn beim Öffnen der Türe übersehen konnten, so dass die Türe gegen seinen Körper knallen konnte. Dies zu vermeiden, war schwierig, ständig mussten wir ihn fernhalten von der Küchentüre, wohin er drängte. Dies beschäftigte einen von uns dauerhaft, bis wir nach rund zwei Stunden Anwesenheit das Restaurant verließen, dann war es nämlich Zeit für unser Enkelkind, ins Bett zu gehen. Vier von uns tranken zum Abschluss einen Uozo, wobei wir den Scherz des einen WG-Bewohners missverstanden hatten. Er trank nämlich nie Alkohol, bestellte aber einen Uozo. Als er uns mitteilte, dass seine Ouzo-Bestellung ein Scherz gewesen sei, leerte der Schwager diesen Ouzo, so dass er in Summe zwei Uozo trank. Obschon er zuvor zwei Weizenbier getrunken hatte, sah sein Gang mit seinem Rollator noch sicher aus. Indes konnten wir uns mit Tochter, Freund und Enkelkind mit unserem Auto auf den Nachhauseweg machen.
12. Dezember 2024
Fahrten mit dem Bus nutzte ich normalerweise, um in einem Buch zu lesen, doch diesmal war alles anders. Bis kurz vor 15 Uhr hatte ich im Büro gearbeitet, danach fuhr ich mit der Straßenbahn in die Stadtmitte, um bei zwei Banken die Umstellung des Online-Bankings auf mein neues Handy in die Wege zu leiten. Die eine Bank wollte mir einen neuen Aktivierungscode zusenden, in der anderen Bank fluchte die Mitarbeitern über das IT-System, weil sich dieses aufgehangen hatte. Gleichwohl gelang es ihr nach einem Telefonat mit einem Mitarbeiter einen Aktivierungscode hervor zu zaubern, so dass das Online-Banking auf dem neuen Handy bereits in der Filiale wieder funktionierte. Mit dem Bus fuhr ich zu der Bäckerei in unserem Ort, wo ich Kuchen sowie Hefeteilchen für den Tag des Ausstandes bestellen wollte. Unendliche Male schob ich während der Busfahrt die Bestellung in meinem Kopf hin und her. Ich kalkulierte die Personenzahl: genau 18 Personen hatten zugesagt, dazu drei mit Vorbehalt, von dreien hatte ich keine Antwort erhalten, dann würden vielleicht noch welche dazukommen, die in den Teams der eingeladenen Personen saßen, die ich aber nicht kannte, weil sie neu waren. Also kalkulierte ich etwa 25 Personen. Bienenstich und Schwarzwälder Schnitten wollte ich bestellen, dazu Hefeteilchen, abends wollte ich Fassbrause einkaufen. Aber wie viel ? Diese Fragestellung befand sich in dem üblichen Spannungsfeld, wie man es von Familienfeiern kennt. Man wollte sich nicht als geizig geben, also eher großzügig die Menge überschlagen. Mir ging aber auch noch die Grundsatzfrage durch den Kopf: war diese Kombination von Kuchen mit Fassbrause und Mineralwasser (einen Kasten Mineralwasser wollte ich besorgen) überhaupt die richtige ? Ich erinnerte mich an mein 40-jähriges Dienstjubiläum, als ich Pflaumenkuchen besorgte hatte, ebenso in der Kombination mit Fassbrause, was gepasst hatte. Allerdings war in dieser Jahreszeit im Dezember kein Pflaumenkuchen zu bekommen. Die Busfahrt war ein ständiges Verwerfen und Neudenken, wobei die Auswahl genauso schwankte wie die Stückzahl. Schließlich einigte ich mich in meinem Kopf auf eine Zwölfer-Kombination. 12x Bienenstich, 12x Nussschnitte (die Schwarzwälder Schnitte war für eine frühe Uhrzeit morgens um 7:30 Uhr nicht bestellbar) und 12x Hefeteilchen. Dabei waren die Hefeteilchen so groß, dass man sie durchschneiden konnte und 24 Stück daraus teilen konnte. Das war eine Stückzahl von 48 bei 25 kalkulierten Personen. Das sollte passen und nicht zu wenig sein. Schließlich konnte man die Reste nach Hause mitnehmen. So gab ich denn die Bestellung auf und sah mit absoluter Hochspannung dem Donnerstagmorgen entgegen, an dem mich mein Arbeitskollege zu Hause abholen wollte. Mit ihm würde ich an der Bäckerei vorbei fahren und Kuchen sowie Hefeteilchen abholen.
13. Dezember 2024
Der Tag meines Ausstandes lag wie ein Brett vor meinem Kopf. Eine mentale Blockade, die ein freies Denken behinderte. Es gab nur wenige Ereignisse in meinem Leben, die solche weit reichenden Auswirkungen nach sich zogen. Naturgemäß waren meine Erwartungshaltungen positiv, viel mehr freie Zeit zu haben, dies allerdings mit einem wesentlich knapperen Geldbeutel. Was nützte das höhere Kontingent an Zeit, wenn man überall knausern und geizen musste ? Nun ja, wie ausgeprägt oder weniger ausgeprägt der wirtschaftliche Notstand sein würde, das würde sich noch zeigen. Am heutigen Tag galt es zunächst, den Ausstand gemeinsam mit vielen lieb gewonnenen Kollegen hinter sich zu bringen. Ich konnte mich an kaum einen anderen Tag erinnern, an dem ich dermaßen nervös gewesen war. Kopflos lief ich den ganzen Tag umher, des Denkens unfähig. Die Excel-Tabellen starrte ich an meinem Rechner an, es waren leblose Konstrukte, deren die Ausdruckskraft der Zahlenkombinationen abhanden gekommen war. Bis zur Uhrzeit des Ausstandes von 12.30 Uhr steigerte sich die Anspannung ins Unermeßliche. Unser Team-JF von 9.00 Uhr bis 10.15 Uhr unterbrach diesen Zustand der Anpassung halbwegs, bei dem ich mich von den Kollegen an den Außenstandorten verabschiedete, danach kreisten wieder die Gedanken. Kuchen und Hefteilchen hatte ich in der Bäckerei in unserem Ort besorgt, dazu Fassbrause, einen Kasten Wasser, ein Kollege aus meinem Team hatte mich zu Hause abgeholt, da ich in öffentlichen Verkehrsmitteln diese Menge nicht transportieren konnte. Hatte ich an alles gedacht und nichts vergessen ? Ganz genau fixierte ich die Uhrzeit, wann ich Kuchen und Teilchen und alles, womit ich die eingeladenen Freunde und Weggefährten erfreuen wollte, in unserer Teeküche herrichten wollte. Ob die Fassbrause bei all dem Süßen passen würde, das war mir egal, Fassbrause war mein Getränk, vor allem mochte ich keinen Sekt, der bei anderen Gelegenheiten gerne getrunken wurde. Als es weniger als zehn Minuten bis zum Erscheinen der Eingeladenen war, fiel mir noch ein, dass die Teller für den Kuchen und die Gabeln fehlten. In aller Windeseile holte ich dies nach. Als dann um 12.30 Uhr die ersten Gäste eintrudelten, ließ die Anspannung nicht nach. Rund 30 Gäste hatte ich eingeladen, also keine sehr große Kollegenschaft, 25 hatten davon zugesagt, die dann auch kamen. Die Anspannung löste sich etwas, als mein Teamleiter eine kurze Rede hielt und ein Kollege aus meinem Team eine etwas längere Rede. Als Geschenk übergab er mit einen Gutschein von Thalia und einen anderen Gutschein von Blumen Breuer. Ich entgegnete mit einer Rede, in der ich mein Arbeitsleben und die Arbeitsinhalte als positiv beschrieb, dabei lobte ich vor allem mein Team, da ich während der letzten 20 Jahre sehr viele nette und hilfsbereite Arbeitskollegen gehabt hatte, mit denen die Arbeit Spaß und Freude bereitet hatte. Ich erwähnte auch unser Enkelkind, das den letzten Schub der Motivation für den engagierten Ruhestand geliefert hatte. Mir gelang es nicht, mit allen eingeladenen Gästen zu reden, wobei ich mich besonders über meinen früheren Chef und meine frühere Chefin gefreut hatte. Es waren aber auch andere Weggefährten dabei, die sich in andere Abteilungen verstreut hatten, zum Teil hatte ich mit ihnen gar keine Berührungspunkte mehr. Diese Gespräche brachten mich auf ein weniger angespanntes Niveau herunter. Die Gespräche befreiten, wobei sich die nächsten Fragen stellten, zu welchen zukünftigen ehemaligen Kollegen ich weiter Kontakt halten würde. In den letzten Tagen schrieb ich Chats, um diese privaten Kontaktdaten einzusammeln. Von 12.30 Uhr bis 14.00 Uhr hatte ich den Ausstand als Termin eingestellt, zu sechst saßen wir mit Kollegen aus unserem Team noch bis nach 15 Uhr zusammen. Von allen Seiten erhielt ich Dank für die Einladung, die besten Wünsche für die Zukunft und vor allem Gesundheit. Ein Kollege half beim Aufräumen, und als ich am Arbeitsplatz zurück gekehrt war, war dieselbe Nervosität und Anspannung wieder präsent wie vor dem Ausstand. Mein mentaler Zustand war in sich zusammen gesackt, die Nachwirkungen dieses Tages würden zu groß sein. Von 16.00 Uhr bis 16.45 folgte eine Telefonkonferenz, die mich total nervte. Im Monat November verfehlten wir die Zielerreichung bei der Workbearbeitung Festnetz bei Privatkunden massiv, was daran lag, dass die Direktvermarkter ein eigenes Archiv aufgebaut hatten. Etliche Fragen konnten wir nicht beantworten, so, wer dies entschieden hatte oder inwieweit dies Auswirkungen auf das Kundensegment der kleinen und ittleren Unternehmen haben würde. Bei diesen Fragestellungen waren wir blank, wir konnten lediglich auf die Richtigkeit unserer Mengen verweisen, ei wir aus verschiedensten Richtungen quergeprüft hatten. Das half nicht unbedingt, dass mein mentaler Zustand wieder in ein ruhigeres Fahrwasser gelangen würde. Zu Hause war ich immer noch aufgeputscht, nachdem mein Arbeitskollege mit den Resten von Getränken und Kuchen im Kofferraum seines Autos gefühlt endlos im Stau gestanden hatte. Erst abends bei einer Flasche Rotwein und einer Tüte Chips legte sich meine angespannte Stimmung, doch am nächsten Morgen war ich ganz benebelt von all dem Alkohol und hatte große Mühe, aus meinem Bett heraus zu kommen.
14. Dezember 2024
Nachdem ich am Vortag meinen letzten Arbeitstag gehabt hatte, musste ich mir den Arbeitsstau erst vergegenwärtigen, was alles liegen geblieben war. Gerade in der letzten Woche war die mentale Blockade riesig gewesen, dass mein Kopf nicht frei gewesen war. Mein Denkvermögen hatte sich ausschließlich auf den Büroalltag konzentriert, darüber hinaus hatte der Abschied und der Weggang dominiert. Eine der wichtigsten Dinge, die zu erledigen waren, waren meine Medikamente. Auf einem Zettel notierte ich, für welche Medikamente ich ein neues Rezept benötigte, da diese zur Neige gingen. Die Blutabnahme und die Kontrolle der Cholesterinwerte hatte ich ebenso nach hinten geschoben. Ebenso hatte ich keine Gedanken aufgewendet für Weihnachtsgeschenke. Ich wusste, wir hatten bei Angeboten und auf Kindersachenbasaren einiges für unser Enkelkind besorgt. Aber die restliche Familie ? Ganz zu schweigen vom Weihnachtsbaum und die Stelle im Wintergarten, wo er aufgestellt werden sollte. Dort herrschte schlimmstes Chaos, wovon ich keinen blassen Schimmer hatte, wohin ich dieses wegräumen sollte. Porree im Garten ernten, Sellerie und Rosenkohl ebenso, alles war befroren, aber in gutem Erntezustand. Die Vollständigkeit dessen, was alles liegen geblieben war, überblickte ich nicht. Es waren erste Schlaglichter, was zu tun war neben all den Annehmlichkeiten, die Spaß und Freude bedeuteten.
15. Dezember 2024
In der 50. Kalenderwoche gab es Verwirrungen in der Dreier-WG um eine Weihnachtsfeier. Die Feier in der Behindertenwerkstatt stand noch bevor, im Freitagstreff und in der Lebenshilfe war bereits gefeiert worden (aber an demselben Tag zu derselben Uhrzeit), genauso in der Kegelgruppe. An diesem Mittwoch wollte der Schwager mit seiner Betreuerin eigentlich auf den Weihnachtsmarkt gegangen sein, doch sie erschien später, weil sie zuvor noch einen anderen Betreuungstermin gehabt hatte. Anstatt dessen, so äußerte sich, solle mittwochs in einer Woche in der Dreier-WG eine Weihnachtsfeier statt finden. Klöße mit Rotkohl und Braten wollten die beiden Betreuerinnen kochen, gemeinsam würde man sich zusammen setzen. Dies irritierte uns insofern, weil der eine WG-Bewohner mehrere Wochen zuvor gesagt hatte, er wolle an einer wie auch gearteten Weihnachtsfeier im Haus der Dreier-WG nicht teilnehmen. Dies bestätigten die Eintragungen im Terminkalender der drei WG-Bewohner: bei zweien war der Termin eingetragen, bei dem dritten hingegen nicht. Wenn die Weihnachtsfeier dann nur für zwei Personen geplant war, wieso fuhren die Betreuerinnen denn nicht mit den beiden zum Weihnachtsmarkt, was den beiden viel lieber gewesen wäre ? Es bestand also großer Diskussionsbedarf. Unser Enkelkind ist derweil so mobil, dass er sich beim Saubermachen auf der Couch nur noch hin und her und drehen und wenden will. In der 50. Kalenderwoche bekam dies unsere Tochter nicht mehr unter Kontrolle, so dass ihr Sohn von der Couch auf den Erdboden fiel. Beobachten, so fiel die Diagnose der Kinderärztin aus, und im Verlauf des Tages machte unser Enkelkind einen gewohnt munteren und mobilen Eindruck. Dann übergab er sich allerdings am Freitagabend, nachdem ihm meine Frau ein Fläschchen gegeben hatte, als sie ihn zu Bett gebracht hatte. Wir beobachteten weiter, zumal er am Samstag einen gewohnt topfitten Eindruck machte und wieder normal aß. Ein Erfolgserlebnis hatten wir mit ihm in der 50. Kalenderwoche, als er seine ersten Schritte gemacht hatte. Von der Oma zu seiner Mama im Wohnzimmer, das war bestimmt ein guter Meter, die er freihändig gelaufen war.
16. Dezember 2024
Der Weihnachtsmarkt an Burg Wissem, den wir mit fünf Leuten aus unserer ZWAR-Gruppe aufsuchten, war wirklich schön. In früheren Vor-Corona-Zeiten hatten wir den Nikolaus-Markt in Troisdorf mit unserer Familie besucht, der auch sehr schön gewesen war, hier waren die Stände noch etwas ausgefallener. Es waren weniger die Vereine, sondern Kunsthandwerker, dessen Stände an dem Zubringerweg zur Burg begannen und im Hofbereich der Burg endeten. Und es war rappelvoll, gegen 16 Uhr hatten wir Tageszeit mit der höchsten Besucherfrequenz erwischt. Menschen und Familien drängelten und quetschten sich, besonders an den Glühweinständen gab es überhaupt kein Durchkommen. Wer dieses Überangebot von Advents- und Weihnachtsartikeln überhaupt kaufen würde, meinte einer aus unserer Gruppe. In seinem Keller stünden dermaßen viele Weihnachtssachen und Weihnachts-Dekoartikel, dass er nur mit einem Bruchteil davon sein Haus schmücken könne. Vielen anderen dürfte es ähnlich gehen, also wer würde diese Überfülle kaufen ? An dem Verkaufsstand mit Schlabberlätzen stoppte meine Frau. Ja, an Schlabberlätzen für unser Enkelkind hatten wir durchaus Bedarf. „Das wars“ auf Schlabberlätzen mit dem Schriftzug und der Schriftart von „Starwars“, das sah einfach originell aus. Angelehnt an die Star Wars-Trilogie, passte der Spruch „Fläschchen – das wars“ auf unser Enkelkind, abends trank er noch ein Fläschchen, tagsüber bevorzugte er Brei, Obstgläschen oder ein warmgemachtes Gläschen. Mit seinen ersten durchgekommenen Zähnen freuten wir uns darauf, dass er bald von unserem Essen, wenn es weich genug wäre, mitessen könnte. Ich bekam allerdings massiv Ärger mit der Verkäuferin, als ich diese trotz des Verbotshinweises abfotografierte. Sie beschimpfte mich und drohte mit einer Abmahnung, falls solch ein Foto im Internet auftauchen würde. Für diesen Schriftzug habe sie eine Lizenz erworben, die jede Menge Geld gekostet habe. Ich schwieg, die Problematik von Urheberrechtsverletzungen war mir ein Begriff, im Internet hätte ich ohnehin nichts veröffentlicht, meine Frau kaufte schließlich einen Schlabberlatz, der mit 16 Euro einen wirklich stolzen Preis hatte. Danach wurstelten wir uns weiter durch das Gedrängele. Wichtig war für mich, im Kreis unserer fünf Personen einen Glühwein zu trinken, was bestimmte Erkenntnisse der anderen beförderte. Eine von uns hatte genau dasselbe Alter wie ich erreicht, sie war Lehrerin gewesen und sechs Wochen vor mir war sie in den Ruhestand gegangen. In ihrem Ruhestand hatte sie eine neue Zeitrechnung aufgemacht. Sie wohnte alleine in unserem Ort, ihre Tochter mit ihren beiden Enkelkindern, zwei und sechs Jahre alt, wohnte in ihrer Nähe. Die Perspektive nach vorne definierte sie neu, weil diese endlich war. Zehn, vielleicht fünfzehn Jahre waren vielleicht in einer solchen Qualität zu leben, dass das Leben ohne schlimme Krankheiten noch lebenswert war. Es konnte passieren, dass das Leben in einem Moment eine solche Veränderung erfuhr: ein Schlaganfall, eine Krebsdiagnose oder andere schlimme Krankheiten. Sie zeigte mir ihre Narbe an ihrem Hals, die von einem Schlaganfall rührte. So wie bei meinem Herzinfarkt, hatte dieser keine bleibenden Schäden hinterlassen, die Beeinträchtigungen im Alltag oder bei der Berufsausübung waren vergleichsweise gering. Daher würde sie weniger aufs Geld schauen wie vor der Zurruhesetzung. Es komme auf die Lebensqualität an und weniger darauf, die Ausgaben in einem bestimmten Budgetrahmen zu bestreiten. Mit 65 Jahren habe sie ein Alter erreicht, in dem alles passieren könne. Zielsetzungen habe sie sich vor zehn, zwanzig Jahren vorgenommen. Nun habe sie sich losgelöst von Zielsetzungen, alles sei bei ihr positiv. Die Gegenwart, die Zukunft und was sie gemeinsam in diesem Personenkreis erlebe. Das wichtigste sein fortan die Gesundheit. Dann erzählte sie noch von ihrer 90-jährigen Mutter, sie war nur noch wenig mobil in ihrer Wohnung im Bergischen Land im ersten Stockwerk. Ihre Beschreibungen erinnerten mich an meine eigene Mutter, sie hatte einen nicht zu bändigenden Lebenswillen, sie war aber stur, ihr Stil war bestimmend-kontrollierend, sie war mehrfach gestürzt, sie lebte alleine und sie wollte nicht geholfen werden, indem sie etwa in eine andere Wohnung umzog oder vielleicht sogar ein Pflegeheim. Diese Perspektiven waren wiederum deprimierend, wobei ihre beiden Geschwister im Bergischen Land wohnten und sich um sie kümmerten. An der Imbissbude „La Frite“ aß ich eine große Portion Fritten mit Mayonnaise, so wie man sie in Belgien aus frischen Kartoffeln zubereitete. Als die ersten Stände gegen 19 Uhr zusammen klappten, verließen wir den Weihnachtsmarkt an Burg Wissem und fuhren mit dem Bus nach Hause.
17. Dezember 2024
Heute war ich zum letzten Akt meines dienstlichen Abschieds geschritten. Ausstand am letzten Donnerstag, letzter Arbeitstag am Freitag, heute Abgabe des Equipments, so der hoch trabende Fachbegriff für diejenigen Dinge, die man für die Arbeit so braucht. Laptop und Handy als die allerwichtigsten Dinge mit hoch sensiblen und äußerst wichtigen Daten, aber auch Unternehmensausweis und Zutrittskarte für das Gebäude, die gleichzeitig als Einlesekarte für besonders sensible Daten am Laptop dient. Bemerkenswert war der Unternehmensausweis, der sehr viele Jahre auf dem Buckel hatte, er war dementsprechend abgenutzt, an den Seiten war er abgebrochen, so dass er als solcher kaum noch verwendbar war (ich habe aber dennoch mit diesem rudimentären Fragment zweimal in diesem Jahr Telekom-Gebäude in Mainz und Köln betreten können). War der Abschied mit dem Ausstand noch hoch emotional gewesen, so übergab ich diesen letzten Akt in der Routine des Erledigens. Aus und vorbei würden danach die 43 Jahre der beruflichen Tätigkeit sein, bereits in den letzten Tagen hatte ich es gelernt, nach vorne zu schauen. Vollkommen unaufgeregt wartete ich der Dinge ab, dass die Mitarbeiterin mein technisches Equipment einsammeln würde. Die Mitarbeiterin trug übrigens den türkischen Vornamen Saadet, was so viel wie Glück oder Glückseligkeit bedeutete.
18. Dezember 2024
In der Weihnachtswoche vor dem vierten Advent war ich an gleich zwei Tagen hintereinander in unterschiedlichen Zusammensetzungen in zwei unterschiedlichen Restaurants essen gegangen. Mittwochs hatten wir unser ZWAR-Basistreffen, wozu ich mich mit einer anderen ZWAR’lerin verabredet hatte, die an demselben Tag wie ich ihren letzten Arbeitstag gehabt hatte. Genauer gesagt: ich hatte an diesem Dienstag hatte ich meinen Laptop und mein Handy abgegeben, sie hatte ihren letzten regulären Arbeitstag gehabt. Dabei wurde die Gruppe, die sich nach dem Basistreffen zum gemeinsamen Essen zusammen fand, sogar relativ groß, wir zählten nämlich sieben Personen. Stolz zeigte mir die andere Ruheständlerin Fotos von ihrer Verabschiedung, all ihre Arbeitskollegen waren zu sehen und auch ein Gruppenfoto. Ich bedauerte, dass bei meinem Ausstand niemand Fotos gemacht hatte. Im nachhinein teilten wir beide unser großes Glück, dass der Rahmen eines solchen großen Ereignisses würdig gewesen war, sich persönlich zu verabschieden und lieb gewordene Weggefährten letztmalig in den Räumlichkeiten des Arbeitsplatzes zu sehen. In diesem Restaurant mit den anderen vor dem baldigen Weihnachtsfest zusammen sitzen zu können, hatte eine ähnliche Feierlichkeit. Der informelle Austausch mit den anderen, die unterschiedlichen Gruppen angehörten, belebte. Mein Sitznachbar führte eine Gesprächsgruppe, die rechts neben mit sitzenden Damen gehörten einer Literaturgruppe an (die allerdings geschlossen war). Diese Gespräche mit dem exklusiven Club der Literaturgruppe waren hoch interessant, da mein Interesse an Literatur hoch war, ich las allerdings nur Sachbücher. Wir redeten über Wolfram Eilenberger, den ich zuletzt gelesen hatte, und die Philosophie, womit ich die allgemeine Neugierde erweckte. Querbeet und oberflächlich philosophierten wir über Kant, Nietzsche, Hegel auf einem niedrigen Niveau mit der Idee, ob man nicht vielleicht eine Philosophie-Gruppe eröffnen könne. So sehr diese Idee aus der Luft gegriffen war, sie faszinierte, sie brachte mehr als den historischen Blick zurück, den man aus meiner Gruppe des historischen Köln ableiten konnte, diese Idee war aber noch in einem unreifen Zustand. Es herrschte genau diese Aufbruchstimmung, neue Horizonte zu entdecken, die mich in dieser gemeinsamen Runde beflügelte. Bevor wir uns trennten, erhielt dieser Abend allerdings einen Dämpfer. Tochter und Sohn hatten angefragt, ob wir aus dem Restaurant für sie plus Freund der Tochter Essen mitbringen könnten. Dies taten wir auch, ich erschrak allerdings über die 95 Euro, die zu bezahlen waren. Solch einen Standard von Gesprächsrunden beim gemeinsamen Essen in einem Restaurant aufrecht zu erhalten, würde eine künftige Herausforderung werden bei einem deutlich niedrigeren Einkommen.
19. Dezember 2024
Am folgenden Tag aßen wir mit Arbeitskollegen, die kürzlich zu früheren Arbeitskollegen geworden waren, in einem Restaurant, das diesmal in St. Augustin zu verorten war. Zu sechst fanden wir uns zusammen unter dem Einladungsthema „REFA & Friends“, das waren zwei Kollegen aus dem jetzigen Team, ein Kollege, der vor einem Jahr in den Ruhestand gegangen war, ein Kollege aus einem früheren Nachbarteam und der frühere Chef dieser Kollegen, der nie mein Chef gewesen war. Ein bißchen redeten wir über die Arbeit, etwas mehr über Politik und die EU. Solche etwas fundierteren Diskussionen fehlten ansonsten in denjenigen Runden, in denen ich zusammen saß. Vor allem hatte es mir an Zeit gefehlt, mich sachlich zu informieren, um in solchen Diskussionen überhaupt mitreden zu können. Die Diskussionen betrafen aber nicht nur die EU und die Politik, sie waren fruchtbar und verliefen quer über persönliche und private Themen, über Hobbys oder auch die allgemeine Stimmung in unserer Gesellschaft. Der bereits im Ruhestand befindliche frühere Kollege erzählte von dem sogenannten Glühweinpatschen, wozu sich ein Kreis von früheren und aktiven Kollegen auf dem Bonner Weihnachtmarkt zum Glühweintrinken zusammengefunden hatte. Es war ziemlich spät geworden, und der Kollege musste mit der Bahn vom Bonner Bahnhof nach Bochum zurück fahren. Den vorletzten Zug, den er um 23 Uhr genommen haben wollte, war ausgefallen. Bis zum letzten Zug um 0.00 Uhr aß er noch eine Pizza. Dieser Zug fuhr auch pünktlich, aber infolge der größeren Anzahl von Glühweinen, die er getrunken hatte, war er in der Bahn eingeschlafen. Gegen 1 Uhr wachte er auf, als der Zug die Endstation im Köln-Bonner Flughafen erreicht hatte. Er hätte in Köln-Deutz umsteigen müssen, was er verpasst hatte. Was tun ? So verbrachte er die Nacht am Köln-Bonner Flughafen und hockte sich auf irgend eine Bank. Danach nahm er den ersten Zug am folgenden Tag, das war eine S-Bahn um 3.30 Uhr. Diese nahm er nach Köln-Deutz, wo er noch eine Stunde warten musste, bis der erste Regional-Express nach Bochum fuhr. Irgend wann in aller Herrgottsfrühe war er nach Bochum zurück gekehrt. Dann erzählte er davon, dass er eine frühere Arbeitskollegin, die mittlerweile 74 Jahre alt war, zeitweilig in seiner Wohnung aufgenommen hatte. Mehrere Male geschah es, dass sie sich an die letzten Tage nicht mehr erinnerte. Dann rief sie ihn an, dass sie sich irgendwo in Bochum befand und nicht wüsste, wie sie zu seiner Wohnung zurückfinde. Ob er sie an einer bestimmten Stelle abholen könne. Das klang nach einer begonnenen Demenz und hörte sich nicht gut an. Andere Kollegen erzählten, dass eine Tochter zu einem Schüleraustausch in Illinois in den USA gewesen war. Wir redeten über Flugreisen. Der einstige Chef der REFA-Kollegen, der nie mein Chef gewesen war, mit dem ich allerdings sehr lange während eines Projektes zu tun gehabt hatte, war in diesem Jahr nach Riga geflogen, was ihm sehr gefallen hatte. Er erzählte von einer anderen Flugreise, dass sie am Flughafen Köln/Bonn zum Einchecken bereitstanden und feststellen mussten, dass sie einen Koffer vergessen hatten. Am Urlaubsort mussten sie mit der fehlenden Wäsche auskommen. Wir lachten viel in der Sechserrunde, in derselben Runde sollten wir uns in einem Jahr in der Vorweihnachtszeit wiedersehen.
20. Dezember 2024
Auf dem Esstisch in der Essecke im Wohnzimmer hatte unsere Tochter ein wahres Schlachtfeld hergerichtet, als sie Plätzchen backte. Meine Frau hatte sie gefragt, ob sie Plätzchen in die Krabbelgruppe mitbringen wollte, die stets am Dienstagmorgen stattfand. Im Café hatte ich am Montagnachmittag einen Kaffee getrunken, meine Frau war an ihrem Arbeitsplatz, währenddessen hatte unsere Tochter all ihre Gerätschaften auf dem Tisch ausgebreitet, um Plätzchen zu backen. Teig rührte sie mit dem Mixer in der Rührschüssel an, dabei spritzte der Teig quer über den Tisch bis auf die Eckbank. Unwillkürlich dachte ich an die riesengroße Kleckerei, die in dem Lied der Weihnachtsbäckerei von Rolf Zuchowski besungen wurde. In Form des Teiges rollte sie die Kleckerei auf einem großen Holzbrett aus, stach Formen aus und strich in die Mitte Erdbeermarmelade hinein. Hübsch waren die runden Plätzchen auf jeden Fall anzuschauen. Spritzgebäck, so wie ich die Plätzchen in früheren Jahren alljährlich für den Weihnachtsmarkt im Nachbarort durch den Fleischwolf gedreht hatte, diese Plätzchenform wollte unsere Tochter am nächsten Tag nicht mitgebracht haben. Anstatt dessen stieß sie meine vom Mittagessen zurück gebliebene Kaffeetasse um, dessen kalter Kaffee sich über den Stuhl und den Rucksack meiner Frau ergoss. Außerdem hatte sich der Teig über den Parkettboden verteilt, worauf wir beim Umherbewegen im Wohnzimmer nicht geachtet hatten. Als meine Frau von der Arbeit zurück kehrte, trieb sie nicht nur das Chaos zur Verzweiflung, sondern auch die Fettflecken auf dem Parkettboden. Alleine, um das Schlachtfeld auf dem Esstisch aufzuräumen und wegzuräumen erforderte eine nicht unerhebliche Zeit. Die allerersten Plätzchen, die unsere Tochter selbst gebacken hatte, wurden zuerst einmal schwarz, als sie diese aus dem Backofen heraus geholt hatte. Keine dieser Plätzchen war ausreichend hell, dass man sie probieren konnte. Die nächsten Lagen aus dem Backofen sahen schließlich schön angebräunt aus. Während sich all das Chaos aus der Essecke in der Küche anhäufte und türmte, bat sie mich stolz, einen dieser lecker aussehenden Kekse zu probieren. Doch dieses Risiko wollte ich meiner Zahnprothese nicht antun. Als ich darauf biss, war der Keks steinhart. Hätte ich versucht, ihn durch zu beißen, wäre mir das Risiko zu groß gewesen, dass sie hätte durchbrechen können. Den Teig hatte sie ohne Backpulver geknetet. Meine Frau erklärte ihr, dass in Plätzchenteig Backpulver hinein gehörte (was ich ebenso falsch gemacht hätte). Ich hoffte, dass ich einen außergewöhnlich harten Keks erwischt hatte, so dass den anderen in der Krabbelgruppe die Kekse schmecken würden. Bis lange in den Abend hinein waren wir mit dem Spülen beschäftigt, um all das Geschirr dieser riesengroßen Kleckerei wegzuspülen.
21. Dezember 2024
Noch vor wenigen Tagen, als ich über den Weihnachtsmarkt in unserer Stadt spazierte, kamen mir all die Barrieren und Absperrungen an den Zugängen wie eine Selbstverständlichkeit vor. Mehrfach abgesichert waren diese Absperrungen, Betonklötze, die wie ein Verteidigungswall nebeneinander standen, und eine Absperrwand aus Metall, die in der Mitte heraus gefahren war. Ein Gefühl der absoluten Sicherheit umgab uns, als ich mit dem Schwager über den Weihnachtsmarkt spaziert war. Einmal quer über den Weihnachtsmarkt waren wir spaziert, wir hatten uns in das Gedrängele vor der Weihnachtspyramide mit dem Glühweinstand hinein gemischt, wir hatten es uns gut gehen lassen, unseren Glühwein getrunken und fröhlich in das bunte Treiben hinein geschaut. Wir alle hatten uns in Ruhe gewähnt, Weihnachtsmärkte als Ziel eines Terroranschlages schienen ausgedient zu haben. Doch nun, nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg, haben sich die Zeiten wieder gedreht. Es war ein Einzeltäter, wobei die Umstände und Rätsel im Endeffekt egal sind. Fakt ist, dass massive Angst geschürt wird, Fakt ist ebenso, dass der Islam das Image von Gotteskriegern auf absehbare Zeit nicht mehr los werden wird, gleichwohl diese Gotteskrieger nur einen kleinen Prozentsatz der Islamgläubigen ausmachen werden. Ich werde es mir nicht nehmen lassen, auf einem Weihnachtsmarkt meinen Glühwein trinken zu wollen. Islamische Terroristen werden die Grundlagen unserer Demokratie nicht erschüttern können, ebenso nicht die Geselligkeit, Weihnachtsmärkte zu besuchen, und dennoch ist das Mobilisierungspotenzial von Politikern extrem hoch. Die Bürgermeisterin von Magdeburg, die Bundesinnenministerin, sogar der Bundeskanzler zeigten ihre Präsenz in Magdeburg, die Anteilnahme der Nation und das Gedenken an die Opfer hörten nicht auf. Eine der Schlussfolgerungen aus dem Terrroranschlag war, dass der Konzept der Barrieren und Absperrungen überdacht werden muss. In Magdeburg gab es eine Lücke, so dass Barrieren und Absperrungen umfahren werden konnten. So wähnt man sich in bürgerkriegsähnlichen Zuständen, um Weihnachtsmärkte wie eine Festung abzusichern.
22. Dezember 2024
In der 51. Kalenderwoche, in der Woche des 4. Advent kurz vor Weihnachten, war der Übergang vom Arbeitsleben in den engagierten Ruhestand kaum spürbar. Bis zum Jahresende hätte ich ohnehin Urlaub eingeplant gehabt, um die notwendigen Vorbereitungen für das Weihnachtsfest tätigen zu können. Wir fuhren in den Baumarkt, um Gutscheine über mehr als einhundert Euro einzulösen. Dabei kauften wir einen kleineren Tannenbaum für die Küche in der Dreier-WG. Lichterketten kauften wir im angrenzenden ursprünglichen dänischen Bettenlager, das sich nun „JYSK“ nannte. Für unseren eigenen Haushalt fuhren wir ins Feld und kauften einen Weihnachtsbaum. In der 51. Kalenderwoche gab es Ärger um die Nebenkostennachzahlung des einen WG-Bewohners. Diese hatte sich rechnerisch ergeben, nachdem das Sozialamt die Stromkosten nur teilweise übernommen hatte (im Sinne der Nebenkostenverordnung wird nur Hausbeleuchtung gezahlt). Insgesamt zweimal mussten wir die gesetzliche Betreuerin erinnern, bevor die Nachzahlung auf dem Girokonto eingegangen war. In der 51. Kalenderwoche erfuhr die Chefin meiner Frau die nieder schmetternde Diagnose, dass sie an Brustkrebs erkrankt war. Bis auf weiteres fiel sie aus, was meine Frau und ihre Kollegin durch Mehrarbeit auffangen mussten. Einen ersten Arzttermin hatte die Chefin meiner Frau erst Mitte Januar.
23. Dezember 2024
Wie sich die Ereignisse am gestrigen Sonntag abgespielt hatten, das konnten wir heute in Gesprächen mit unserer Tochter und ihrem Freund rekonstruieren. Die Abläufe waren jedenfalls höchst unschön, Unzulänglichkeiten von mehreren Seiten wirkten zusammen mit dem Ergebnis, dass sowohl unsere Tochter, ihr Freund und auch wir eine ziemlich schlaflose Nacht verbrachten. Morgens war die Welt noch in Ordnung, als ich unsere Tochter mitsamt Freund zum S-Bahnhof Köln-Porz-Wahn brachte. Die beiden wollten mit der Bahn zum Dortmunder Weihnachtsmarkt fahren, um über den Weihnachtsmarkt zu bummeln und dort einer der größten Weihnachtsbäume in Deutschland zu bestaunen. Ihren Sohn ließ unsere Tochter bei uns zu Hause, weil sie sich noch etwas erkältet fühlte. Das war gegen 11 Uhr, und der Regionalexpress kam soweit auch pünktlich in Dortmund an. Gegen 14 Uhr postete unsere Tochter, wie die beiden über den Weihnachtsmarkt bummelten. Heftig, rege und umtriebig waren wir indes mit der Säuberung und der Herrichtung unseres Wintergartens beschäftigt, wo der Weihnachtsbaum aufgestellt werden sollte. Das war nicht ganz einfach, weil einer von uns parallel dazu unser Enkelkind beschäftigen musste. Nach Entlastung suchend, als meine Frau mit der Zubereitung des Abendessens begonnen hatte, fragte meine Frau bei unserer Tochter nach, wann mit der Rückkehr der beiden zu rechnen sei. Das war gegen 18 Uhr. Ihre Antwort klang nicht vielversprechend: sie habe Pizza auf dem Weihnachtsmarkt gegessen, daraufhin habe sie sich übergeben. Ihr Kreislauf sei vollkommen schlapp, so dass ihr früherer Freund aus Dortmund versuchen wolle, ihr zusätzliches Mineralwasser zu besorgen (sie selbst hatte zwei Flaschen Mineralwasser mitgenommen). Als wir gegen 20 Uhr nachfassten, antwortete der Freund unserer Tochter, sie säßen bei ihrem Ex-Freund (dessen Mutter am Stadtrand mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr weit entfernt vom Zentrum wohnte). Unsere Tochter habe sich nicht geäußert, wann sie gedenke zurück zu fahren. Anderthalb Stunden später erreichte uns eine Nachricht unserer Tochter, die uns zunächst beruhigte: sie säßen in der U-Bahn. Von eigenen Dienstreisen nach Dortmund wusste ich, dass der Hauptbahnhof nicht mehr weit weg war, wenn man die U-Bahn benutzte. Im Internet schaute ich nach, dass um 21.44 Uhr ein Regionalexpress in einer Stunde und zwanzig Minuten direkt nach Köln fuhr, um 21.07 Uhr folgte die nächste Direktverbindung nach Köln, der Zug benötigte allerdings eine Stunde und fünfzig Minuten. Diese beiden Bahnverbindungen hätten für eine Rückfahrt gut klappen können, doch eine Stunde später erreichte uns die Nachricht, dass sie immer noch in der U-Bahn säßen. Im nachhinein stellte sich heraus, dass sie mit der U-Bahn einmal quer durch die Stadt gefahren waren, dabei hatten sie die Haltestation des Hauptbahnhofs übersehen. Ab dieser Uhrzeit wurden die Rückfahrten nach Hause kritisch, da der letzte Bus vom S-Bahnhof Köln-Porz-Wahn um 1:24 Uhr zu uns nach Hause abfuhr. Unsere Tochter hatte sich auf den Regionalexpress 1 als Direktverbindung nach Köln fixiert. Den Zug um 22.44 Uhr hatte sie verpasst, der darauf folgende Zug, der nicht mehr im Stundentakt fuhr, fiel aus. Erst um 0:45 Uhr war wieder ein Regionalexpress 1 angekündigt. Wir hingen derweil die Weihnachtsbeleuchtung an unserem Tannenbaum auf, meine Frau begann mit dem Schmücken, und gegen ein Uhr wurde meine Müdigkeit übermächtig, so dass ich mich ins Bett begab. Trotz all der Aufgewühltheit gelang es mir einzuschlafen, wobei der Schlaf allerdings oberflächlich und albtraumhaft war. Irgend wann rissen mich Stimmen aus dem Schlaf heraus: die Stimmen gehörten zu einer Sprachnachricht, die meine Frau auf ihrem Handy abgehört hatte. Es war kurz nach drei Uhr nachts, unsere Tochter war mit ihrem Freund am Kölner Hauptbahnhof angekommen, und um 3.26 Uhr käme die S-Bahn. Die beiden wollten allerdings ein Taxi nach Hause nehmen, so dass ich mir die Autofahrt nach Köln-Porz-Wahn sparen konnte. Gegen 4:15 Uhr hörte ich Stimmen, als unsere Tochter mit ihrem Freund zurück gekehrt waren. Dann musste ich ihren Freund noch zwei Orte weiter nach Hause fahren, wovon ich gegen 4:45 Uhr zurück kehrte. Unkenntnisse, Überschätzung und eine Chaosplanung hatten zu dieser Odyssee geführt. Der Montag, ein Tag vor Heiligabend, würde uns zerschossen werden. Zumindest waren wir froh, dass die beiden wohl behalten zurück waren.
24. Dezember 2024
Dies war er nun, unser Tannenbaum, den wir in diesem Jahr unter mühseligen Begleitumständen aufgestellt hatten. Während der nötigen Vorbereitungen, unseren Wintergarten herzurichten, mussten wir unser Enkelkind beschäftigen. In einem Alter von zehneinhalb Monaten war er so quirlig und mobil geworden, so dass ständig jemand bei ihm sein musste. Er mochte geahnt haben, was da großartiges geschah, diese feierlichen Vorfreuden auf das Weihnachtsfest unter der Abwesenheit seiner Mama, die eine desaströse Rückfahrt von Dortmund nach Hause erlebte. So schön sei unser Weihnachtsbaum seit vielen Jahren nicht gewesen, das konstatierte meine Frau, so schön schlank und gleichzeitig dicht, die Tannenbäume der letzten Jahre hätten zu sehr in die Breite gestanden. Während seine Mama abwesend war, hatte es erhebliche Mühe gekostet, dass unser Enkelkind erst gegen 23 Uhr einschlief. Erst danach begann meine Frau mit dem Schmücken des Weihnachtsbaumes, was sie am Tag des Heiligabends fortsetzte und vollendete. Trotz des organisatorischen Chaos (unsere Küche war nicht geputzt und sah saumäßig aus) und trotz diverser Unzulänglichkeiten (meine Frau hatte im letzten und in diesem Jahr genau denselben Lego-Dobbie unserer großen Tochter geschenkt) war es ein herausragendes Familienereignis, in dessen Mittelpunkt unser Enkelkind stand. Vor der Lichterkette des Tannenbaums erstaunte er, die Flut von Geschenken wusste er gar nicht, wie er diese auspacken sollte. Zweimal war eine Holzeisenbahn dabei, außerdem schenkten wir stapelbare Kreise, ein Rennauto mit einer Rutsche, eine Klopfbank mit Holzstiften und einem Hammer, eine Motorikschleife mit Holzkugeln und Metallstäben, eine Arche mit lauter Playmobil-Tieren. Es mochte vielleicht etwas üppig sein, unser Enkelkind legte jedenfalls sogleich nach der Bescherung mit dem Spielen los. Und uns gefiel, dass er neues Spielzeug besaß, das er erkunden konnte und seine Fähigkeiten daran austesten konnte. Als er – wieder relativ spät nach 22 Uhr – in seinem Schlaf schlummerte, ließ ich das Erlebte sacken und gab mich mit dem Rest der Familie Harry Potter am Fernseher hin.
25. Dezember 2024
Der erste Weihnachtsfeiertag verpasste mir morgens einen absoluten Schock. Mehrere Gläser Rotwein hatte ich getrunken, irgend wann war ich eingeschlafen, nachts hatte ich mich umgebettet auf die Couch. Dort musste ich schlafen, da die große Tochter im Bett im Gästezimmer schlief. Es war genau 6.40 Uhr, als meine Frau in meinen tiefsten Schlaf mit unserem Enkelkind in unser Wohnzimmer eindrang. Ich war fertig mit der Welt, denn solch einen Abbruch meines dringend benötigten Schlafes verkraftete ich nicht. Wie zu solchen frühen Uhrzeiten üblich, sprühte unser Enkelkind vor Lebensfreude, er war putzmunter und zu allen Taten mit seinen Weihnachtsgeschenken bereit. Mir gelang es überhaupt nicht, in irgend einen Wachrythmus zu finden. Das meiste musste meine Frau übernehmen, erst Fläschchen geben, dann Schlafanzug ausziehen, neue Pempers anziehen, Anziehsachen anziehen. Mit seinen neu geschenkten Spielsachen spielen, Obstgläschen füttern, dann wieder spielen. Bis sich eines von unseren Kindern im Wohnzimmer blicken ließ, das sollte solange dauern, bis unser Enkelkind nach seinem sehr frühen Aktivitätsrhtymus wieder eingeschlafen war und in unserem Bett lag. Erst danach normalisierte sich das Niveau meines Wachzustandes, mein Ich nahm am Familienleben teil, der Zustand der Geistesabwesenheit endete. Bereits am Vortag war mir dringend eingefallen, meinem Bruder per Whatsapp ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen. Am Tag meines Geburtstages war der Kontakt zu ihm vollends eingeschlafen, das war fast ein halbes Jahr her. Die Funkstille war eingetreten, nachdem ich kundgetan hatte, dass ich mich mit dem im Testament vorgesehen Auszahlungsbetrag nicht zufrieden geben würde, da ich mit den Bodenrichtwerten im Internet auf einen deutlich höheren Betrag käme. Dies würde wiederum das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters erfordern. Auf diesen Einwand reagierte er dermaßen entsetzt, dass ihm die Sprache fehlte und er auflegte. Das war einen Tag vor meinem Geburtstag. In der Nacht meines Geburtstages gratulierte er mir noch per Textnachricht, danach herrschte Funkstille. Wir hatten keinerlei Textnachrichten (geschweige denn, Telefonate) ausgetauscht, ob wir uns am Weihnachtsfest besuchen würden. Auf meine Wünsche zum Weihnachtsfest antwortete mein Bruder. Froh bis erleichtert klang die Antwort, welche all die Eiseskälte der ausgebliebenen Kommunikation nicht zu beseitigen wusste.
26. Dezember 2024
Der Moment war hoch brisant, und doch wirkte unsere Tochter deutlich gelassener als die umgebenden Akteure. In der App hatte sie nachgeschaut, dass der nächste Bus um 15.01 Uhr kommen würde. Den Bus hatte sie bevorzugt gegenüber unserem Angebot, sie am zweiten Weihnachtsfeiertag in unserem Auto zu ihrer anderen Oma zu fahren. Dort erwartete, was dieses explosive Gemisch von Brisanz ergab, der Sohn ihrer Oma und der Vater ihres Kindes, der seinen Sohn noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, starr in seiner Haltung hatte er es bislang abgelehnt, seine Vaterschaft anzuerkennen. So umstanden wir alle den Kinderwagen, nachdem ich diesen vor unseren Hauszugang gestellt hatte. Als sie noch eine Viertelstunde Zeit hatte, bis der Bus abfuhr, debattierten wir, ob sie denn alles Notwendige dabei hatte. Ja, Pempers, Feuchttücher und Ersatz-Anziehsachen waren in ihrem Wickel-Rucksack. Sollte es länger als die beabsichtigten zwei Stunden Aufenthalt werden, holte ich ihr ein Obstgläschen aus dem Keller. Es sah so aus, als wäre die Anspannung des Restes ihrer Familie deutlich größer als ihre eigene. Und der Hauptakteur, ihr Sohn, saß aufrecht und nichts ahnend in seiner gelben Jacke im Kinderwagen. Da die Sonne schien, verstaute sie ihre rote Jacke unten im Kinderwagen anstelle diese anzuziehen. Zwang, Müssen, Bevormundung, diese Elemente prägten die Diskussion, dass sie ihre Jacke beiseite schob. Als sie gegen 18 Uhr zurück kehrte, beschrieb sie den weihnachtlichen Besuch bei ihrer Oma und dem Vater des Kindes als relativ normal. Anfangs hatte ihr Sohn geschlafen, dann hatte er gefremdelt, indem er sich ausschließlich an seine Mama geklammert hatte. Lockerer wurde er, als er in der Wohnung umherlaufen konnte und als die Geschenke verteilt wurden. Eisenbahnen waren der Renner als Weihnachtsgeschenk. Unsere Tochter hatte ihm eine aus Holzelementen zusammen steckbare Eisenbahn geschenkt, ich selbst eine Holzeisenbahn mit Waggons, die mit Bauklötzen beladen waren. Nun kam eine intelligente Dampflokomotive dazu, die sich selbst steuerte. Kurven und Wendungen drehte sie, lustige Geräusche gab sie von sich, indem sie quer durch unser Wohnzimmer rauschte und sich aus Ecken und Winkeln heraus bewegte. Die Melodie von Liedern trällerte die Lokomotive vor sich hin: Drei Chinesen mit dem Kontrabass, alle Leute gehn jetzt nach Haus oder Alle meine Entchen ….Es sah so aus, als hätte die Begegnung mit seinem Vater keinerlei Spuren bei unserem Enkelkind hinterlassen, denn wie gewohnt spielte er vollkommen normal und aktiv in seinem Wesen als Energiebündel in unserem Wohnzimmer.
27. Dezember 2024
Ein Mon Chi Chi – ein Geschenk an unser Enkelkind, das ich in dieser Gestalt aus meiner eigenen Kindheit nicht kannte. Wie man der Figur ansehen kann, ist deren Herkunft nach Ostasien zu verorten. Namentlich war es der japanische Spielwarenhersteller Sekiguchi, der diese Wesen 1974 auf den Markt gebracht hatten. Zu dieser Zeit besuchte ich bereits die Mittelstufe des Gymnasiums, als solche Mon Chi Chis noch nicht flächendeckend im Handel erhältlich gewesen sein dürften. Erstmalig begegnete ich einem Mon Chi Chi erst bei unseren eigenen Kindern – ich meine, unsere älteste Tochter hätte einen solchen von den Schwiegereltern geschenkt bekommen. Damals hatte ich die Selbstverständlichkeit etwas komisch gefunden, wie sich eine Puppe den Daumen lutschen konnte und diesen dauerhaft in den Mund stecken konnte. Neben Teddys und anderen Stofftieren gehörten Mon Chi Chis zu den Spielsachen unserer Kinder, nun hatte unser Enkelkind einen solchen Mon Chi Chi von seiner anderen Oma geschenkt bekommen. Da er (noch) so manches in seinen Mund steckt, haben wir dieses knuddelige Wesen von Mon Chi Chi beiseite gelegt. Bestimmt wird der Zeitpunkt kommen, dass er rege und lebhaft damit spielen wird.
28. Dezember 2024
Bekomme ich zum nächsten Monatsletzten (der sich sehr bald nähert) meinen ersten Versorgungsabschlag überwiesen oder nicht ? Bei dieser Fragestellung würde sich in den nächsten Tagen zeigen, inwieweit ich vollkommen ohne Geld dastehen würde oder nicht. Bereits Ende der ersten Dezemberwoche hatte ich Post von der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation mit jede Menge Formularen erhalten. Darin ging es um die Festsetzung meiner Versorgungsbezüge, in meinem Arbeitsleben war ich immer Beamter gewesen, so dass ich eine Pension erhalten würde und nie etwas mit Rentenversicherungen zu tun gehabt hatte. Eine größere Menge von Formularen musste ich an die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation zurück schicken. Unter anderem brauchte die Bundesanstalt Gehaltsbescheinigungen, eine Erklärung, ob ich noch verheiratet oder geschieden war, Angaben über den Familienzuschlag (den erhielt ich für unser Enkelkind) und eine Erklärung über Ausbildungszeiten. Es war nicht die Menge an Unterlagen, die den Formularen beizufügen war, dennoch war ich wegen anderer Dringlichkeiten vor dem Weihnachtsfest nicht dazu gekommen, die Menge an Papier zurück zu schicken. Stutzig wurde ich bei einem Formular, auf dem die Bankverbindung anzugeben war. Fehlte nämlich die Bankverbindung, konnte die Bundesanstalt keine Versorgungsbezüge überweisen. Als ich dies feststellte, fragte ich mich, ob es ein Fehler gewesen war, die Formulare so lange liegen zu lassen. Andererseits stand auf einem Schreiben meines Noch-Arbeitgebers, dass Versorgungsabschläge gezahlt wurden. Derweil hatte ich meine Gehaltsbescheinigungen heraus gesucht (der November fehlte noch) und die Kindergeldnummer der Familienkasse, worunter das Kindergeld für unser Enkelkind an unsere Tochter gezahlt wurde. Ob ich nun Anfang nächster Woche meinen ersten Versorgungsabschlag erhalten würde, dies würde ich abwarten müssen.
29. Dezember 2024
In der 52. Kalenderwoche hatte sich die doppelte Anspannung gelöst, die durch die Zurruhesetzung und das Weihnachtsfest entstanden war. Am Heiligabend hatte ich unsere große Tochter vom Siegburger Bahnhof abgeholt, zuvor hatte ich in der 50. Kalenderwoche in der Teeküche unserer dienstlichen Büroräume meinen Ausstand gegeben. Nach der weihnachtlichen Bescherung unter der Anwesenheit unserer Tochter fielen die Dinge leichter. All die Hektik und all die Betriebsamkeit waren vorbei, und ständig war jemand da, der sich um unser Enkelkind kümmerte, unsere beiden Töchter, unser Sohn und auch – wenn anwesend – der Freund unserer Tochter. Es waren unbekümmerte Tage, die unser Enkelkind spielend durch lebte. Am Samstag fuhr der familiäre Anhang (mit Ausnahme von mir und unserem Sohn) zum Bummeln in die Stadt, währenddessen ich die Gedanken an meinem Laptop loslassen konnte, ein paar Dinge erledigte ich aus dem angestauten Arbeitsstau. Die Damen berichteten über ein Erlebnis im chinesischen Restaurant in der Stadt: unser Sohn hatte mit einem gleichaltrigen Kleinkind geflirtet – so nannten sie es – bei der Begegnung hatte unser Sohn begeisterte Rachenlaute ausgestoßen, während seine Gefährtin wie wild krähte. Kürzere Zeit hatten sich die beiden Familien miteinander unterhalten, bis die andere Familie das Restaurant verlassen hatte. In der Dreier-WG war mein Schwager während der Weihnachtsfeiertage alleine gewesen, da der eine WG-Bewohner bis zum Neujahrstag bei seiner Freundin verweilte, der andere WG-Bewohner verlebte die Weihnachtsfeiertage bei seinen Eltern. Da wir mit uns selbst beschäftigt waren, fehlte uns die Zeit für den Schwager. So gestalteten sich für ihn die Weihnachtstage wenig abwechslungsreich, beinahe ausschließlich hielt er sich zu Hause auf, er schaute viel Fernsehen, darunter flimmerte sein Weihnachtsgeschenk auf dem Fernsehbildschirm, das war die erste Staffel der DVD „Medicopter 117“. Lediglich zum Essen im indischen Restaurant hatten wir ihn mitgenommen. Dort waren wir am Abend des ersten Weihnachtsfeiertages essen gegangen.
30. Dezember 2024
Der Beueler Bahnhofsvorplatz, kein Ort für wahrhaft romantische Gefühle. Wie des öfteren, mussten wir uns mit Unpünktlichkeiten und Unzuverlässigkeiten der Deutschen Bahn herum schlagen. Der Eurocity nach Interlaken, den unsere große Tochter für ihre Rückfahrt nach Freiburg benutzen wollte, hatte Verspätung. Irritierend war, dass sie per Mail über die DB App über eine 45-minütige Verspätung informiert worden war. Daraufhin wollten wir im Zentrum von Beuel einen Kaffee trinken, aber dort verschwand diese Mail, so dass wir weder in der App noch per Mail die Information über die Verspätung hatten. So fuhren wir zurück und stellten unser Auto genau an dieser Stelle mit dem tristen Blick auf den Bahnhofsvorplatz ab. Während ich im Auto sitzen blieb (parken war hier eigentlich verboten), ging unsere Tochter mit meiner Frau an den Bahnsteig, wo eine Durchsage die 45-minütige Verspätung bestätigte. Lange Zeit schlief unser Enkelkind, so dass ich mit ihm im Auto sitzen blieb. Währenddessen konnte ich all die Tristesse dieses Platzes auf mich wirken lassen: das Versperren von Laufwegen durch Bauzäune, die Leere vor dem Bahnhofsgebäude, die Isolation durch die Straßenbahn, die winterliche Kahlheit der wenigen Bäume, die schmucklosen Fassaden der umliegenden vier- bis fünfstöckigen Wohngebäude, die der Verkehrsführung angepasste Geometrie, und nicht zuletzt das trübe, tief herab hängende Grau der Wolken, ohne dass es einen Spritzer regnete. In diese Tristesse schaute ich solange hinein, bis unser Enkelkind in seiner Autoschale aufwachte. Wie der Zufall es wollte, kamen Frau und Tochter vom Bahnsteig zurück, wobei sich die Verspätung in dieser Wartezeit etwas reduziert hatte. Daraufhin nahmen sie unser Enkelkind mit zum Bahnsteig, um ihm die andersartige Umgebung mit denjenigen Zügen zu zeigen, die gerade verkehrten. Zunächst hütete ich unser Auto, das im absoluten Halteverbot stand, später schritt ich zum Bahnsteig. Wie der Zufall es wollte, dauerte es nur wenige Minuten, bis die 45-minütige Verspätung vergangen war und der Eurocity einfuhr. Da der Zug lang, sehr lang war, musste unsere Tochter ganz vorne einsteigen. In meinen Armen erblickte unser Enkelkind nicht mehr, wie seine Tante einstieg, um ihre Rückfahrt nach Freiburg anzutreten. Ohne sie sehen zu können, winkte er dennoch und wunderte sich vielleicht, was für ein großes Gefährt von Zug mit ganz vielen Personenwaggons vor ihm gestanden hatte.
31. Dezember 2024
„Warum sie die Zuversicht nicht verlieren“, unter dieser Überschrift beschrieb die Zeitschrift der katholischen Frauengemeinschaft die Situation der sogenannten Porter Girls in Ghana, das waren Lastenträgerinnen mit 50 Kilogramm schweren runden Bottichen auf ihren Köpfen. Sie lebten in armseligen Verhältnissen und schliefen in irgend welchen Hauseingängen. Die Zuversicht zu bewahren, das hatten sie uns anscheinend aber voraus. Zuversicht, ein Gut, womit wir Deutsche durchgängig unsere Probleme hatten. So führte das Morgenmagazin in der letzten Woche eine Umfrage in einer Fußgängerzone einer nicht erkennbaren deutschen Stadt durch, welche positiven Ereignisse des Jahres 2024 in Erinnerung geblieben waren: da war ein bißchen Fußball-EM, das war es aber so ungefähr. Zu viele weltpolitische Ereignisse hatten sich düster entwickelt, der Krieg in der Ukraine dauerte an, Trump war zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden, die Ampel-Koalition war beendet worden, Volkswagen und Ford steckten in einer tiefen Krise, dazu der Terroranschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Die Stimmung in der Bevölkerung war düster, so dass den Befragten kaum etwas Positives im vergangenen Jahr einfiel. Von Zuversicht war da nichts zu spüren. Ich selbst hatte stets versucht, das positive Denken zu verinnerlichen. Der Zukunft positive Momente abzugewinnen, keine Abwärtsspirale auf einen zukommen zu sehen, ein Jammern auf einen hohen Niveau zu vermeiden, neue Horizonte und Perspektiven zu entdecken. Doch schaute ich selbst auf all die negativen Impacts im letzten Jahr, drohte in der Tat der verinnerlichte Optimismus einem Zweckoptimismus zu weichen: dass die Horizonte schwanden, dass die innere Antriebe eines Optimismus im Widerspruch standen zu den äußeren Rahmenbedingungen. Es sah so aus, als hätten Afrikaner wie die Porter Girls in Ghana uns Deutschen einiges voraus. Definierten wir Deutsche das Wohlstandsniveau als Messlatte für Abstiege und Krisen, konnte es in Ghana und Afrika vielleicht nur noch besser werden. Als Mitteleuropäer mochte uns dieses Nord-Süd-Gefälle wenig bewusst sein, im Lauf unserer Geschichte hatten wir darauf gebaut, dass es direkte Zusammenhänge gab, zwischen dem Wohlstand im Norden und der Armut im Süden. Aber auch global sah dieses Bild von Krisen und Kriegen, schaute man auf den Nahen Osten oder den Sudan, nicht viel besser aus. All diese Last äußerer Bedrohungen würden wir mitnehmen müssen ins neue Jahr. Um Mitternacht würden wir anstoßen auf das neue Jahr, und dennoch hofften wir, dass vieles sich zum besseren wenden würde im neuen Jahr.
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