Tagebuch Juli 2022
1. Juli 2022
Beim diesjährigen Geburtstag suchte ich nach der Analogie zum Geburtstag im letzten Jahr. Damals waren wir chinesisch essen gegangen. Wir hatten Glück gehabt, dass das Essen in Buffetform angeboten worden war. Das Buffet wurde nur auf Bestellung angeboten, der Geburtstag hatte mitten in der Woche gelegen, und zufälligerweise hatten andere Kunden nach dem Buffet nachgefragt. In diesem Jahr wollte ich zunächst in demjenigen chinesischen Restaurant mit dem Buffetangebot essen gegangen sein, dann hatte ich mich trotzdem umentschieden. Wir gingen in dem am Rhein gelegenen China-Restaurant im Nachbarort essen, wo es uns stets – ohne dass ein Buffet angeboten wurde – sehr lecker geschmeckt hatte. An diesem Tag kehrten unsere Tochter mit ihrem Freund aus Dortmund zurück, am S-Bahnhof in Köln-Porz-Wahn holte ich sie ab, ich zog mich noch um, meine Frau wusch ihre Haare, und sodann fuhren wir mit dem Auto ins China-Restaurant. Meine Frau fuhr mit dem Fahrrad, weil wir insgesamt sechs Personen waren. Vielleicht gab dies auch den Ausschlag für das China-Restaurant am Rhein: dass der Freund aus Dortmund einmal den Rhein zu Gesicht bekäme, weil für uns der Rhein ungefähr dieselbe Bedeutung hatte wie Kohle und Stahl für das Ruhrgebiet. Wir parkten auf dem Parkplatz am Rheinufer, der so voll war, dass wir kaum einen Platz gefunden hätten, wäre nicht vor uns ein SUV gerade aus einer Parklücke heraus gefahren. Ausnahmslos aßen wir alle Ente, die auch ausnahmslos sehr lecker war, darunter aß ich die Peking-Ente mit jede Menge Gemüse. Unsere Tochter mit ihrem Freund erzählten unter anderem, dass sie in Dortmund in einem Club gewesen waren, das war eine Riesen-Disco mit einer Vielzahl von Tanzsälen und Tanzflächen. Zwanzig Jugendliche, mit denen sie sich verabredet hatten, waren dorthin gefahren. Mit Ausnahme von zwei anderen Freunden hatte sich alles dort verlaufen, so dass sie die Gruppe dort nicht mehr wieder gesehen hatten. Unsere Tochter war ungefähr den ganzen Abend auf der Tanzfläche gewesen, und ihr Freund hatte gut auf sie aufgepasst. Geburtstag sind ja ein Anlass zu reflektieren und den eigenen Standort zu bestimmen. 63 Jahre war ich alt geworden, und was in der letzten Zeit nachwirkte, das war der Urlaub unserer Nachbarn an der Küste der Picardie in Frankreich. Sie waren an einigen Orten gewesen, die ich früher mit dem Fahrrad bereist hatte. Obschon die Zeit sehr lange zurück lag, wirkten die Orte massiv nach. Auf der Autobahn waren sie an Lille und Arras vorbei gefahren, sie waren in Amiens, Abbeville und der Baie de Somme gewesen. Das löste eine wahre Flut von Reiseplänen aus, wovon die Ziele sich von Nordfrankreich nach Belgien und auch in die Niederlande verlagerten. Nach meinem Herzinfarkt hatte ich meine Pläne ohnehin verlagern müssen, welche Reiseziele mit dem Fahrrad noch machbar waren. Die Reisepläne gingen weg von anspruchsvollen Bergen in der Eifel oder im Siebengebirge zu flacheren Geländen, die in Nordfrankreich, in Belgien oder den Niederlanden vorzufinden waren. Sprich: die Möglichkeiten, trotz eines Herzinfarktes, längere Touren mit dem Fahrrad zu planen, waren immer noch gegeben. Es fehlte aber die Zeit. Ein weiteres Hindernis war, dass meine Frau wahrscheinlich keine Lust auf solche Touren haben würde. So kam dann doch wieder gedanklich das Thema auf den Tisch, in den engagierten Ruhestand zu gehen. Lieber an die Cote d’opale als sich mit KuKo-Mengen zu befassen. Eine ersehnte Rückkehr nach Antwerpen kam mir eher in den Sinn als Cubes auszuwerten. S’Hertogenbosch anstelle Workmengen zu analysieren. Der Knackpunkt war das deutlich niedrigere Einkommen im engagierten Ruhestand. Daran knabberte ich noch.
2. Juli 2022
Bereits am Vortag, als wir im chinesischen Restaurant zusammen gegessen hatten, litt unsere Tochter an Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Zusätzlich schmerzte es in den Ohren, und sie hatte erhöhte Temperatur. Hätte sie nicht eine Corona-Infektion hinter sich gehabt, hätten wir davor Angst haben müssen. Beim Essen im Restaurant hatte sie sich sichtlich zusammen gerissen, um bis zum Schluss dabei sein zu können. Nun steigerte sich das Krankheitsgefühl, dessen Symptome in Dortmund bereits begonnen hatten, sie war aber zu keinem Arzt in Dortmund gegangen. So landeten wir erstmals seit langer, langer Zeit in der Notfallpraxis neben der Kinderklinik in St. Augustin. Früher, als unsere Tochter noch klein gewesen war, waren solche Besuche am Wochenende regelmäßig gewesen. Nun war es bestimmt vier, fünf Jahre her, dass wir uns in den großen Warteraum begaben. Genau fünf Mamas mit ihren Kindern, meist im Kleinkindalter, waren vor uns an der Reihe, in Summe war die Wartezeit moderat. Ich scheute mich, ins Behandlungszimmer mitzukommen, da sie ihren Oberkörper frei machen musste. Die Diagnose des diensthabenden Arztes kam schnell: unsere Tochter hatte eine ordentliche Mittelohrentzündung. Das schmerzte sehr von den Ohren bis in die obere Gesichtshälfte hinein. Dagegen bekam sie ein Antibiotikum, ein Schmerzmittel und Nasentropfen verschrieben, was sie dreimal täglich und eine Woche lang nehmen musste. Wir stellten noch die Frage, wie es denn mit den Karl-May-Festspielen aussehen würde, die wir am Folgetag besuchen wollten. Grundsätzlich bestünden keine Bedenken, erläuterte der Kinderarzt, es hinge aber vom persönlichen Wohlbefinden ab. Vor allem müsse der Schmerz nachlassen. In der Apotheke im REWE-Einkaufszentrum in Ranzel besorgten wir die Medikamente, zweimal nahm unsere Tochter die Medikamente für den Rest des Tages und wir hofften, dass wir sie am nächsten Tag zu den Karl-May-Festspielen mitnehmen konnten.
3. Juli 2022
Ich kann die Jahre kaum noch zählen, wie lange wir die Karl-May-Festspiele besuchen. Im Zyklus von Jahren sind unsere Kinder größer geworden, unsere erwachsenen Kinder begleiten uns schon viele Jahre nicht mehr, anstatt dessen hat unsere kleine Tochter in diesem Jahr ihren Freund im Schlepptau. Die Festspiele rund um Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkins und vielen anderen Western-Legenden haben sich so zu einer Art von Familien-Ritual entwickelt, das uns jedes Jahr auf Neue begeistert, obschon die Geschichten sich ähneln und auch die Kulisse auf der Freileichtbühne sich kaum verändert. Die Pferde rennen, geschossen wird aus allen Rohren, die Guten kämpfen gegen die Bösen, große Explosionen erschüttern. Witz und Humor überlagern dramatische Szenen. Und das schöne ist am Ende: die Guten siegen über die Bösen. Nach zwei Jahren von Corona, war diesmal alles wieder beim Alten. Am Eingang brauchten wir keine Negativtests vorzulegen, in der Indoorhalle fanden wieder Veranstaltungen statt, die Abstände innerhalb der Sitzreihen waren aufgegeben worden. Achso: gespielt wurde der Schatz im Silbersee. So wie jedes Jahr, waren wir vollkommen begeistert.
4. Juli 2022
Dass in der einstigen Bundeshauptstadt doch noch gewisse Hebel der Macht zurück geblieben sind, das belegt dieses unscheinbare Hochhaus. Im Baustil sticht es nicht unbedingt hervor, und es könnte genauso in irgend welchen x-beliebigen Vorstädten in Hamburg, München oder Frankfurt stehen. Architekturpreise waren mit dieser unauffälligen Anordnung der Fensterreihen nicht zu gewinnen, das Bürogebäude ist konventionell, einfach, handlich, mit einem Büroalltag, der in Zeiten von Corona zum großen Teil ins Home Office gewechselt sein wird. In diesen Zeiten des Krieges in der Ukraine werden in diesem Bürogebäude höchst wichtige Entscheidungen getroffen. Vom Oberbegriff her geht es um Energie und um Regulierung. Dort hat die Bundesnetzagentur das Sagen, wenn es um Wettbewerb auf den Energiemärkten geht und um Vorgaben, wann, in welchen Fällen und wie diese Märkte zu regulieren sind. Seitdem Putin den Gasexport gedrosselt hat, geht die große Angst um, dass Unternehmen ihre Produktion einstellen müssen und dass wir im Winter frieren müssen. Aus dem knappen Wirtschaftsgut Gas ergeben sich Verteilungskonflikte, ebenso kann die Bundesnetzagentur Deckelungen für die Preise erlassen. In den nächsten Wochen und Monaten werden in der einstigen Bundeshauptstadt gewisse Puzzlestücke der Macht wieder belebt. Wie kommen wir durch den Winter, wenn der Gashahn abgedreht wird ? Welche Gasmenge bleibt noch übrig aus anderen Ländern als Russland ? Und wie können die explodierenden Gaspreise aufgefangen werden ? Über diese klassischen mikroökonomischen Fragestellungen, wie sich Preise bilden bei einer hohen Nachfrage und einem knappen Angebot, werden sich der Wirtschaftsminister und auch die Bundesnetzagentur den Kopf zerbrechen. Dabei wird bestimmte ganz viel gerechnet werden zu den Erzeugerpreisen von Gas, mit Hilfe von Kalkulationen, es wird auch um Gewinnspannen gehen, und eine Angst wird all die Gaskunden umtreiben, wie verheerend diese Berechnungen in den Büroräumen der Bundesnetzagentur aussehen könnten.
5. Juli 2022
Wir kämpfen ja an vielen Fronten gegen die Bürokratie. Landschaftsverband, Amtsgericht, Sozialamt: die Menschen, mit denen wir zu tun haben, sind höchst unterschiedlich geartet, gerne verstecken sie sich hinter ihren Vorschriften, mal sind sie sperrig, mal nichts ahnend. Eher selten verkörpern sie das, was man im allgemeinen Umgang als kundenorientiert empfindet. Anstatt weiter zu helfen, schmeißen sie einen mit Bergen von Papier zu, selten weisen sie den Weg, wie der Kunde seine Wünsche erfüllt bekommen kann. Als Ausnahme von diesen garstigen und schlecht gelaunten Zeitgenossen, die sich in ihren eigenen Bergen von Papier nicht wohl fühlen können, habe ich das Finanzamt betrachtet. Deren Auskünfte waren stets fachkundig. Was ich wissen wollte, konnten sie mir beantworten, und ich hätte sie sogar Löcher in den Bauch fragen können. Mein Verständnis von BWL und deren Verständnis von Steuern haben sich stets so getroffen, dass ich bei unseren Steuererklärungen ohne einen Steuerberater ausgekommen bin. Während die Heimwerkerei das Hobby vieler anderer Männer ist, habe ich stets eine Hemmschwelle, eine Bohrmaschine in die Hand zu nahmen. Ich verlege mich lieber auf unliebsame Themen wie etwa Steuern. Neben unserer jährlichen Steuererklärung gehörte dazu unsere Anlage V für Vermietung und Verpachtung, wozu ich keinen Steuerberater beanspruchte. Die Steuererklärung für das Jahr 2020 und die Anlage V erledigte ich Ende letzten Jahres. Einmal telefonierte ich mit dem Finanzamt, alles schien klar, und dann kam doch das Loch der Bürokratie. Dass Bearbeitungszeiten beim Finanzamt länger dauern können, das war mir klar. Aber nachdem ich Belege vorgelegt hatte und Fragen beantwortet hatte, hörte ich nichts mehr vom Finanzamt. Das Finanzamt schwieg, keine weiteren Rückfragen, keine Nachricht, und das über einen Zeitraum von einem halben Jahr. Lag unsere Steuererklärung auf irgendeinem Stapel von Fensterbankaufträgen, der vergessen worden war ? Als ich beim Finanzamt telefonisch nachfragte, hörte es sich so an. Alles sei geklärt, die Unterlagen seien fertig, der Bescheid müsse nur noch rausgehen, was vierzehn Tage bis drei Wochen dauern sollte. Wie gut, dass ich nachgefragt hatte. Sonst hätten unsere Steuern noch in Jahrzehnten auf der Fensterbank liegen können.
6. Juli 2022
Im Grunde genommen, ließ sich das Zweckmäßige mit dem Angenehmen verbinden. Gegen halb fünf rief der Schwager an, was mit seiner Logopädie sei. In diesem Moment erinnerte ich mich, was ich inzwischen vergessen hatte. Dienstags hatte der Schwager üblicherweise seine Logopädie-Sitzung, die in dieser Woche auf Mittwoch verschoben worden war. Meine Frau hatte mir dies gesagt, aber nichts im Kalender eingetragen. Die Logopädie hatte ich schlichtweg vergessen, und mit der Verschiebung von Dienstag auf Mittwoch war ich für den Fahrdienst zuständig, da meine Frau mittwochs ganztägig arbeiten musste. Im nachhinein hatte ich noch große Diskussionen, weil ich auf der Hinfahrt an der Bäckerei zum Brotkaufen vorbeifuhr. Das benötigte Brot hätte der Schwager aber auch am Vortag kaufen können, er war nämlich mit seiner Betreuerin unterwegs gewesen, beiden hatten aber nur eine Runde zum Grab des Schwiegervaters gedreht. So setzte ich um halb sechs den Schwager in der Praxis für Logopädie im Nachbarort ab, unser Auto parkte ich am Adenauerplatz. Von dort aus spazierte ich zum Café neben der Kirche, ein inzwischen häufig aufgesuchter Ort, wo ich Pausen- und Ruhezeiten suchte und auch fand. Die Zeit für mich selbst war die Verbindung des Fahrdienstes mit dem Angenehmen. Im Zentrum des Nachbarortes lagen die Örtlichkeiten dicht beieinander, so dass fußläufig während der 45-minütigen Logopädie-Sitzung genügend Zeit für eine Tasse Kaffee übrig blieb, dabei erlaubte ich mir auch ein Stück Herrentorte. Direkt gegenüber der Kirche und fußläufig zum Rhein gelegen, war das Café stets gut frequentiert, zum Frühstücken sonntags morgens oder zum Kaffeetrinken sonntags nachmittags war es gewöhnlich sogar rappelvoll, so dass man bisweilen nur mit Mühe einen Platz bekam. Kurz vor Schließung um 18.30 Uhr war das Café an diesem Tag mäßig frequentiert, ich war allerdings nicht der einzige, der den Kaffee mit einem Stück Kuchen aufwertete. Zehn Minuten zog ich von dem 45-Minuten-Zeitfenster ab, so dass ich kurz nach 18 Uhr zur Logopädie-Praxis tippelte. Noch war die Sitzung nicht beendet, und so lange hockte ich mich im Warteraum der Praxis nieder. Puzzelspiele und Bilderbücher verrieten, dass der Kreis der zu Behandelnden zumeist im Kindesalter zu suchen war. Alsbald erschien die Logopädin mit dem Schwager, ein wenig unterhielten wir uns über ihren anstehenden Urlaub und die anstehende Operation des Leistenbruchs des Schwagers, und dann schritten wir zum Auto zurück.
7. Juli 2022
Ein Hilferuf kurz vor Feierabend, den ich in dieser Form so ungefähr befürchtet hatte. Noch in der Mittagspause hatte ich mich einer meiner Lieblingstätigkeiten gewidmet, das war: mit dem Rennrad durch die Gegend streifen und Cafés zu besuchen. Genau genommen, ging es durch die Umgebung des Büroarbeitsplatzes, in die Richtung des angrenzenden Stadtteils Friesdorf, wo ich früher in dem Maus-Café in der Mittagspause gerne verweilt hatte. Das Maus-Café hatte den Besitzer gewechselt, der versucht hatte, das Café mit mehreren Couch-Gruppen wohnzimmergemäß zu gestalten. Die Bäckereiverkäuferin gab sich redselig, anscheinend kannte man sich im Stadtteil Friesdorf, die Nachbarschaftsatmosphäre war vertraut, während ich aus der vereinzelten Position die ein- und ausgehenden Kunden beobachtete. Ins Büro zurückgekehrt, durchlebte ich den üblichen Büroalltag mit mehr oder weniger strapaziösen Themen, bis mich kurz vor Feierabend dieser Hilferuf ereilte. Es ging um die Mama. Mein Bruder befand sich eine Woche in Urlaub, einen Kurzzeitpflegeplatz hatten wir mit ziemlichen Aufwand arrangieren können, den meine Mutter aber abgelehnt hatte. So konnte eine vernünftige Betreuung nicht gewährleistet werden. Morgens sollte ein Pflegdienst vorbei schauen, um ihr die Stützstrümpfe anzuziehen. Mittags sollte der oder die Mitarbeiterin, die das Essen vorbei brachte, nach dem rechten schauen. Dann kam täglich noch jemand vorbei, der die Katzentoilette reinigte, schließlich war noch meine Tante da. Das sollte doch eigentlich reichen. Prompt erreichte mich am zweiten Tag der Abwesenheit meines Bruders dieser Hilferuf, der von meiner Cousine kam. Der Pflegedienst habe meiner Mutter die Medikamente nicht gebracht. Und weil die Mama ihre Medikamente nicht habe nehmen können, sei ihr schlecht geworden und sie habe den Notruf gedrückt. Danach sei jemand vom Pflegedienst gekommen. Telefonisch habe sie versucht, mich zu erreichen, es habe sich aber niemand um sie gekümmert. Meine Cousine löcherte mich mit Fragen, was denn vereinbart sei mit dem Pflegedienst, was sie für Medikamente nehmen müsse und wieso niemand erreichbar sei. Sie bestätigte aber auch, dass man sie nicht zwingen könne, wenn sie eine Kurzzeitpflege in einem Pflegeheim abgelehnt habe. Einmal täglich wollte die Cousine nach dem rechten schauen, wofür ich ihr dankbar war. Bis Samstag war sie noch bei ihrer Mutter. In Summe mussten wir noch vier Tage überstehen, bis mein Bruder aus dem Urlaub zurück kehren würde.
8. Juli 2022
Wie alljährlich, war der letzte Arbeitstag vor dem Sommerurlaub ein ganz besonderer Tag. Die letzten Dinge waren vor dem Urlaub erledigen, möglichst so, dass niemand anders damit während der Abwesenheit betraut werden musste. Nach 16 Uhr lief dann noch mein Chef auf und prompt stießen wir auf Dinge, die ich zwar in die Wege geleitet hatte, die Kollegen in meinem Team dann aber nicht erledigt hatten. Da müssten die Kollegen schauen, meinte mein Chef, ich selbst solle meinen Urlaub genießen. Die dreiwöchige Auszeit konnte ich gut gebrauchen, von den dienstlichen Themen nichts zu hören und nichts zu sehen, das würde mir gut tun. Zu Hause hatte ich keine besonderen Erwartungen an den Urlaub, da meine Frau im März ihre Stelle gewechselt hatte und in den Sommerferien keinen Urlaub bekommen würde. Zusammen in Urlaub fahren war also nicht drin, es blieben somit nur die Donnerstage und die Freitage als freie Tage meiner Frau, um zusammen etwas zu unternehmen. Es gab aber auch Arbeitsrückstände im Haus der Dreier-WG abzuarbeiten, in unserem Garten war stets ebenso gut etwas zu tun, und so hatte ich zwar meine eigenen Ideen, ich wollte aber abwarten, wie die Dinge sich entwickeln würden. Den Kannenbäckerweg in der Wahner Heide hatte ich im Visier, eine Besichtigung der Drachenburg, den Hammerstein bei Neuwied zu erwandern oder die Erpeler Ley. Ich vermied es, die Planungen allzu sehr auszudehnen, da die Dinge gemeinsam angegangen werden sollten, und ich war mir sicher, dass die nächsten Tage Klarheit bringen würden. Am Abend musste ich die erste Enttäuschung einstecken. Ich wollte eine Karte für das Simple Minds-Konzert am 5. August in der Bonner Rheinaue über Viagogo gebucht haben. Für den Bereich „Front of Stage“ waren nur noch wenige Karten verfügbar, aber die Methode der Bezahlung scheiterte im Netz. Um über Paypal zu zahlen, benötigte ich ein Passwort zur E-Mail Adresse, welches ich aber nicht kannte. Die Sofortüberweisung, wozu ich kein Passwort benötigte, verlinkte zum Girokonto meines Schwagers bei der Sparkasse, was kompletter Blödsinn war. So kapitulierte ich irgendwann nach all den Fehlversuchen. Da die Front of Stage-Tickets bei anderen Veranstaltern ausgebucht waren, konnte ich noch überlegen, einen Stehplatz in der übrigen Masse zu ergattern.
9. Juli 2022
Beginnen wollte ich in meinem Urlaub mit den notwendigen Dingen, die abzuarbeiten waren. Den Vorgarten der Dreier-WG befreite ich von dem massiven Auftritt von Unkraut, was wegen der Menge einige Zeit kostete. Den Rasenschnitt des Nachbarn verteilte ich in unserem Garten, und danach musste ich mich bereits um das Mittagessen kümmern. Maggi Fix mit viel Zucchini, Paprika, Zwiebeln und Reis sollte es geben, und so ziemlich genau in dem Moment, als das Essen auf dem Herd fertig war, kehrte meine Frau von der Arbeit zurück. Nach dem Essen äußerte sie den spontanen Wunsch, in der Troisdorfer Fußgängerzone nach T-Shirts schauen zu wollen. Die T-Shirts benötigte sie, um für die Arbeit angemessen gekleidet zu sein, und eine Weile lang mussten wir in Troisdorf suchen. Der Modeladen, den meine Frau im Visier hatte, hatte bereits um 13 Uhr geschlossen. Daraufhin schaute meine Frau bei Ernstings und bei C&A, wo sie nach mehr oder weniger großem Suchaufwand fündig wurde. In der Herrenabteilung von C&A wurden keine ansehnlichen T-Shirts angeboten, und ein Stockwerk darüber stöberten wir bei Saturn nach einem Handy für den Schwager. Zu Details wollten wir unseren Sohn weiter befragen, so dass wir an der breiten Auswahl von Handys, die mit ihren Displays alle so ziemlich gleich aussahen, in den Auslagen von Saturn nicht weiter kamen. Die Zeit war inzwischen fortgeschritten, allerdings nicht so weit, dass der Hunger so sehr drängte, um in Troisdorf etwas zu essen. Dies verlagerten wir nach Hause, wo sich nach dem Gießen des Gartens das Hungergefühl eingestellt hatte. Wir aßen im chinesischen Restaurant im Nachbarort, wo sich mit dem Blick auf den Rhein das Urlaubsgefühl einstellte. Aus den Innenräumen des Restaurants schauten wir auf den Rhein, diesen breiten Strom, dessen Gelassenheit mich weit weg brachte von den verkorksten Gedankengängen am Arbeitsplatz und auch zu Hause. Auf das Kochen konnten wir verzichten, anstatt dessen waren wir bei dem Essen aus der gußeisernen Pfanne und bei Nasi Goreng für uns. Der Auftakt zum Urlaub verband uns mit dem Essen an einem Tag, an dem die Kombination aus Erledigungen und Erholung passte. So konnte es weiter gehen, und bevor wir das Restaurant verließen, nahmen wir die Ente mit acht Kostbarkeiten für unseren Sohn mit.
10. Juli 2022
Im Grunde genommen war der Tag sehr ereignisreich, so ereignisreich, dass ich abends platt vor dem Fernseher saß und kaum noch Konzentration aufbrachte. Bereits im Vorfeld war das Frühstück, das ich als Geburtstags-Frühstück ausgestaltet hatte, ein Hin- und Hergeschiebe gewesen. Geplant war es ursprünglich im Hafenschlösschen im Nachbarort, das aber wegen Urlaub geschlossen war. So verlegte ich das Frühstück in das Eiscafé in unseren Ort, dazu erhielt ich am Tag zuvor nach zwei Absagen wegen Corona, so dass wir schließlich auf 15 Personen kamen. Wie gewohnt, war die Gesprächsatmosphäre mit der Personenzahl sehr lebhaft und auch sehr schön. Unsere Freundin von der anderen Rheinseite hatte eine schlimme OP hinter sich. Gerade Anfang 50, hatte sie einen Bandscheibenvorfall gehabt und war vor Schmerzen krepiert. Die unteren drei Wirbel der Wirbelsäule mussten ruhig gestellt werden, wozu eine ziemlich lange Metallplatte zwischen die Wirbel geschraubt wurde. Nach dieser äußerst brutalen Aktion war unsere Freundin schmerzfrei, jegliche Bewegung der unteren drei Wirbel war aber unmöglich, was den Alltag grundlegend einschränkte. Sie konnte weniger Gewicht tragen, Bücken war unmöglich, sie konnte nur kurze Zeit stehen, und auch beim Sitzen musste sie ihre richtige Position finden. Autofahren war nicht mehr, Fahrradfahren sowieso nicht, Gehen klappte, Einkaufen konnte sie nur noch stückweise ein paar Dinge, Putzen kaum noch wegen des Streckens und Bückens. Besonders schlimm war, dass sie in ihrem Schrebergarten zur Untätigkeit verdammt war. Ihr Tablettenkonsum lag in einer ähnlichen Größenordnung wie bei mir. Da wir einmal bei Tabletten angekommen waren, fragte ich ihren Lebensgefährten, der ebenso wie ich einen Herzinfarkt erlitten hatte, nach den Unannehmlichkeiten des Tablettenkonsums. Dies verneinte er ganz locker, dass ein guter Weinbrand seinen Körper eher auf Touren brachte als Tabletten. Er verzichtete schlichtweg auf seine Herztabletten – und fühlte sich dabei wohl. Im letzten Jahr war die Mutter unserer Freundin gestorben, und ihr Vater trauerte mit seinen 84 Jahren der verstorbenen Ehefrau sehr nach. In seinem hohen Alter war er noch ziemlich fit, er war viel unterwegs, aber er mied Orte, an denen er zusammen mit seiner Frau gewesen war. Der Sohn unserer Freundin hatte eine Geschlechtsumwandlung durchführen lassen, womit sie sehr locker umging. Sie habe nun eine Sarah, und fortlaufend nannte sie den Vornamen Sarah in vielen Sätzen, als sei die neu erschaffene Sarah ihre ständige Begleiterin. Quasi unvorstellbar erschien dies einer anderen Freundin von uns: sollte sich einer ihrer Söhne in eine Frau verwandeln, würde dies Grenzen überschreiten. Sie würde dies nicht akzeptieren, hätte kein Verständnis dafür und würde sich damit nicht abfinden können. Bei ihnen stand anstatt dessen im Focus der nahende 60. Geburtstag Ihres Ehemannes. Das waren nur noch wenige Tage, und am nächsten Sonntag hatten sie uns zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Als sie ihren Mann darauf ansprach, war ihm weder die Einladung, noch sein runder Geburtstag als Ereignis präsent, anscheinend gehörte dies zu seinen Dingen, die er lieber verdrängte. Besonders glücklich schätzte ich mich, dass unsere thailändische Freundin erschienen war. Zwei Jahre lang war sie zu meinen Geburtstagen verhindert gewesen, sie betrieb einen Imbisswagen, mit dem sie zu Street Food Festivals gefahren war. Mit Corona waren die letzten beiden Jahre eine Katastrophe gewesen, nur ganz wenige Street Food Festivals hätten statt gefunden, so dass sie mit Catering ihr Geld verdient hatte. Auch momentan war Catering ihr Schwerpunkt, wenngleich sie in einer Woche auf einem Street Food Festival im Nachbarort war. Mit ihren Gesprächen mischte unsere thailändische Freundin die Runde ordentlich auf. Sie redete mit unseren Nachbarn, die ansonsten etwas isoliert waren von unserem Freundeskreis, über thailändische Küche. Ebenso unterhielt sie sich mit unserer Freundin aus Madagaskar über Obst und Gemüse aus den hiesigen Anbauformen, die sich zwischen Thailand und Madagaskar ähnelten. Ich hatte keine Ahnung, was Papayas waren, aber der Salat aus Papays musste wohl sehr lecker sein. Sie redeten über Früchte, die maßlos stanken, aber unwahrscheinlich lecker schmeckten. Mit der Freundin aus Madagaskar und ihren Mann, der aus der Aachener Gegend kam, redeten wir über unseren gemeinsamen Ausflug nach Essen, den wir in den nächsten Wochen planten. Unsere Freundin aus Thailand und zwei aus der Dreier-WG waren die letzten Personen, die uns verließen. Zuvor hatte unsere Freundin von der anderen Rheinseite in Wesseling uns verlassen, weil sie einen Corona-Testtermin hatte. Die andere Freundin nahm Reißaus von den Wespen, die uns alle ganz hartnäckig belagerten. Das gemeinsame Frühstück war sehr schön und eine Alternative zum gemeinsamen Restaurant-Besuch, so wie ich es in den Vorjahren gehandhabt hatte.
11. Juli 2022
Die düsteren Töne mag ich eigentlich überhaupt nicht. Auswege hat es immer noch gegeben, der Optimismus hat den Pessimismus meistens besiegt, die Lebensfreude ist nie klein zu kriegen. Aber die Szenarien und Entwicklungen, die sich abzeichnen, neigen im Ukraine-Krieg mehr zum Pessimismus. Der russische Eroberungskrieg setzt sich durch, das Artilleriefeuer bestimmt, wo es lang geht, der russische Präsident sitzt am längeren Hebel. Wir haben nicht nur zu fürchten, dass er uns den Gashahn abdreht, sondern auch, dass er irgend wann durch die Ukraine durch marschieren wird. Die Form des Abnutzungskrieges zeigt seine Wirkung. Es wäre denkbar, dass der russische Präsident einen Diktatfrieden anbietet, wenn er ein gewisses Territorium erobert hat. Aber er kann genauso weiter marschieren, und die Stimmen mehren sich, dass die Ukraine diesen Krieg nie gewinnen kann, weil sie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen sind. Dieser Krieg auf europäischem Territorium verbreitet so eine gewisse Grundangst: all die Bilder zerstörter Städte, Bomben, Raketen und die russische Feuerwalze, Kriegstote unter Soldaten und unter der Zivilbevölkerung, eine Angst baut sich auf, dass der Krieg weiter um sich greift und immer neue Gebiete erfasst, womöglich bis nach Deutschland hinein. Und Deutschland läge mit den Iskander-Raketen in Westpreußen durchaus in erreichbarer Entfernung. Die über 70 Jahre Frieden in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg haben Risse bekommen. Die Angst vor einem Flächenbrand nimmt zu. Bis zu einer atomaren Katastrophe, die niemand als allerletzte Option eigentlich will.
12. Juli 2022
In diesen Tagen und Wochen wächst die Schafgarbe besonders üppig. Ihr Wachstum ist nicht aufzuhalten, Wiesen füllen sich großflächig mit den kreisförmig angeordneten Einzelblüten, ein weißer Blütenteppich bedeckt den Rasen im Haus unserer Dreier-WG, die fein gegliederten Blätter nehmen Überhand auf schmalen Grasstreifen, und sie sprießen selbst aus schmalen Ritzen am Straßenrand heraus. Gegen das trockene Wetter sind sie resistent, Sonne und Hitze können sie gut vertragen. Das ist hübsch anzuschauen und verschönert unsere Felder, die ich mit dem Fahrrad durchquert habe, um mich mit meinem Zimmergenossen zu treffen. Zwei Jahre ist es her, dass ich mit eben diesem Zimmergenossen auf demselben Zimmer im Krankenhaus Köln-Porz gelegen hatte, beide Herzinfarkt, wir beide hatten dieses lebensbedrohliche Ereignis gut überstanden, wir beide konnten mit kleineren Einschränkungen den Alltag gut bewältigen. Die gemeinsame Krankengeschichte verbindet. Auf dem Weg zu unserem Treffpunkt in Troisdorf-Spich, wo ich mit dem Fahrrad durch die Felder fuhr, munterten mich diese Bündel von Schafgarben auf. Der Anblick des Siebengebirges im Hintergrund war kolossal, die Erhebungen der Berge legten sich majestätisch über die flache Ebene. Die Schafgarbe verbreitete Optimismus, dass das Leben trotz Herzinfarkt in gewohnten Bahnen weiter gehen konnte.
13. Juli 2022
Seit zwei Jahren sei sein Raymon sein treuer Begleiter, das meinte mein Zimmergenosse aus dem Krankenhaus Köln-Porz. Der Raymon, das war die Marke seines e-Bikes, womit er seine Strecken in und um Troisdorf zurücklegte. Nachdem wir im Café in Troisdorf-Spich gefrühstückt hatten, nahmen wir die Strecke in Angriff, die wir uns ausgedacht hatten. Obschon wir mehrere Jahrzehnte hier wohnten, waren für uns beide so manche Streckenabschnitte unbekanntes Terrain. Das erste Stück von Spich nach Troisdorf, das durch die Ausläufer des Waldgebietes der Wahner Heide führte, war mi vollkommen unbekannt. Genauso wenig kannte mein Begleiter den Streckenabschnitt durch die schwarze Kolonie im Stadtteil Friedrich-Wilhelms-Hütte, das waren Arbeiterwohnungen der nahe gelegenen Mannstaedt-Werke, die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden waren. Noch weniger kannte er die Fahrstrecke über den Siegdamm, der der abwechslungsreichen Vegetation der Siegaue vorgelagert war. Sein Raymon spulte die Kilometer lässig herunter, und als wir unser Zwischenziel, die Siegfähre, erreichten, wunderte er sich, dass es von Spich bis zur Siegfähre nur zehn Kilometer gewesen waren. Dort legte der Raymon eine Pause ein, und obschon die Siegfähre werktags zur Ferienzeit gut frequentiert war, kamen bei sonnigem und nicht zu heißem Wetter Urlaubsgefühle auf. Ich fuhr mit meiner Familie nicht in den Sommerurlaub, er hatte im Juni in der Toskana Urlaub gemacht, und an den Ufern der Sieg brauchte ich weder die Toskana, noch das Mittelmeer, die Nordsee, die Ostsee, den Bodensee oder andere Gewässer, wo man den Urlaub verbringen konnte. Mir reichte die Pause und die Apfelschorle für diese Urlaubsgefühle, während die Sieg bei niedrigem Wasserstand seicht vor sich daher plätscherte. Uns fiel auf, dass sich weitgehend ältere Semester in der Biergartenatmosphäre versammelt hatten. Dabei waren wir nur unwesentlich jünger im Vergleich zu den Rentnern, die sich in großen Gruppen zusammen geschart hatten. Wir fuhren weiter über Bergheim, und sein Raymon spulte geduldig seine Kilometer ab durch die Felder, bis wir bei uns zu Hause ankamen.
14. Juli 2022
An gewöhnlichen Tageszeiten, zu gewöhnlichen Jahreszeiten und an gewöhnlichen Situationen nimmt man die Rheinpromenade im Nachbarort wie eine Postkartenidylle wahr. Der Rhein plätschert sachte daher, das Siebengebirge grüßt im Hintergrund, die Schiffe arbeiten sich über den breiten Strom, die bunt bemalte Autofähre tuckert hin und her. In diesen Tagen und Wochen könnte die Idylle perfekt sein, wäre da nicht die Trockenheit. Die Natur steht unter Stress, im Frühjahr hat es viel zu wenig geregnet und in den letzten Wochen ist der Regen ausgeblieben. Die heißen Tage, die in Wellen aufgekommen sind, haben den Rasen ausgedörrt. Vollkommen verblasst gibt der Rasen eine bedauernswerte Kulisse ab für die Rheinpromenade, wo Passanten in aller Gelassenheit den Tag ausklingen lassen. Der Wasserstand des Rheins sinkt, an die fünf Zentimeter pro Tag, das hat die Aktuelle Stunde im Fernsehen berichtet. Und die Fahrrinne auf dem Rhein wird noch schmaler werden, denn Regen ist mittelfristig nicht in Sicht. Zu gewöhnlichen Jahreszeiten würde der Sonnenuntergang beeindrucken, doch die Postkartenidylle ist dahin. Angestrengt, steht die Natur unter Hochspannung. Das Stressgefühl färbt ab, die Harmonie ist verflogen. Die Zerstörungspotenziale schlummern.
15. Juli 2022
Ist unsere Tochter zu Hause, dann ist sie prompt wieder weg. Es gibt da keine Zweifel, dass der Schwerpunkt ihrer Anwesenheit in Dortmund liegt, was mit dem Neun-Euro-Ticket – beziehungsweise ihrem Schülerticket – gut erreichbar ist. Sie kehrt dann zurück, wenn sie Arzttermine hat. Letzten Donnerstag war sie weg mit ihrem Freund, wo sich die beiden in Dortmund eingekuschelt haben. Diesen Donnerstag hatte sie einen Termin beim Frauenarzt. Am Vortag war sie zurück gekehrt, gegen acht Uhr abends hatte ich sie am S-Bahnhof Porz-Wahn abgeholt. Hastiges Auspacken zu Hause, genauso hastiges Verschwinden auf ihr Zimmer. Vor dem Arzttermin um 14.30 Uhr verschwand sie im Bad, das Baden war lang und ausgiebig, aber umgekehrt so zeitgerecht, dass sie den Arzttermin gerade noch so schaffte. Dass wir unsere Tochter so sporadisch sehen, stört uns nicht unbedingt. Inzwischen hatte sie geäußert, dass sie am nächsten Tag mit dem Zug wieder zurück wolle nach Dortmund. Das waren weniger als zwei Tage Anwesenheit bei uns zu Hause. Rückkehr wegen Arzttermin, dann wieder verschwunden. Den Koffer hatte sie wieder gepackt, und die nächste Stippvisite bei uns dürfte ganz ähnlich aussehen: am nächsten Mittwoch hat sie den nächsten Arzttermin, diesmal beim Kieferorthopäden.
16. Juli 2022
Als die beiden Damen von der Jury sich unserer thailändischen Freundin Thita zuwendeten, wimmelte sie ab. Wir waren auf dem Street Food Festival in unserem Nachbarort, wo unsere thailändische Freundin sich glücklich schätzte, dass all die Verbote von Corona wieder vorbei waren. Street Food Festivals durften wieder statt finden, und so hatte sich ihr Imbisswagen mit Original-Rezepten und Zutaten aus Thailand auf dem Marktplatz eingefunden. In der nicht zu heißen Nachmittagssonne war der Betrieb am Samstag Nachmittag noch mäßig, und neben der thailändischen Küche konnte man Spezialitäten aus Indonesien, Argentinien, Afghanistan probieren, dazu Spätzle aus dem hiesigen Allgäu oder die übliche Pizza aus Italien und jede Menge Burger-Stände. Einen Probierteller, der aus … Tordt, … bestand, hatten wir gegessen, als sich die beiden Damen von der Jury unserer thailändischen Gastgeberin zuwendeten, die zusammen mit uns an dem Stehtisch stand. Nein, probieren sei nicht nötig, wies sie mit einer abweisenden Geste ab, und die beiden Damen verstanden. Wir unterhielten uns indes ungestört weiter, während ihr Lebensgefährte die spärlichen Kunden an dem Imbissstand bediente. Preiswürdig sei ihr Essen vielleicht, meinte sie, aber es sei nicht ihr Ding, auf der Bühne zu stehen. Dann müsste sie etwas sagen, bestenfalls sich bedanken vor dem Publikum für einen Preis, und reden vor einem Publikum, dazu sei sie nicht fähig. Meine Frau fügte dem noch hinzu, dass andere mit so etwas gar kein Problem hätten. So zum Beispiel der dritte Bewohner der Dreier-WG, der zu diesem Event nicht mitgekommen war. Er redete unaufhörlich, dies in einem lauten Ton, und er freute sich über jeden Zuhörer, der dem lauschte, was er zu verkünden hatte. Der Schwager und sein Mitbewohner, die aus der Dreier-WG mitgekommen waren, hatten eher in geringem Umfang an den Ständen probiert. Der Schwager hatte von dem Nudelgericht des thailändischen Probiertellers gegessen, den Rest hatte er nicht angerührt. Der dritte Bewohner hatte zuerst einen Cocktail getrunken, sich dann eine Pizza geholt, wovon er vielleicht ein Viertel gegessen hatte, und dann nochmals einen anderen Cocktail getrunken. Schließlich, als wir noch zusammen standen, fuhr er mit dem Bus nach Hause. Den Rest Pizza, der Teig war sehr dünn, belegt war die Pizza mit Salami, um so dicker war die Käseschicht, aß der Schwager. Als meine Frau und ich, um satt zu werden, eine Portion Fritten sowie eine Portion Käsespätzle aßen, drängte die Zeit. Wir waren mit dem Bus unterwegs, und der Schwager war noch um 17 Uhr zu einem Geburtstagsessen eingeladen. Da mussten wir uns beeilen, um den passenden Bus zu erreichen. Das funktionierte, wobei der Schwager das Geburtstagsessen mit einer fünf- bis zehnminütigen Verspätung erreichte. Als meine Frau zurück kehrte, äußerte sie ein seltsames Bedürfnis: sie hatte Hunger. Wir entschieden uns, nicht erneut aufzubrechen zum Street Food Festival, sondern zum griechischen Restaurant in unserem Ort. Da mir gar nicht nach Hunger zumute war, beschränkte ich mich auf eine Zwiebelsuppe.
17. Juli 2022
Den 14. Juli habe ich mir stets gut merken können. Bereits in der Schule hatte ich gelernt, dass die Franzosen mit großem Getöse ihren Nationalfeiertag feiern, dem Sturm auf die Bastille am 14.7.1789. Im letzten Jahr wurde der 14. Juli mit der Flutkatastrophe zum tragischen Datum. Und der 14. Juli ist der Geburtstag eines unserer besten Freunde. Drei Tage nach seinem Geburtstag hatte er uns gestern zu Kaffee und Kuchen sowie zum Grillen mit Würstchen und Salaten eingeladen. Aus seinem Freundeskreis waren wir die einzigen, die dawaren, mit Ausnahme eines Freundes, den er aus seiner Bundeswehrzeit kannte. In Zeiten vor Corona war er bereits schon einmal bei seiner Geburtstagsfeier dabei gewesen. Mit seiner Anwesenheit wurde das Kuchenessen in bequeme Bahnen gelenkt. Er redete wie ein Wasserfall, mit lauter, eloquenter Stimme, die überzeugt klang. Was er redete, war kein Geschwätz, sondern hatte Hand und Fuß, so dass es Spaß machte, sich zurück zu lehnen und einfach nur zuzuhören. Die Beiträge der anderen griff er auf, dem folgten längere Monologe. Er wohnte in der Dürener Gegend, arbeitete irgend wo bei der Bundeswehr und half bei der Flutkatastrophe vor einem Jahr, indem er Keller leer pumpte. Er redete über die Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges in der Nordeifel, über den Frontverlauf an der Rur und über die 60.000 Tote, die in den Schlachten in und um Hürtgenwald gefallen waren. Wir redeten über die Brücke von Remagen, die größere Schlachtfelder am Rhein verhindert hatte, weil die Alliierten ungehindert die Brücke überqueren konnten. Dies hatte den Krieg verkürzt, indem die Alliierten rechtsrheinisch in alle Richtungen vorstoßen konnten, darunter nach Norden, wo eine der letzten großen Kesselschlachten im Ruhrgebiet geschlagen wurde. Er erzählte, dass seine Eltern aus Bayern und Österreich stammten. Er war geschieden, hatte drei Kinder und Eigentum in der Dürener Gegend. Er redete über Immobilienpreise und wie sich junge Eheleute überhaupt Eigentum leisten konnten. Er nannte die 1.500 Euro Belastung für ein junges Ehepaar mit einem Kind für ein Einfamilienreihenhaus in seinem Ort, was er horrend fand. Seine Schwester zog es mittlerweile aus dem Rheinland nach Bayern zurück. Sie hatte eine Enkeltochter von ihrem Sohn oder ihrer Tochter, deren Familie mittlerweile in Bayern lebte. Weil sie ihre Enkeltochter so selten sah, hatten sie ihr Haus im Rheinland verkauft und neues Eigentum in Bayern erworben. Der Freund unseres Freundes freute sich darauf, künftig öfters nach Bayern fahren zu können, die Familie seiner Schwester besuchen zu können und die dortige Gegend kennen zu lernen. Des weiteren erzählte er über eine neue Einbauküche, die er zuletzt selbst aufgebaut hatte, handwerklich schien er so ziemlich versiert zu sein. Was das Handwerk betraf, schimpfte er über ein falsches Verständnis von Produktivität. Handwerker seien darauf abgerichtet, möglichst schnell mit ihrer Leistung fertig zu sein. Dies träfe nur dann zu, wenn auch alles richtig gemacht worden sei. Wenn fehlerhaft gearbeitet worden sei, sei dies teurer, wenn dieselbe Sache ein zweites Mal nachgearbeitet werden müsse. Meine Frau und er stimmten darin überein, dass es schlimm um unser Land bestellt sei, was die Bürokratie betraf. Meine Frau erzählte von der Erbauseinandersetzung mit dem Schwager, von den Irrungen und Wirrungen rund um das Amtsgericht, den Landschaftsverband und dem Ergänzungsbetreuer. Gerade rund um den Bau, wimmelte es vor unsinnigen Vorschriften. Rund um Kuchen und Kaffee, Grillen und Würstchen, war der Nachmittag kurzweilig und unterhaltsam. Wir tranken so manche Flasche Fassbrause und Mineralwasser. Und beim Schwager und beim Geburtstagskind floss so manche Flasche Bier.
18. Juli 2022
Sehr wohl gegliedert, gelegen an der etwas unsortierten Geschäftsstruktur in Sieglar, an dieser Stelle wird der Gegensatz von Sieglar bewusst. In der Mitte von Sieglar, dem ältesten Stadtteil von Troisdorf, liegt das historische Sieglar mit dem durchaus schönen Marktplatz, dem ich an dieser Stelle abgewandt bin. Die Kirche mit dem Turm aus dem 12. Jahrhundert liegt im Rücken, daneben entfernt sich der Marktplatz. Hier pulsiert das Leben nicht wirklich in der Geschäftsstraße, wo ich im Café sitze, dazu ist es auch viel zu heiß an dem heißesten Tag des Jahres. In dem Café im Zentrum von Sieglar war ich noch nie gewesen, meine Frau hatte mir davon erzählt, als sich nach einer Beerdigung die Trauergesellschaft dort zusammen gefunden hatte. Die Fassaden der Kreissparkasse und der Lottostelle sehen allerweltsmäßig aus, die der Apotheke und von anderen Geschäften genauso, aber was die Örtlichkeit prägt, ist die Straßenecke. Genau an der Ecke des Cafés sitzen viele Menschen draußen, die Hitze scheint ihnen nichts auszumachen, manche von ihnen hatte ich frühstücken sehen. Ich sitze drinnen, durch das gekippte Fenster weht ein angenehmes Lüftchen, und ich trinke meinen Kaffee. Bei der Hitze läßt es sich hier gut aushalten. Innen wird das Café von ein paar Menschen frequentiert, es ist nicht zu voll. Ein schwergewichtiger älterer Mann, begleitet von einer geringfügig jüngeren Frau, hat ein Stück Kuchen in sich hinein gestopft und quält sich auf seinen Krücken zum Ausgang. Ein wenig ist er so etwas wie ein Mahnmal, was für Krankheiten im Alter auf einen zukommen können und wie schrecklich es ist, in seiner Mobilität eingeschränkt zu sein. In diesem Moment wird mir bewusst, wie sehr die Musik passt. Ich meine, es ist WDR2, das im Radio läuft. „New Kid in Town“ von den Eagles läuft in mittlerer Lautstärke, ein Beleg dafür, wie sehr die Musik die Atmosphäre in Cafés prägen kann. Ein stilvolles Café, in dem es sich gut aushalten läßt.
19. Juli 2022
In diesen Tagen geht es maßgeblich darum, mit der Hitze klar zu kommen. Wird die 40 Grad-Marke geknackt ? Es handelte sich um eine Frage existenzieller Not. In Niedersachsen wurden in Emsdetten glatte 40,0 Grad erreicht, in NRW war Duisburg-Hochfeld der Spitzenreiter. Dort schoß das Thermometer auf 39,6 Grad hoch, und auch bei uns in der Köln-Bonner Bucht wurde die 39 Grad-Marke leicht unter- oder überschritten. Unter diesen Hitzebedingungen wurden die Tagesabläufe zu einem schwierigen Unterfangen, Orte zu finden, wo man sich aufhalten konnte. Bewegungsabläufe verlangsamten sich, aus dem Trägheitsmodus war nicht mehr heraus zu kommen. Draußen, so zwischen den Feldern, war es unerträglich. Alles war wie nieder gestreckt durch die Hitze, ein aktives Aufblühen der Natur unterblieb. Die Felder waren abgeerntet, einige Büsche reckten sich, das Wachstum war unterdrückt, Staubwolken formten sich über der knochentrockenen Erde. Wenn man sich in Freie wagte, wurde man von einer Hitzewand regelrecht erschlagen. Ein Aufenthalt war kaum noch möglich, allenfalls das Autofahren verschaffte bei geöffneten Fenstern etwas Luft. So verkrochen wir uns nach drinnen und befassten uns mit administrativen Dingen. Wir durchdachten die Finanzierung des Hauses des verstorbenen Schwiegervaters neu, da ein günstigerer Bauspartarif angeboten wurde. Wir stellten Ausgaben und Einnahmen gegenüber, mit den Steuern hatte ich begonnen. Etwas später, rief ich meinen Bruder an. Was während seines Urlaubs alles schief gelaufen sei, das hatte er mit Mühe rekonstruieren können. Es war Wunsch der Mama gewesen, täglich ihre Tabletten vom Pflegedienst geliefert zu bekommen. Anfangs klappte dies nicht, dann hatte sich meine Cousine um die ärztliche Verordnung gekümmert, schließlich funktionierte es. Als mein Bruder aus dem Kroatienurlaub zurück kehrte, entschied sich unsere Mama anders, denn sie wollte keine tägliche Tablettenlieferung mehr. Mein Bruder bestätigte meine Wortwahl „dubios“ aus einer SMS, dass die Dinge höchst merkwürdig gewesen waren, wie sie sich mir dargestellt hatten. Anscheinend war der Vertrag über den Notruf gekündigt worden, dann war der Pflegedienst, der den Notruf abrief, doch gekommen. Und dann war eine Frau vom Pflegedienst persönlich erschienen, um alles allumfassend zu regeln. Mein Bruder konnte mich zumindest dahingehend beruhigen, dass zu seinem nächsten Urlaub, der am 22. Juli beginnen sollte, seine Frau und seine Tochter zu Hause sein würden, so dass ich rein theoretisch nichts mit irgend welchen Vorfällen zu tun hätte. Die Verwirrtheit hatte bei unserer Mama mit ihren 86 Jahren zugenommen, und wir waren uns einig, sie künftig auch gegen ihren Willen in eine Kurzzeit- oder Verhinderungspflege abgeben zu können. Das Gefühl war angenehm, mit diesem Anruf die Zeit während der Affenhitze nutzbringend zu gestalten. Dennoch waren während meines Urlaubs solche Tage höchst störend, bei den Vorhaben, Aktivitäten und Planungen dermaßen eingeschränkt zu sein, dass hitzebedingt vieles nicht realisierbar war.
20. Juli 2022
Morgens Fototermin, nachmittags zum Friseur, an dieser falschen Reihenfolge gerieten meine Frau und ich aneinander. Mit den Terminen passte so einiges nicht. Mit der Tochter hatte ich einen Termin bei der Kieferorthopädin gemacht, um eine Zweitmeinung einzuholen. Es war aber die falsche Kieferorthopädin, die unsere ältere Tochter behandelt hatte. Sie hatte eine Kieferchirurgin aus Poppelsdorf gemeint, an die ich mich aber nur dunkel erinnern konnte, weil wir nur einmal dort gewesen waren. So entfiel der Termin bei der Kieferorthopädin mit unserer Tochter, die gestern mit dem Zug aus Dortmund angereist war. Es war aber noch ein Termin beim Fotografen wahrzunehmen. Dasselbe galt für den Schwager, der zum Friseur und zum Fotografen sollte. Während meine Frau ganztägig arbeitete, hatte ich drei Termine über den Tag zu verteilen, wobei ich aber auch selbst etwas unternehmen wollte. Diese Termine verteilte ich nun so, um mir den Nachmittag zu großen Teilen freizuhalten. Zuerst fuhr ich mit dem Schwager zum Fotografen, um die Mittagszeit mit der Tochter. Danach gab ich dem Schwager Geld, um zum Friseur zu gehen. Als meine Frau ihre Mittagspause hatte, entbrannte der große Krach: morgens Fototermin, nachmittags Friseur, das war die absolut falsche Reihenfolge. Sinn und Zweck waren auf den Kopf gestellt worden. Die Passfotos hatten 13,50 Euro gekostet und sollten unter anderem für den Schwerbehindertenausweis verwendet werden, der für sehr viele Jahre verwendet werden sollte. Der Frieden war dahin, ich war außer Rand und Band. Ich stellte meinen Urlaub in Frage, mich nur herum zu ärgern, Termine zu organisieren und mich mit Notwendigkeiten zu befassen, die nichts als Stress und Arbeit erzeugten. Etwas später, diskutierten wir eine weitere Aktion, der eigentlich nur eine Lappalie war, aber dann hoch politisch aufgeladen war. Ich sollte bei der Cousine meiner Frau zwei Zucchini vorbei bringen, die ich dann ihrem Mann übergab, der an ihrem Auto gerade zu tun hatte. Dieser stellte die Frage, ob wir bereit seien, ein Stück des Gartens des verstorbenen Schwiegervaters abzugeben. Dort wolle er einen Geräteschuppen aufbauen, weil er einiges unterzubringen habe. Dabei bezog er sich auf meine Aussage, dass wir selbst mit unserem eigenen Garten viel zu tun hätten, so dass uns die Zeit für den Garten des verstorbenen Schwiegervaters fehlen würde. Diese Fragestellung war deswegen hoch politisch, weil die Grundstücke der Cousine und von meiner Frau nahtlos ineinander übergegangen waren, als die Oma noch gelebt hatte. Wie die Aufteilung der Flurstücke zustande gekommen war, wusste niemand genau. Somit schwebte die Frage, wem was gehörte, im Raum. Glücklicherweise hatte ich in der Angelegenheit ohnehin nichts zu sagen. Meine Frau war Eigentümerin, sie musste sich mit der Cousine arrangieren, und sie musste ihre Argumente vorbringen. Was allerdings blieb, war das ständige Hin und Her mit dem Rasenmähen. Mir fehlte die Zeit, ich hätte dies gerne an unseren Sohn abgegeben, dieser diskutierte aber, wieso dies nicht die Dreier-WG machen sollte. Machte sie nicht, somit blieb die Rasenmäherei an mir hängen, das war aber ein anderes Thema. Solange blühte die Schafgarbe auf dem Rasen vor sich hin und wuchs und wuchs.
21. Juli 2022
Ein Termin, der nicht statt fand und vieles über den Haufen schmiss. Ursprünglich sollte der Schwager an der Leiste operiert werden, dazu hatte er am morgigen Tag einen OP-Termin, am heutigen Tag sollte er in das Krankenhaus Troisdorf aufgenommen werden. In aller Frühe um 8 Uhr heute Morgen hatten meine Frau und er einen Corona-Testtermin, danach fuhren die beiden ins Krankenhaus, und als ich gegen 11 Uhr vom Bäcker zurück kehrte, waren die beiden zurück, der Schwager saß gemütlich auf der Couch und ließ sich von der Hafenpolizei im Fernsehen berieseln. Was der Schwager zu Hause zu suchen hatte, konnte ich meine Frau zunächst nicht fragen, da sie wie wild am telefonieren war. Ich hörte heraus, dass sie mit dem Roten Kreuz telefonierte, wann sie zu kommen hätten und wann sie nicht zu kommen hätten. Als das Gespräch beendet war, erklärte sie die Geschehnisse. Der Schwager hatte Corona gehabt, und eine Operation sei erst 7 Wochen später möglich, nachdem er von der Corona-Infektion frei getestet worden war, was der Festlegung des OP-Termins nicht bekannt gewesen war. Der neue OP-Termin lag nun auf dem 12. August. Dazu musste meine Frau nun fleißig herum telefonieren. Das Rote Kreuz musste Bescheid wissen, die Betreuer, für den Samstag hatte der Schwager einen Geburtstag abgesagt, für den Sonntag das Kegeln. Mit all diesen Personen musste meine Frau nun herum telefonieren, wer wann kommen sollte und dass ihr Bruder beim Geburtstag und beim Kegeln dabei sein würde. Diese Telefonate dauerten länger, und anschließend klagte meine Frau darüber, dass nichts vernünftig geplant werden könnte. Der Tag war irgend wie dahin. Alles wurde wieder auf den Ursprungszustand zurück gesetzt, die nächsten Tage konnten wie gewohnt ablaufen, die zeitlichen Dispositionen durch die OP verschoben sich nun nach hinten. Aber eines konnten wir unter den neuen Rahmenbedingungen realisieren: wir konnten mit meinem Schwager die Bierbörse in der Bonner Rheinaue besuchen, die an diesem Wochenende statt finden würde.
22. Juli 2022
Das Schreiben des Finanzamtes zur Grundsteuer hat etwas offenbart, dessen wir uns gar nicht so bewusst gewesen sind. Wir sind nämlich reich. Zumindest, was die Immobilien betrifft, und zumindest, wenn man so rechnet wie das Finanzamt. Wir besitzen zwei Immobilien, davon eine zusammen, das ist unser Haus, das wir bewohnen. Und die zweite Immobilie besitzt meine Frau, das ist die geerbte Immobilie vom Schwiegervater, wo nun die Dreier-WG wohnt. In der Aufsummierung errechnet sich eine mittlere sechsstellige Summe, wenn man nur den Grundstückswert nimmt und so rechnet wie das Finanzamt, dazu muss man noch den Gebäudewert dazuzählen. Eine siebenstellige Summe werden wir wohl nicht erreichen, da sich in unserem Haus, das wir bewohnen, ein Renovierungsstau gebildet hat. Beim Immobilienvermögen kommen mir Diskussionen in den Sinn, die zum Beispiel ein Marcel Fratzscher – er berät die Bundesregierung als Ökonom – zu Arm und Reich geführt hat. Grundstücke und Immobilien sind in den Ballungsräumen unserer Republik nicht mehr bezahlbar. Wer Eigentum erwerben will, kann es sich entweder nicht leisten oder muss sich übermäßig verschulden, das war vor Jahrzehnten noch anders. Die Gesellschaft spaltet sich so auf in Eigentümer und Nicht-Eigentümer, aber auch innerhalb der Gruppe der Eigentümer können nur höhere Einkommen die Hypothekenkredite für den Erwerb von Eigentum bedienen. Die Einkommen stagnieren, die Immobilienpreise und Mieten galoppieren davon, das vergrößert die Einkommensschere zwischen arm und reich. Arme werden ärmer, reiche werden reicher, das Einkommensniveau bestimmt maßgeblich politische Einstellungen, Ungerechtigkeiten, die Ränder der Gesellschaft und Radikalisierungen. Steht unsere Gesellschaft vor einer Revolution ? Die Kluft zwischen Arm und Reich ist nicht der einzige Einflussfaktor, aber neben anderen Einflussfaktoren kann einem bisweilen angst und bange werden.
23. Juli 2022
Ich hatte eine ungewöhnliche Idee, als meine Frau in der Siegfähre geblieben war, wohin sie den Schwager gefahren hatte. Er war zum Geburtstag eingeladen, und meine Frau wollte dort mitgegessen haben und selbst gezahlt haben. Mithin war ich mit dem Sohn alleine zu Hause, und zu zweit mussten wir das Abendessen überlegen. Ich hatte Lust, mit dem Schnellbus nach Bonn zu fahren und dort eine Portion Fritten zu essen, wie sie auf die belgische Machart angeboten wurden. Am Marktplatz gab es eine solche Frittenbude „Frites Belgique“, und die Fritten waren dort vorzüglich, sie schmeckten nach frischen Kartoffeln, ich aß Mayonnaise dabei – so wie sie halt in Belgien gegessen wurden. Für unseren Sohn würde ich später in der Pizzeria eine Pizza besorgen. Nachdem ich die Fritten verspeist hatte, setzte ich mich in ein Café gegenüber der Namen-Jesu-Kirche, ein neu eröffnetes Café, das sich „Lighthouse Café“ nannte. Alles in hellem Holz, mit Holztheke, Fußboden aus Holz, Tische und Stühle aus Holz, war es stilvoll eingerichtet, zu meiner positiven Überraschung war auch WLAN verfügbar. Ich spürte den Bedarf, in meinem Urlaub aus unserem Ort heraus kommen zu wollen. Ich war zwar im Siebengebirge gewesen, mit meinem Zimmergenossen aus dem Porzer Krankenhaus war ich mit dem Fahrrad zur Siegfähre gefahren, mit meiner Frau war ich auch mehrfach essen gewesen, es fehlte aber die gelegentliche Fahrt in die Stadt. Natur war der eine Pol, den ich brauchte, die Stadt war das Gegenstück dazu. Das Gemengelage dazwischen, wo wir wohnten, die Peripherie der Stadt, die nicht wirklich Stadt war und nicht wirklich Natur, damit wusste ich nicht wirklich etwas anzufangen. Zu viele Wege orientierten sich an unserem Zuhause und an der Dreier-WG, Wege ins Dorf, Wege zum Einkaufen, Wege zum Bäcker und so weiter. Horizonte öffneten sich dort nicht, dies geschah heute auf der Strecke des Schnellbusses in die Stadt und auf dem Weg zur belgischen Frittenbude und in das Café Lighthouse. Zu Hause wartete indes noch der Garten, den ich gießen musste, einen Telefonanruf an unsere Freunde wegen des morgigen Tages musste ich tätigen, ebenso musste ich die Pizza für unseren Sohn besorgen, wenn meine Frau wieder zurück sein würde.
24. Juli 2022
Bei heißen Temperaturen begann unser Besuch in der Rheinaue mit einem Spektakel. Im Schatten auf einer Anhöhe hatten wir beabsichtigt, uns an einer Imbissbude zu verköstigen. Rund um standen weitere Imbisse, in der Senke auf dem ausgedörrten Rasen hatten sich die Stände der Bierbörse platziert, über denen neben dem Siebengebirge die Hitze und der strahlend blaue Himmel dominierten. Und dann nahm der Wind urplötzlich wie aus dem nichts Anlauf: wir verfolgten, wie Stände zusammen brachen, Bierpavillons wurden durch die Luft geschleudert, eingehüllt in eine Staubwolke. Es war eine Windhose, die sich Stück für Stück vorwärts arbeitete, in der Senke erfasste sie Biertische und Schirme, wo niemand saß, dann drehte sie seitwärts ab und richtete keinen weiteren Schaden an. Die allerersten Stände waren in Mitleidenschaft gezogen worden, es war niemand verletzt worden und anschließend konnte es auf der Bierbörse weiter gehen. Der Schrecken steckte in unserem Gliedern, als wir anschließend unsere Steaks und unsere Bratwürste aßen. Noch nie war ich einer Bierbörse beigewohnt, und der Anstoß war vom Schwager gekommen, der diese regelmäßig mit dem Schwiegervater besucht hatte, als er noch gelebt hatte. Das Konzept war gut gemacht. Biere aus aller Welt wurden angeboten, darunter waren besonders zahlreich Biere aus Bayern vertreten. Die Biere kamen aber auch aus ziemlich entfernten Ecken wie Brasilien oder Spanien. Um sich durch all die Biere aus der ganzen Welt durch zu trinken, dazu brauchte man Standfestigkeit. Wir begannen an einem Stand des Münchner Hofbräuhauses, wo die Biertische ausnahmslos in der prallen Sonne standen. Ein Aufklappen der Sonnenschirme war wegen der voran gegangen Windhose nicht erlaubt. Am benachbarten Stand tranken wir uns weiter durch, das war belgisches, mir bestens vertrautes Trappistenbier. Köstliches, frisch gezapftes Westmalle aus dem gleichnamigen Kloster gab es dort zu trinken. Den Alkoholgehalt spürte ich noch nicht ganz, als meine Frau Hunger verspürte und eine Portion niederländische Fritten aß. Danach war dem Schwager nach kroatischem Bier zumute, so dass wir das Bier der Marke „Karlowaczka“ tranken. Auch die Kroaten konnten leckeres Bier brauen, das stellte ich fest, während ich gleichzeitig feststellte, dass das Bier zwar angenehm von innen kühlte, aber gleichzeitig immer stärker in den Kopf stieg. An dieser Stelle beschloss unsere Gruppe, dass wir Schluss machen mussten mit der Bierprobe von Bieren aus aller Welt. Wir verabschiedeten uns von unseren Freunden, die mit dem Auto angereist waren, und wir selbst nahmen den Fußweg zurück zu unserer Straßenbahnhaltestelle in der Rheinaue, denn wir waren mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist.
25. Juli 2022
Zwei von drei Wochen sind nun vorbei, und für den Urlaub habe ich eine Art von Zwischenbilanz gemacht, was ich aller erledigt habe: zwei Matratzen und etwas Kleinkram haben wir über den Sperrmüll entsorgt, diverse Elektro-Kleingeräte habe ich am Klein-Geräte-Mobil entsorgt, ich habe Kartoffeln ausgemacht, einiges Unkraut – so zwischen den Kohlpflanzen – entfernt, im Haus der Dreier-WG habe ich den Rasen gemäht, auf der dortigen Terrasse habe ich einen Gartentisch aufgebaut, im Vorgarten habe ich einen Rhododendron-Strauch angepflanzt, zwei Badezimmer habe ich bei uns zu Hause geputzt, ich war im Baumarkt und habe Glühbirnen und Schimmelentferner besorgt, mit den Werbungskosten für unsere Steuererklärung habe ich begonnen, dazu kamen zwei Tage, an denen hitzebedingt draußen nichts erledigt werden konnte. Ein Tag musste komplett umorganisiert werden, weil mein Schwager operiert werden sollte, die OP war dann aber um drei Wochen verschoben worden. Und heute habe ich das Fahrrad meiner Frau zur Inspektion abgegeben. Das Hinterrad war platt, so dass ich das Fahrrad im Bus transportiert habe. In dem Fahrradgeschäft zwei Orte weiter hatte ich mir einen Termin geben lassen, und das Geschäft überschlug sogleich, dass die Inspektion rund 120 Euro kosten würde. Nun warte ich noch auf den Anruf, dass ich das Fahrrad abholen kann. Was ich bislang geschafft habe, wird aus Sicht meiner Frau bestimmt viel zu wenig sein. Umgekehrt stehe ich dazu, dass ich Urlaub habe, während meine Frau ihre zwanzig Stunden in der Woche arbeiten muss. Am Wochenende haben wir einiges zusammen unternommen, unter der Woche habe ich mir erlaubt, ins Siebengebirge zu fahren, ich habe mir erlaubt, in Bonn belgische Fritten zu essen oder auch in Cafés Kaffee zu trinken. Mit meinem Zimmergenossen aus dem Krankenhaus Köln-Porz bin ich mit dem Fahrrad zur Siegfähre gefahren. Zu Hause konzentriert sich dann vieles rund um den Garten. Obschon der Garten allerlei Gelegenheit zu Reibereien bietet, überwiegen die Zeitanteile, an denen ich mich von der Arbeit erholen konnte.
26. Juli 2022
In diesen Tagen wird eine schöne, idyllische Seite unseres Ortes heraus gekehrt, die ich ansonsten nur wenig zu Gesicht bekomme. Orte zum Verweilen, Orte der Ruhe sind dünn gesät, wenn man einmal absieht vom Naturschutzgebiet der Laach, welches von einem alten Rheinarm eingefasst wird. Neben einer dichten Bewachsung von Pappeln findet man dort auch kleinere Stücke eines Auenwaldes. In einem vom Abriss geprägten Ort fällt es schwer, Teile zu entdecken, die noch hübsch, homogen und in altem Zustand erhalten aussehen. An anderen Stellen ist der Ortskern fragmentiert und unattraktiv, Geschäfte überwiegen, dazwischen Lücken von Abrissen, die als Parkflächen dienen. Das Ganze ist zerpflückt worden, die Restaurants sind nicht ungemütlich, wenn man draußen sitzt, schaut man allerdings auf einen öden Parkplatz oder einen Marktplatz, der kaum noch alte Bausubstanz aufzuweisen hat. So braucht man einige Phantasie, um diese Perspektive herzustellen, die das Plakat für den Glasfaserausbau zeigt. Die Flucht der Straße mit dem Blick auf unsere Pfarrkirche mit der Ziegelsteinfassade des neuromanischen Kirchturms. Alte Häuser verengen die Straße im Vordergrund, darunter wird der Blick von einem fein restaurierten Fachwerkhaus eingefangen. Fachwerkhäuser sind in unserem Ort eine Seltenheit, erst recht in einer solchen Kombination von Motiven, die wirklich alt sind. Dem Plakat mit dem Glasfaserausbau ist es gelungen, den Blick für Dinge zu schärfen, die in unserem Ort gemeinhin verloren gegangen sind.
27. Juli 2022
Nach längeren Zeiten des Stillstands sind die Arbeiten im Keller des Hauses der Dreier-WG voran gekommen. Ein Freund hatte geholfen, der über einen längeren Zeitraum verhindert war, weil er erst sehr spät von seiner Regelarbeitsstelle nach Hause gekommen war und auch samstags arbeiten musste. Ich selbst hatte begonnen, Regalbretter in einer Reihe anzubringen. Ich war aber daran gescheitert, weil die Bohrmaschine bei jedem Loch wegrutschte, so dass die Anordnung der Bohrlöcher weder in der Waagerechten noch in der Senkrechten stimmte. Die Kanten der Bretter passten nicht genau zusammen, so dass ich Hilfe brauchte. Mit seiner Hilfe wollte ich weitere Arbeiten abarbeiten, die in der Zwischenzeit liegen geblieben waren. Ein Abflussrohr verkleiden, einen Sichtschutz zum Nachbarzaun anbringen, einen Besenhalter aufhängen und manches mehr, wozu mir das handwerkliche Geschick fehlte. Das saubere Anbringen der Regalbretter in der Wand hatten wir geschafft. Am Freitagnachmittag wollten wir damit weiter machen, das Rohr zum Kanal zu verkleiden, den Samstagnachmittag wollten wir uns ebenso für Folgearbeiten freihalten. Nach Monaten der Untätigkeit ist es nunmehr im Keller vorwärts gegangen.
28. Juli 2022
Die Freude war bei meiner Mama groß, als wir draußen vor der alten Mühle saßen und Eis aßen. Mein Bruder war eine Woche in Urlaub, der allerdings etwas merkwürdig gestaltet war. Ohne Frau und Tochter war er unterwegs, am heutigen Tag hatte er sich aus Schwammenauel am Rursee gemeldet, er wollte weiterfahren ins Sauerland. Spontan hatte sich unsere Tochter entschieden, mitfahren zu wollen. Bei meiner Mama hatten wir in ihrem Haus Tabletten für eine Woche in Tablettenboxen sortiert, und nach der Einsortiererei hatte sie die Idee, Eis essen zu wollen. Gegenüber der Burg gäbe es in Wegberg ein Eiscafé, wir sollten den Rollator ins Auto einladen und dann sollten wir uns zu Fuß zu dem Eiscafé begeben, wo man schön draußen sitzen könne. So war es denn auch, und bei unserer Ankunft waren denn auch ausreichend Plätze draußen frei. Sie zählte diejenigen Male auf, als sie mit meiner Tante und meinem Vater, als er noch gelebt hatte, dort gesessen hatte. In diesem Moment kam es mir schrecklich vor, wie eingeschränkt die Mama in ihrer Mobilität war. Mit ihrem Rollator hatte es gedauert, bis sie es vom Parkplatz zum Eiscafé geschafft hatte. Zu Hause fuhr sie mit dem Elektromobil durch die Gegend, meistens aber nicht weiter als bis zum Friedhof. Der Radius betrug so maximal zwei Kilometer. In ihrem Gesprächen wirkte diesmal die Mama klar, sie war keine Spur verwirrt, was wahrscheinlich auch daran lag, dass wir uns an Orten der Vergangenheit aufhielten. Wir schauten auf Gebäudetrakte der Stadtverwaltung, wozu wir unserer Tochter erzählten, dass wir in einem dieser Gebäudetrakte standesamtlich geheiratet hatten. In einer Mühle hatten wir nach der Hochzeit gefeiert, was unsere Tochter neugierig machte. Nach dem Eisessen machten wir die Vergangenheit wieder lebendig, indem wir zu dieser Mühle fuhren, die mitten im Wald lag, wo wir gefeiert hatten. Auf der Rückfahrt zur Mama nach Hause drehten wir den einen und anderen Schlenker, über Schwaam, Merbeck und Arsbeck, und die Mama erzählte allerlei über diese Orte.
29. Juli 2022
Der Tag war vollgestopft mit Ereignissen und Aktivitäten, darunter erzeugte ein Ereignis den bei weitem höchsten Diskussionsbedarf: das war das Grillen in der Dreier-WG. Ende Juni konnte die Dreier-WG nicht an dem BEWO-Sommerfest teilnehmen, da der Schwager an Corona erkrankt war. Daraufhin wurden gleich alle drei WG-Bewohner vom Sommerfest ausgeschlossen. Als Ersatzveranstaltung organisierten die Betreuer dieses Grillen. Ein Betreuer, der sich gleichzeitig verabschiedete und seine Nachfolgerin mitbrachte, brachte einen Elektrogrill mit, der aus der WG-Kasse bezahlt worden war. Ein bis zwei weitere Betreuer waren ebenso dabei. Bereits im Vorfeld hatte es Diskussionen gegeben, ob der eine WG-Bewohner seine Freundin mitbringen dürfe. Eigentlich nein, weil nur der engere Kreis der Bewohner eingeladen war, schließlich war seine Freundin dann doch anwesend. Das Grillen war zeitlich höchst eng getaktet. Gegen fünfzehn Uhr, unmittelbar nachdem die drei Bewohner von der Werkstatt zurück gekehrt waren, begann das Grillen. Meine Frau war von dem einen Bewohner informiert worden, dass das Beisammensein eine Stunde später statt finden sollte. So hatte sie am Vortag einen Nudelsalat zubereitet, am selben Tag in etwas aufwändiger Kleinarbeit einen Krautsalat, wozu der Spitzkohl aus unserem eigenen Garten stammte. Gegen 16 Uhr hatten wir uns mit einem Freund im Keller verabredet, um dort weiter zu arbeiten. Um diese Uhrzeit, als meine Frau den Krautsalat mitbrachte, herrschte bereits Aufbruchstimmung. Der Elektrogrill war weggeschafft, übrig gebliebene Grillwürstchen standen im Kühlschrank. Zwei Körbe voller Brötchen von ALDI standen auf dem Küchentisch, ganz viel Kartoffelsalat aus dem Supermarkt war in den Kühlschränken verstaut, Kartoffelsalat, wovon kaum gegessen worden war. Anstatt dessen war ordentlich von dem Nudelsalat verzehrt worden, den meine Frau selbst zubereitet hatte. Eine lieblose Veranstaltung, dieses Bild bot sich uns, als wir der sich auflösenden Gemeinschaft in der Küche einen guten Tag wünschten. Die Dreier-WG war abgespeist worden mit lauter Zutaten aus dem Supermarkt. Womöglich hatten die Betreuer auf die Uhr geschaut, welche Arbeitszeit ihnen für das Grillen bezahlt wurde, anschließend hatten sie das Weite gesucht. Eine persönliche Note hatte vollends gefehlt. Das Grillen überlagerte andere Ereignisse an diesem Tag. Morgens hatten wir eine weitere Meinung in Bonn-Poppelsdorf zur kieferorthopädischen Behandlung unserer Tochter eingeholt. Dabei hatte uns die Kieferchirurgin aufgeklärt, dass die Klammer am Unterkiefer und das Ziehen der Weisheitszähne nichts miteinander zu tun haben. Ab 16 Uhr hatten wir unsere Arbeiten im Keller der Dreier-WG fortgesetzt. Weitere Regalbretter hatten wir über dem Abflussrohr zum Kanal angebracht. Dieses Abflussrohr mussten wir nun mit einem Vorhang oder ähnlichem verkleiden. Beim Sichtschutz zum Nachbargrundstück waren wir nicht weitergekommen, weil wir keine dementsprechend leistungsfähige Bohrmaschine hatten, um in den Betonsockel hineinbohren zu können. Schließlich holten wir bei der Bekannten ein kleines Kätzchen ab, das sich allerdings nach der Ankunft in unserem Haus äußerst scheu zeigte.
30. Juli 2022
Eine etwas bizarre Begegnung meiner Frau vor einem Termin in der Stadtverwaltung. Meine Frau hatte sich im Hauptgebäude eingefunden und musste sich durchfragen, weil der Termin in einem anderen Gebäude am Marktplatz wahrzunehmen war. Die Frage nach der Örtlichkeit des Termins richtete meine Frau an die Empfangsdame im Foyer der Stadtverwaltung. „Kennen Sie mich nicht ?“ fragte die Dame meine Frau. Sie bekam das Gesicht nicht zugeordnet, sie vermutete aber, dass es sich um eine Kundin handelte, die sie am Postschalter bedient hatte. Seitdem meine Frau dort tätig ist, sind die Kundenkontakte sehr vielfältig, sie hat mit jede Menge Menschen zu tun und ihr Gesicht hat einen Wiedererkennungswert. „Ich komme aus Mondorf“. Zu den Gesichtern noch die Orte zuordnen, das war noch eine Nummer schwieriger. „Ich komme nicht aus Mondorf“ antwortete meine Frau. Schließlich umriss die Dame ihr Erkennungszeichen: „Ich bin die Frau mit dem Paket“. So was banales. Post und Pakete gehörten eng zusammen, damit konnte meine Frau nichts anfangen. Sie nahm so viele Pakete an, ein ganz bestimmtes Paket mit einer ganz bestimmten Person konnte sie sich nicht merken. Meine Frau zog den Schluss daraus, dass sich die Kunden ihr Gesicht hinter dem Postschalter sehr wohl gut einprägen konnten.
31. Juli 2022
Mit unseren Freunden aus der Aachener Gegend, mit denen wir einmal jährlich einen Tagesausflug machen, fuhren wir diesmal nach Essen. Mit dem Neun-Euro-Ticket unterwegs, wählten wir die Ruhrgebietsstadt, da sie von Köln aus in etwa einer Stunde erreichbar war und vom Wohnort Hückelhoven genauso. In Essen hatten wir die Zeche Zollverein anvisiert, den Essener Dom, die Villa Hügel und die Abtei in Essen-Werden. Wir machten eine Führung durch die Zeche, dann umrundeten wir zu Fuß die angrenzende Kokerei, mit der Straßenbahn fuhren wir zurück zur Fußgängerzone, wo wir uns den Dom anschauten. Um etwas zu essen, war die Auswahl an Restaurants in der Fußgängerzone begrenzt. Danach war es bereits sieben Uhr, so dass wir unseren Zug nehmen mussten, um die Heimreise anzutreten. Die Führung durch die Zeche war beeindruckend. Wir lernten vieles darüber, wie die Förderkörbe in die Tiefe befördert wurden, mit welchen Werkzeugen die Kohle in den Schächten heraus gestemmt wurde, wie die Kohlewaggons aussahen, was für Sorten von Kohle gefördert wurden, wie diese Sorten aussortiert und getrennt wurden. Der Führer vermittelte uns, wie laut es am Arbeitsplatz war und welcher Staubbelastung der Bergmann ausgesetzt war, das war eine solche Staubbelastung, dass die Staublunge eine normale Arbeitskrankheit war mit einer nur geringen Lebenserwartung. Ich selbst sah in der Zeche eher eine Industrieromantik mit technischen Anlagen, die eine menschliche Meisterleistung darstellten. Ich sah sicherlich auch den sozialen Zusammenhalt, der Bergmänner aus aller Herren Länder zusammen führte und eine Integration unterschiedlicher Volksgruppen betrieb, von der wir heute weit entfernt sind. In der Tätigkeit des Bergmanns sah ich ebenso einen Wert der Arbeit, der in Zeiten von Niedriglöhnen heute wenig gegeben ist. Die Zeche Zollverein betrachtete ich unterm Strich als eine positive Assoziation, wozu die Arbeitsbedingungen von damals ganz und gar nicht gepasst haben dürften. Das Erlebnis war für uns alle beeindruckend, nach Duisburg war dies das zweite Jahr, in dem wir eine Ruhrgebietsstadt kennen lernten. Deren Stadtlandschaften durfte man nicht aus deren identitätslosen Stadtkernen betrachten, sondern aus deren inneren Kernen von Industriedenkmälern. Wie in Duisburg, stellten wir fest, dass die Anzahl der Sehenswürdigkeiten so groß war, dass ein Tag nicht ausreichte. Gegen sieben Uhr fuhren wir – getrennt in unterschiedlichen Regional-Expressen – nach Hause, und entgegen des allgemeinen Images der Deutschen Bahn waren die Züge pünktlich.
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