Tagebuch Mai 2023
1. Mai 2023
Dass kaufmännisches Denken und ein ganzheitliches künstlerisches Konzept eine Symbiose eingehen können, das haben wir am Maifeiertag erlebt. Der eine WG-Bewohner rief uns an, ob wir etwas unternehmen würden, und nach längerem Hin- und Hergrübeln fiel mir die Drachenburg in Königswinter ein, die ich immer schon mal besucht haben wollte und die für alle interessant sein könnte. Dabei war auf dem Weg dorthin noch die massive Steigung zu bewältigen, die unser Schwager mit seinem Rollator stetig, aber langsam schaffte, während der andere WG-Bewohner dabei war, zu kapitulieren und wieder zurück kehren zu wollen, weil er völlig außer Atem war. Ein Kölner Kaufmann ließ die Drachenburg erbauen, die er im Endeffekt nie bewohnte. Mit seiner Jugendliebe wollte er dort einziehen, das Schloss war fertig gebaut, die Beziehung ging aber in die Brüche, und danach wanderte er nach Paris aus. Kaufleuten sagt man ja gerne nach, dass sie nur aufs Geld schauen. Alles muss wirtschaftlich sein, rentabel, alle haben sich der Diktatur der Kostenminimierung zu unterwerfen, die Formen müssen kalt und schnörkellos sein, so dass sie keinen Sinn für das Schöne haben. Gerne wird auch an Kaufleuten kritisiert, dass ihr Weltbild zu verengt ist: verengt auf den Kosmos von Geld, Kosten, Umsätzen, Wirtschaftlichkeitsrechnungen und Bilanzen. Der Kölner Kaufmann Stefan Sarter war ganz anders veranlagt. Er war in den Bau des Suez-Kanals involviert, er spekulierte an der Börse, wodurch er wahnsinnig reich geworden war. Und genau dieses Geldvermögen goß er in ein gesamthaftes künstlerisches Konzept, das war die innere Ausgestaltung der Drachenburg. Wandmalereien zeigen Szenen aus der Stadtgeschichte von Köln, andere Wandmalereien lassen deutsch-römische Kaiser aufleben, und der große Saal im Zentrum des Erdgeschosses ist den Künsten und den Wissenschaften gewidmet. Dort ragen die Glasfenster heraus mit den Namen der Künstler und Wissenschaftler, in anderen Räumlichkeiten finden sich Querverweise zur Antike und zu anderen Mythen. Das sind Themen, mit denen man als Kaufmann nur bedingt zu tun hat. Dem Weltbild eines Kaufmanns stehen sie sogar entgegen, sie lassen sich mit den Denkwelten von Geld, Kosten, Umsätzen, Wirtschaftlichkeitsrechnungen und Bilanzen gar nicht vereinbaren. Stephan Sarter, ein Genie auf seine Art und Weise. Sarter starb in Paris, doch seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof in Königswinter.
2. Mai 2023
Kunst und Wissenschaft als ganzheitliches Konzept, das zeigte die Drachenburg in Königswinter. Dieses Konzept war zu sehen in dem großen Saal im ersten Obergeschoss mit seinen wunderschönen Glasfenstern. Erbaut Ende des 19. Jahrhunderts, hatten die Menschen wohl noch ein anderes Verhältnis zur Kunst. Die Naturwissenschaft waren nie so überbetont wie heute. Nur was sich nach irgend welchen Formeln durch denken läßt, schafft einen Mehrwert. So wie in der Investitionsrechnung: Forschung treibt technische Neuerungen an, die wirtschaftlich sein sollen, und eine Investition in den technischen Fortschritt erwirtschaftet eine Rendite. Dichtung und Kunst hatten in dieser Zeit noch einen anderen Stellenwert. So konzentriert sich dieser Saal auf Künstler aller Kategorien und auf Wissenschaftler. Die Glasfenster sind eingeteilt in diese Ausprägungen der Kunst: Dichtung, Malerei, Musik und nochmals Dichtung, die einen Dichter und Denker auf deutschem Staatsgebiet, die anderen als Europäer. Ein Fenster stellt große Architekten dar – wie etwa den ersten Dombaumeister des Kölner Doms, schließlich befasst sich ein Fenster mit Naturwissenschaftlern. Jeweils fünf Personen sind auf diesen Fenstern angeordnet, heraus ragende Persönlichkeiten, deren Schaffen entweder national oder auch weltweite Anerkennung gefunden hat. Rein zahlenmäßig sind etwa Dürer, Rubens, Goethe, Schiller, Verdi oder Wagner wichtiger als die Naturwissenschaftler Gutenberg, Liebig, Watt, Volta oder der Comte de Lesse (den ich im Internet nicht recherchiert bekam). Hieraus läßt sich schlussfolgern, dass heute die Bedeutung der Kunst abgesunken ist und dass die naturwissenschaftliche Denkweise dominiert. Formeln, Zahlen, Algorithmen haben das Denken des Menschen tief durchdrungen, die Vorgehensweise, seine Gefühle in Dichtung, Malerei oder Musik zu äußern, ist hingegen stark in den Hintergrund getreten. Es gibt zwar Romane, die in Bestsellerlisten stehen, oder auch Rockmusiker, die ihr bestes geben, aber in Summe sind dies allenfalls Nischenprodukte. Künstliche Intelligenz und die Digitalisierung haben das Schwergewicht hin zu den Naturwissenschaften nochmals verschoben. Würde man heute einen solchen Saal in der Anordnung von Kunst und Wissenschaft entwerfen, so würde sich in jedem Fall ein Mark Zuckerberg, ein Elon Musk oder ein Jeff Bezos dort wiederfinden. Und sie würden auch nicht harmonisch oder friedlich nebeneinander stehen, sondern Anhänger der letzten Generation würden dazwischen fahren. Islamische Terroristen würden etwas aushecken und die Augen würden sich auf die Ukraine richten, den Kriegswahnsinnigen Putin zu stoppen. Der Saal mit den Glasfenstern in der ersten Etage der Drachenburg kann als Momentaufnahme Ende des 19. Jahrhunderts betrachtet werden, als Gesamtkonzept von Kunst und Wissenschaft. Sie gibt der Kunst ihren Stellenwert, der ihr zusteht. Und sie würdigt das Schaffen dieser ganz großen Künstler.
3. Mai 2023
Nachdem wir uns das letzte Mal in der Vorweihnachtszeit gesehen hatten, traf ich gestern wieder den früheren Arbeitskollegen, den ich in der Anfangszeit bei der Deutschen Bundespost kennen gelernt hatte. Wie bereits im vergangenen Jahr und in dem Jahr davor, aßen wir in einer Pizzeria. So wie im letzten Sommer, erinnerte sich die Kellnerin an uns in dieser Pizzeria, wo wir eine Pizza Salami und eine Pizza Calzone aßen. Bestimmte Gesprächsthemen kehrten wieder: in der Familie seiner Lebensgefährtin ging es des öfteren drunter und drüber. Ihre Tochter besaß mit ihrem Mann ein Ferienhaus auf Mallorca, wo sie sich dauerhaft aufhielten, und dort ging ihre Enkeltochter auch zur Schule. Ihr Schwiegersohn war selbstständig, und seine Familie saß auf viel zu viel Geld. Aus diesem Korsett von zu viel Geld und auch jede Menge Streit hinter den Kulissen war die Enkeltochter zuletzt ausgebrochen. Vor Weihnachten hatte sie es abgelehnt, vom Flughafen nach Mallorca zurück zu fliegen. Anstatt dessen wollte sie zu ihrem leiblichen Vater, der in Ibbenbüren wohnte. 17 Jahre alt, war sie einige Tage unter Mitwirkung des Jugendamtes in einer Art Kinderheim unter gekommen, und danach hatte sie ihr leiblicher Vater in Ibbenbüren aufgenommen. Dort kam sie nun klar und dort fühlte sie sich wohl. So verschlug es meinen früheren Arbeitskollegen gelegentlich nach Ibbenbüren. Dieser Ortswechsel der Enkeltochter beschäftigte nun Rechtsanwälte, weil die Unterhaltsfrage zu klären war. Unterhaltspflichtig war auch die Mutter, die zwar keiner Beschäftigung nachging, aber über ihren reichen Ehemann von sehr viel Vermögen profitierte. Dieses Vermögen darzulegen, war nun Gegenstand des Rechtsstreites, dessen Ausgang offen war. Wir diskutierten auch über die Urlaubsform des früheren Arbeitskollegen, der eine Kreuzfahrt von Kiel bis nach Island mit seiner Lebensgefährtin unternahm. Ich hatte keinerlei Bezug zu Kreuzfahrtschiffen, ich erinnerte mich lediglich an einen Fernsehbericht, wie solche übergroßen Schiffe, die eine Kleinstadt beherbergen konnten, die historische Kulisse von Venedig verschandeten. Wir wagten den Vergleich, mit dem Auto in Urlaub zu fahren oder auf einem solchen Kreuzfahrtschiff. Wenn man den CO2-Ausstoß pro Person berechnete, dürfte dieser wahrscheinlich niedriger sein als mit dem eigenen PKW – allerdings nur bei voller Auslastung eines solchen Kreuzfahrtschiffes. Die Müllentsorgung und der Energieverbrauch dürften weitere Probleme sein, die es zu lösen galt. Bei seiner Lebensgefährtin war allerdings auch der Umstand zu berücksichtigen, dass sie eine Krebsoperation hinter sich gebracht hatte, die zur Folge hatte, dass sie jedesmal, wenn sie gegessen hatte, relativ kurzfristig anschließend eine Toilette aufsuchen musste. Dies war während einer Kreuzfahrt organisierbar, indem sie tagsüber nichts aß. Nach dem Abendessen auf dem Schiff war sie in der Lage, dort eine Toilette aufzusuchen. Wor quasselten noch über jede Menge andere Themen, und gegen 22 Uhr trennten wir uns. Zeitgleich nahm er seinen Zug in Richtung Mönchengladbach, während ich den Bus nach Hause nahm.
4. Mai 2023
Der Raps, eine umstrittene Anbaupflanze. Hinter Frankreich ist in Deutschland die Anbaufläche von Raps in Europa am größten, und der Anbau von Raps ist zuletzt Jahr für Jahr gestiegen. Wenn diese geerntet werden, wird aus den Samen Öl gewonnen, wovon sich der weitaus größte Teil an der Tankstelle unter den E10-Kraftstoffen wieder findet oder auch im Bio-Diesel. Eigentlich eine feine Sache, um die Abhängigkeit vom Erdöl zu reduzieren, könnte man meinen, doch es wird die Konkurrenz zu Anbaufläche kritisiert, die der Ernährung dient. Getreide zu ernten ist wichtiger als mit dem Auto durch die Gegend zu fahren, so begründet sich die ablehnende Haltung gegenüber dem Raps. Und so erschöpft man sich in Argumentationsschleifen, die letztlich ins Leere laufen. Wenn weniger E10-Benzin zur Verfügung steht, dann sollte man das Auto häufiger stehen lassen, man sollte zu Fuß gehen, das Fahrrad benutzen oder vielleicht öffentliche Verkehrsmittel. Das macht aber niemand, weil anscheinend der Leidensdruck zu gering ist. Also werden wir uns solche hübschen Anblicke von knalligem Gelb auf den Feldern auch in den nächsten Jahren erfreuen, und ich wage zu prognostizieren, dass die Anbaufläche eher steigen als zurück gehen wird. Hübsch sieht dies allemale aus, wobei die Komposition noch aufgehübscht wird durch den einzel stehenden Baum am Wegesrand und die Kirche im Hintergrund. Dabei unterstreicht die kräftige Farbgebung die Bedeutung des Rapses, der einen nicht unerheblichen Beitrag zur Energieversorgung leistet.
5. Mai 2023
Schattenseiten der Digitalisierung – diese Ausstellung war in der U-Bahn-Station vor dem Haus der Geschichte zu sehen. Die Ausstellung befasst sich mit der Entsorgung von Elektroschrott, wovon ein großer Teil nicht hierzulande entsorgt wird, sondern in Länder der Dritten Welt verschifft wird, wo keinerlei Standards gelten hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit. Die Fotografien zeigen, wie Menschen in China, Indien oder Ghana Elektrogeräte zerlegen, um Rohstoffe heraus zu lösen. Der Wiedergewinnungsprozess von Rohstoffen wird externalisiert irgendwohin, wo man nicht sehen kann, was mit den verbrauchten Konsumartikeln wirklich geschieht. Menschen wühlen in Müllbergen herum, sie picken sich diejenigen Materialien heraus, die man noch gebrauchen kann. Menschen werden zu einer Symbiose mit dem Müll, der zu deren Lebensgrundlage wird. Der Müll verschwindet aber nicht, wie in unseren westlichen Ländern, dass er getrennt wird in die Wiederverwertung und in die Verbrennung, dass Müll in einem Müllofen verschwindet und Strom daraus gewonnen wird. Die Digitalisierung wird so zu einem schmutzigen und menschenverachtenden Prozess, der hierzulande verdrängt wird und aus dem Bewusstsein verschwindet.
6. Mai 2023
Vor lauter anderen Dingen hatten wir vergessen, dass unsere Freundin versprochen hatte, zum Dorftrödel einen Kuchen zu backen. Wir hatten ihr bei der Erstattung einer Anzeige über das Internet geholfen, und sie hatte uns den Kuchen versprochen. Wir würden es nicht schaffen, beim Dorftrödel dabei zu sein, und unsere Freundin stand nun mit dem gebackenen Kuchen bereit. Wie wir ihn abholen wollten, fragte sie uns. Sie wohnte in Wesseling und schlug vor, mit der Fähre über den Rhein zu fahren, so dass wir ihn auf unserer Rheinseite entgegen nehmen könnten. Auf der Autofahrt zum Treffpunkt an der Anlegerstelle konnte ich auf die linke Rheinseite hinüber schauen. Wesseling ragte mit dem Doppelturm der Kirche St. Germanus heraus, auf der Fahrt über die schmale Teerstraße begegnete ich etlichen Fahrradfahrern. Baumreihen verdeckten die petrochemischen Industrieanlagen. Über die Fährverbindung, die Fußgänger und Fahrradfahrer transportierte, kam mir unsere Freundin entgegen. Den Zeitpunkt, das sie soeben über den Rhein gefahren war, hatte ich genau abgepasst. Mit dem Backen von Zitronen- und Apfelkuchen war sie sehr fleißig gewesen. Drei große Tupperdosen hatten sich mit den Kuchenstücken gefüllt. Den Dorftrödel hatten wir zwar ausfallen lassen, wir hatten aber keinerlei Probleme, Abnehmer für den Kuchen zu finden.
7. Mai 2023
Um zu wissen, was wie zu machen ist, komme ich nicht umhin, Fotos von den zu erledigenden Tätigkeiten im Garten zu machen. All die Details kann ich mir nicht mehr merken, außerdem ist vieles nur einmal im Jahr zu tun. So unsere Erfindung des Kartoffelturms. Wir pflanzen unsere Kartoffeln nicht nur, wie man es gewöhnlich tut, in Reihen, sondern in einer Kompostmiete. Und wie bei so manchen anderen Arbeitsschritten im Garten, war ich meiner eigenen Hilflosigkeit ausgeliefert, die Dinge so zu machen, wie es sonst meine Frau tut. Sie erklärte mir das Aufschichten der einzelnen Ebenen des Kartoffelturms, doch ich verstand nicht richtig. Daher dieses Foto als Merker für spätere Zeiten. Zwischen die Ritzen der Kompostmiete kommt Gras, das sich von oben senkrecht anlehnt. Zwischen den Grasstängeln müssen sich Lücken befinden, da ansonsten die Kartoffeln nicht mehr heraus treiben können. Von unten ausgehend, ist an den Seiten ein Streifen mit Erde aufzufüllen, die aus der Kompostmiete heraus genommen worden ist. In einer Rille, die in diesem Streifen gemacht worden ist, ist unter der Kartoffel durch gesiebter Kompost einzuschichten, die Kartoffeln sind an den keimenden Stellen mit sehr viel Vorsicht mit Komposterde aus dem Gartenmarkt zu bedecken. Die Kartoffeln sind ganz dicht an den Seiten der Kompostmiete zu pflanzen. Zwischen den beiden Seiten mit der Erde und den Kartoffeln ist Kleingehäckseltes aufzufüllen. Wenn die nächste Schicht folgt, dann verläuft diese quer zu der vorherigen, ganz oben ist dann nur noch Erde. Wir hoffen auf gute Erträge und ganz viele leckere Kartoffeln.
8. Mai 2023
Kater mit Abszess. Als unser Kater Oskar um die Mittagszeit in unser Haus tappste, bemerkte meine Frau eine dicke Stelle an seinem Kopf. Die Stelle neben seinem Ohr wölbte sich ganz stark nach oben, und obschon sie so ausgeprägt war, musste ich ein paar Male hinschauen, um sie zu sehen. Die Stelle war deutlich, so dass wir mit ihm den Tierarzt aufsuchen mussten. Meine Frau musste nachmittags arbeiten, ich selbst arbeitete im Home Office, so dass ich derjenige war, der dies mit ihm erledigen sollte. Die Tierarztpraxis in unserem Ort hatte ab 16 Uhr geöffnet. Und als ich kurz vor 16 Uhr anrief, bekam ich einen Termin um 16.45 Uhr. Einmal Skalpell, Tropfschale, Salzlösung, Desinfektionsmittel, dies befand die Tierärztin kurz. Abszess, so lautete ihre kurze und knappe Diagnose. Auf dem Behandlungstisch war unser Kater Oskar ganz mutig, er gab keinen Muckser von sich und ließ alles über sich ergehen. Mit dem Skalpell schnitt sie den Abszess auf, jede Menge Flüssigkeit in Form von Eiter lief heraus, später war es Blut, das sie mit den Fingern heraus presste Sie desinfizierte die aufgeschnittene Stelle, gab eine Salbe in die Wunde hinein und gab Spritzen mit einem Antibiotikum und einem Schmerzmittel. Während dieser Prozedur war unser Kater Oskar still und ließ die Dinge regungslos über sich ergehen, womöglich war er auch froh, dass der Schmerz des Abszesses vorbei war und dass er die aufgeblähten Stelle auf seinem Kopf los geworden war. Wie war der Abszess entstanden ? Die Tierärztin meinte, er wäre vielleicht mit einer anderen Katze aneinander geraten, die ihn verletzt hatte. Die Wunde hätte sich dann entzündet und vereitert. Nun durfte er bis Morgen nicht mehr nach draußen, außerdem musste er Schmerzmittel und ein Antibiotikum nehmen. Übermorgen mussten wir uns zur Kontrolle der aufgeschnittenen Wunde sehen lassen. In ein paar Tagen würde es dann so aussehen, als sei alles gut überstanden.
9. Mai 2023
In diesen Tagen heißt es: Daumen drücken für unsere kleine Tochter, die zentralen Abschlussprüfungen sind nämlich zu schreiben. Letzten Donnerstag war Deutsch an der Reihe. Als wir sie abends fragten, wie es gelaufen sei, meinte sie: normal. Dieselbe Antwort gab sie, als wir sie nach den zu bearbeitenden Themen fragten und nach ihrem Gefühl, wie denn die Note ausfallen könnte. Wir hofften, dass dieses „normal“ so zu deuten war, dass sie alle Aufgaben in einer guten Qualität geschafft hatte und dies auch in der geforderten Zeit. Heute schreibt sie ihre zentrale Abschlussprüfung in Englisch. Zumindest machte sie einen lockeren und unverkrampften Eindruck und wir hofften, dass sie einen Tag erwischen würde, an dem sie gut drauf sein würde. Übermorgen käme dann dasjenige Fach, mit dem sie am meisten auf Kriegsfuß stand: Mathematik. Auf den letzten Zeugnissen hatte stets eine fünf gestanden, und wenn alles normal verlaufen würde, würde sie einen Ausgleich in Deutsch oder Englisch brauchen, um den Realschulabschluss zu schaffen. So hatte sie sich in den letzten Jahren stets hindurch gewurstelt. Die Versetzungen hatte sie geschafft, und so hofften wir, dass sie mit ihrer Strategie zu lernen den Abschluss schaffen würde. Wir drückten ganz dick die Daumen und dass sie in diesem Tagen zu ihrer Hochform auflaufen würde !
10. Mai 2023
Spontan, eine Woche davor, hatte ich mich entschlossen, das Roger Waters-Konzert in der Kölner Lanxess-Arena zu besuchen. Dabei gab es im Vorfeld fleißig Wirbel um das Konzert wegen antisemitischer Äußerungen. Das Konzert war jedenfalls super und ein einzigartiges Erlebnis. Der inzwischen 79-jährige Roger Waters sang nur wenig gealtert, in einer jugendlichen Frische und energiegeladen die Stücke mit seiner Band, die zehn oder sogar mehr Musiker zählte. Er sang insgesamt zehn Stücke aus den alten Pink Floyd-Zeiten, die so überzeugend, voller Leidenschaft und so original gespielt wurden, als hätten Pink Floyd leibhaftig auf der Bühne gestanden. Der Gesang und das Klangbild der Musik wurden untermalt mit einer Multimedia-Wand, die in einer Kreuzform angeordnet war. Dort liefen Filmsequenzen ab, Texte wurden eingeblendet, Sprüche und Parolen wurden gezeigt oder auch Bilder in unterschiedlichen Kompositionen angeordnet. Meine persönlichen Lieblingsstücke waren „Sheep“ aus dem Animals-Album, wozu ich lernte, dass sich Pink Floyd seiner Zeit auf das Buch „Animal Farm“ von George Orwell bezogen hatte. Während des Stückes „Sheep“ flog ein aufgeblasenes Schaf quer durch die Lanxess-Arena. Ein anderer Bezug wurde zum Roman „Brave New World“ von Aldous Huxley hergestellt, dieser wurde in dem Album „The Wall“ eingetextet. In dem Stück „Shine on you crazy diamond“ überzeugte der Saxophonist, der das Stück sehr lang, auf der einen Seite des Laufstegs Kontakt zum Publikum aufnehmend, ausklingen ließ. Zu „Wish you were here“ erzählte Roger Waters, dass er diesen Song Syd Barrett gewidmet hatte. Sie waren in London auf dieselbe College-School gegangen, und während ihrer Schulzeit hatten sie sich geschworen, eine Band zu gründen. 1968 entstammte aus dieser Urbesetzung die Band Pink Floyd. Im letzten Drittel liefen die Stücke „Money“, „Us and them“ und „Dark Side of the Moon“ aus dem gleichnamigen Album zum Höhepunkt der Show, dabei kam die Multimedia-Wand in einer phänomenalen Farbkomposition zum Einsatz. Sie bildete das Plattencover mit dem Dreieck und den Regenbogenfarben nach, das Dreieck erhob sich über der Bühne und der Regenbogen fügte sich aus den Einzelfarben des Farbspektrums zusammen. Roger Waters spielte aber nicht nur Stücke aus dem Fundus alter Pink Floyd-Stücke, deren Synthesizer-betonte Klangwelten in aller Ohren waren, er spielte auch neue, unbekannte Songs. So besang er in einem Song, wie ein indigener Volksstamm gegen den Schutz von Indianerreservaten protestierte. In dem letzten Stück, bevor Roger Waters mit seinen Musikern die Bühne verließ, sang er über seinen verstorbenen Bruder. Davor erzählte er, dass drei Personen ihm in seinem Leben besonders viel bedeutet hatten: das war Bob Dylan, seine Mutter und sein Bruder. Er war drei Jahre älter als er und im letzten Jahr verstorben. Den anfangs geäußerten Vorwurf gegen Roger Waters, er sei antisemitisch, kann ich weitgehend nicht bestätigen. Er gab einige Szenen, die ich als krass empfand, aber nicht als antisemitisch, die Interpretation ließ da sehr große Spielräume. In dem Stück „Run like Hell“ aus dem Album „The Wall“ waren gekreuzte Hammer zu sehen, die als Truppen aufmarschierten. Dabei nahm er ein Gewehr in die Hand und tat so, als ob er schoß. Das konnte auch als Entwicklungspfade aus der Isolation des Menschen interpretiert werden. Durch eine Mauer umschlossen und isoliert, war der Mensch manipulierbar, er war empfänglich für den Faschismus und steuerbar durch einen Führer. In einer anderen Sequenz bezeichnete er die amerikanischen Präsidenten Reagan und Bush als Mörder, weil der erste Rebellen in Guatemala unterstützt hatte, der andere hatte einen Krieg im Irak angezettelt. Später, als ein aufgeblasenes Schwein durch die Halle flog, war darauf der Spruch „sie nehmen sich das Geld von den Armen“ zu lesen. Ein Judenstern, welcher der Grund für die Demonstration gewesen sein sollte, war darauf allerdings nicht zu sehen. Dann forderte er auf der Multimedia-Wand Freiheitsrechte für viele Gruppen und Gruppierungen, darunter die Palästinenser. In all diesen Darstellungen konnte ich nichts judenfeindliches entdecken. Über die gesamte Show hinweg, war ich einfach überwältigt, alte Pink Floyd-Stücke zu hören und die außergewöhnlichen Klangwelten zu genießen. Es war ein Abend, von dem ich sicherlich noch sehr lange zehren werde.
11. Mai 2023
Im Nachgang, all die wunderbaren Stücke von Pink Floyd noch in den Ohren, befasste ich mich mit deren Musik. Die ersten Alben, darunter „Ummagumma“ und „Atom Heart Mother“, empfand ich geradezu als Schrott. Das darauf folgende Album „Meddle“ erreichte dann die Qualität, die Pink Floyd bis zu ihren letzten Alben ausgemacht hatte. Ich glaube, 1995, hatten sich Pink Floyd offiziell aufgelöst. Während des Konzertes von Roger Waters hatte ich aufmerksam auf der Multimedia-Wand all die Bilder, Filmsequenzen, Schriftzüge und Parolen studiert. Mit seinen Sprüchen forderte er Freiheit und Menschenrechte ein. Er klagte Gewalt gegen Schwarze an, ebenso die zunehmende Kluft zwischen reich und arm. Als Künstler hob er sich auf eine Ebene, die Bühne als Plattform zu nutzen, um Missstände in der Welt anzuprangern und an Verantwortliche zu appellieren, Dinge zu ändern. Ich lernte, dass er sich bei den Texten etwas gedacht hatte und dass hinter jedem Stück eine Geschichte stand. Eine Geschichte, die von seiner Person ausging, Erlebnisse, Gefühle, Lebenserfahrungen, Weltanschauungen, oder Geschichten, die von anderen Bandmitgliedern ausgingen. Die Musik von Pink Floyd hatte Substanz. Eine Substanz, die ich bei anderen Gruppen wie U2, Manfred Mann’s Earth Band oder Supertramp genauso ausmachen konnte. Andere Autoren zitierten aus Filmen oder aus Fernsehsendungen, um Dinge in Zusammenhänge zu bringen. Bei mir wären dies auch Rockgruppen, da sie ihre Philosophie und ihre Weltanschauungen in ihren Stücken verarbeiteten. Pink Floyd war dafür ein sehr gutes Beispiel. So zum Beispiel mit ihrem Album „Animals“, wo die Hunde die Kapitalisten waren und die Schafe die Massen, die den Kapitalisten folgten. Oder das Album „The Wall“, in dem Roger Waters Ängste aus seiner Kindheit und die Isolation des Menschen weiter verarbeitet hatte. Sein Konzert waren ganz große Stunden, in denen seine Musik zu hören war und er seine Botschaften platzieren konnte. Es war diese Kombination von Musik und Botschaft, die eher selten über alle Genres der Musik hinweg vorzufinden war.
12. Mai 2023
Am Tag der offenen Tür konnte ich mir anschauen, wie die Tackernadeln aussahen, die der Schwager sehr häufig in der Behindertenwerkstatt bearbeitete. Sie dienten zur Fixierung von Fußbodenheizungen. Sie umschlossen die Heizrohre und wurden auf Tackerplatten befestigt, bevor der Estrich darauf gegossen wurde. Die Tackernadeln über den Heizungsrohren anzuordnen, war eine äußerst monotone Tätigkeit, so dass der Schwager bisweilen darüber klagte, ob es nicht interessantere Tätigkeiten gäbe. Bei Tag der offenen Türe konnten wir viele Arbeitsplätze beobachten, die mit genau diesen Tackernadeln beschäftigt waren. Der Schwager war an diesem Tag der offenen Tür krank und erkältet, so dass ich mit dem zweiten WG-Bewohner, der nicht in der Behindertenwerkstatt arbeitete, dorthin gefahren war. Ihm war die Arbeit mit den Tackernadeln zu stupide gewesen, so dass er irgendwann so viel krank gewesen war und sich auch gar nicht mehr krank meldete, dass er von der Werkstatt ausgeschlossen wurde. Nun saß er in der Dreier-WG mehr oder weniger herum und langweilte sich. Diesem WG-Bewohner folgte ich am Tag der offenen Tür, ich schaute in die Werkstattbereiche hinein, die nicht nur mit den Tackernadeln zu tun hatten. Der WG-Bewohner kannte viele Personen aus der Behindertenwerkstatt, er machte ihm sichtlich Freude, diese wieder zu sehen, ich folgte ihm und ließ ihn so viel erzählen, wie er wollte. Als er genug erzählt hatte, aßen wir Fritten und eine Wurst, er trank Fanta und eine Cola. Und da neigte sich der Tag der offenen Türe bereits seinem Ende zu, der Getränkestand wurde dicht gemacht, die auf dem Bräter liegenden restlichen Würste wurden abverkauft, die Blumendekorationen auf den Biertischen wurden weggeräumt. So fuhren wir wieder nach Hause zurück, mit ganz vielen Eindrücken der Farbe Grün, das war die Farbe der Tackernadeln.
13. Mai 2023
Die Körper von Mann und Frau, die Stuckdarstellungen in der Wand und die schönen Formen erinnerten an die griechische Antike. Beide, Mann und Frau, hatten ausgeprägte Muskeln, die Formen waren wohl proportioniert, sie waren vielleicht Athleten und ihre Erscheinungsformen passten in den Ort, der ein Fitnessstudio war und im zweiten Stock Leistungen der Physiotherapie anbot. Ich war mit dem Schwager dorthin gefahren, wo er seine erste Sitzung hatte. Zu dieser ersten Sitzung benötigte der Physiotherapeut Informationen, was die Gründe und die Ziele der Physiotherapie sein sollten. Eine Reihe von Formularen war auszufüllen, die mit dem Datenschutz zu tun hatten, die die Nichtwahrnehmung von Terminen betrafen und die Krankengeschichte. Aus der Verordnung zitierte er das Hüftleiden und fragte, wann und wie und in welcher Form dieses aufgetreten sei. Dazu war ich nicht ganz aussagefähig, ich wußte, dass er bereits seit längerer Zeit Probleme mit der Hüfte hatte. Ich verwies auf den Umstand, dass er sich im Frühjahr letzten Jahres verstärkt an die Hüfte gefasst hatte. Das war auf einen Leistenbruch zurück zu führen, der im August letzten Jahres operiert worden war, dazu würde er gerne den Arztbericht über die Operation durchlesen, den er uns beim nächsten Mal bat mitzubringen. Des weiteren erzählte ich über den Lagerungsschwindel, welcher die Ursache für den Rollator gewesen war. Die Sitzung erstreckte sich insgesamt über 20 Minuten. Mit diesen Informationen erläuterte uns der Physiotherapeut, dass er Übungen zur Beweglichkeit im Alltag machen würde, namentlich Beuge-, Streck- und Hebeübungen an den beiden Beinen. Diese führte er gemeinsam mit dem Schwager im Liegen aus. Sollte dabei ein Schmerz auftreten, sei Sinn und Zweck der Übung, diesen Schmerz zu überwinden. Da wir eine Zeitlang damit verbracht hatten, dem Physiotherapeuten die nötigen Informationen zu erzählen, verblieb nicht mehr allzu viel Zeit für die Übungen. Die Beuge-, Streck- und Hebeübungen sollte er zweimal täglich über eine Abfolge von jeweils fünf Übungen je Bein durchführen. Am darauf folgenden Montag war der nächste Termin, und wir hatten bereits eine Serie von Terminen über die Anzahl der Sitzungen in der Verordnung.
14. Mai 2023
Es war so ziemlich genau wie vor einem Jahr, allerdings mit der Ausnahme, dass wir diesmal in Leverkusen waren und nicht in Bonn. Scala anstelle Pantheon, beides waren hübsche Locations, die Bonner in einer alten Fabrikhalle, in Leverkusen-Opladen hatten wir uns in einem früheren Kinosaal zusammen gefunden. Freunde hatten uns nach Roland Jankowsky mitgenommen, der aus der Wilsberg-Krimiserie bekannt war als der Kommissar Overbeck. Er las Krimi-Geschichten vor, die er selbst nicht geschrieben hatte, sondern andere Autoren. Diese las er in einer solchen Intonation vor, dass er die Spannung, die Charaktere und die Situationen sehr leidenschaftlich vermittelte. Das Publikum hörte gebannt zu, und ein Unterschied zu der Bonner Lesung war, dass er zu Leverkusen-Opladen einen Bezug hatte. Er war dort aufs Gymnasium gegangen, und er plauderte fleißig aus seinem Nähkästchen, wie die Zeiten früher in Opladen gewesen waren, dass es noch richtige Kneipen und Discos gegeben hatte. Und so nannte er zum Beispiel eine Imbissbude – den Wurstmaxe – den er rege frequentiert hatte und den es heute noch gab, der allerdings am heutigen Tag aus einem unerfindlichen Grund einen Ruhetag hatte. Er plauderte über das alte Leverkusener Rathaus, das noch richtig schön gewesen war und abgerissen worden war, über die neue Rathausgalerie in Leverkusen, die nichts gemütliches an sich hatte, oder auch über die Opladener Fußgängerzone, wo alles nur neu war und die Geschäfte leer standen. Anschließend las er seine Krimigeschichten vor, die für unsere Freunde neu waren. Für uns hingegen nicht, es lohnte sich allerdings, diese ein zweites Mal zu hören. Vier Krimigeschichten waren es insgesamt, mit einer entsprechenden Länge, und diesen Krimigeschichten verlieh Roland Jankowsky eine besondere Note, indem er in seinen leidenschaftlichen Vortrag regionale Charaktere aus Bayern, Sachsen, Niedersachsen und auch Köln einbaute. Als Rheinländer gefiel mir naturgemäß die Kölner Geschichte am besten, die sich in den heiligen Büroräumen eines Kölner Meldeamtes abspielte, wo eine Frau Sägemüller die tragische Hauptperson war, neben einem osteuropäisch klingenden Namen, der eben diese Säge nahm und der Frau Sägemüller schlimmes antat. Der Humor des Kölner Zungeneinschlages überbetonte das Schreckliche, es war einfach so dermaßen lustig und zum Lachen erzählt, dass der schwarze und groteske Charakter des Humors noch abgrundtiefer wurde. Roland Jankowsky steigerte sich hinein in seine Erzählstränge, und man merkte ihm an, dass er ein Schauspieler war. Die Pointe baute er sehr sauber und lang andauernd auf, bis diese platzte wie eine Bombe. Der Abend war höchst unterhaltsam, aber eines trübte den Abend: die Stühle, auf denen wir saßen, waren wirklich nicht bequem. Sie waren so unbequem, dass der Rückenschmerz, der bei meiner Frau nahezu gänzlich verschwunden war, wieder massiv auflebte. Die Beinfreiheit war viel zu eng, und auch ich selbst musste in der Pause ordentlich meine Beine vertreten.
15. Mai 2023
Schon der alte Kinosaal, wo Roland Jankowsky seine Lesung abhielt, war am anderen Ende höchst gemütlich eingerichtet. In der ganzen Länge erstreckte sich eine Theke, davor gruppierten sich Stehtische, wo man sich in der Pause zusammen scharte. In der Pause wählte ich den Ausgang zur rechten Seite der Theke, von wo aus man in ein Lokal eintrat, welches das Aussehen einer Kneipe verdiente. Eine Theke aus Holz, zartbraune Fliesen, eine beige Wandtapete, Holztische und Holzstühle in Nischen und Ecken. Die Kneipe war gut besucht, das Publikum gemischt von jung bis älter, der Ausgang nach draußen war offen. Dort stand man bis auf die Straße hinaus, der Abend hatte noch etwas Tageswärme konserviert. Das Bierglas in den Händen haltend, war man den eigenen vier Wänden entflohen. Von Kneipenbesuchen bin ich zu Lasten von Cafébesuchen vollständig abgekommen, zu meiner Entschuldigung muss ich allerdings auch ausführen, dass ich in unserer Gegend zu wenig Kneipen kenne, die diesen Namen verdienen. Meist sind sie zu schummrig und zu dunkel von innen, die Fenster haben zu oft diese dunklen Milchglasscheiben, die den Einfall von Tageslicht verhindern. Und der Thekenbereich ist so zentral, dass zu viele Kneipenbesucher an der Theke hängen, vor sich her schweigen und ein Bier nach dem anderen trinken. Hier in Leverkusen-Opladen sah alles ganz anders aus. So rein zufällig waren wir Teil geworden der Leverkusener Kneipennacht, die genau an diesem Samstag statt fand. Die Stadt Leverkusen schien sich auf ihr Nachtleben besinnen zu wollen, mit ihren Kneipen, mit ihren Menschen, die dort in geselliger Runde ihr Bier trinken wollten, und wo das Kneipenleben die Menschen zusammen führte. Dort betrieb man Networking und die analoge Kommunikation, unter Abwesenheit des Internets, blühte auf. Die schönste Ecke in dieser Kneipe war der Plattenspieler, der wie in guten alten Zeiten die Vinylplatten vom besten gab. Die Musik, die mir unbekannt, aber hervorragend war, lief irgendwo zwischen Funk und Jazz. Der Jazz ein bißchen Pat Metheney, die Stimmen ein bißchen Earth, Wind and Fire, konnte man sich treiben lassen bei dieser Musik, die Stimmungsbilder erzeugte und diese zwischen die Kneipenbesucher einschob. Es war ein Rückfall in die Zeiten vor der Mobilkommunikation, und ich mochte diese Stimmung, dass man mit Freunden – oder auch alleine – ein Bier trinken ging. Wie in alten Zeiten.
16. Mai 2023
Am Tag der offenen Tür in der Behindertenwerkstatt lernte ich, dass die Schule im Nachbarort lange Zeit als Schule für geistig Behinderte gedient hatte. Einst waren Grundschüler dorthin gegangen, bis die Grundschule an anderer Stelle neu gebaut wurde. So kam es, dass im Jahr 1966 diese Schule geistig behinderten Kindern zur Verfügung gestellt wurde. Insgesamt 72 Kinder erhielten dort Schulunterricht. Dies galt seiner Zeit als enormer Fortschritt, da eine eigene Vermittlung von Bildung an die Bildungsschicht geistig Behinderter damals eher eine Ausnahme war. Über Schule und Behindertenwerkstatt konnte somit den Behinderten ein nahezu normaler Lebensweg geebnet werden. Später wurde eine größere Schule für geistig Behinderte in St. Augustin aufgebaut, so dass diese dorthin verlagert wurde. Heute dient die Schule im Nachbarort noch als Förderschule und hat einen kirchlichen Träger. Da die Mindestschülerzahl nicht erreicht wird, droht allerdings die Schließung. Der Beschluss der Bezirksregierung zur Schließung steht fest. Er soll dadurch umgesetzt werden, dass die noch vorhandenen Schulklassen auslaufen und keine neuen Schüler mehr aufgenommen werden.
17. Mai 2023
Die Regina Pacis über dem Südeingang der Universität – die Königin des Friedens auf Deutsch. Es ist die Darstellung einer Madonna mit Kind, die in ihrer vergoldeten Form aus dem Jahr 1744 stammt, mit einem Zeitversatz von etwa dreißig Jahren nach Fertigstellung des kurfürstlichen Schlosses wurde diese angebracht. Wiederum später, 1818, als der preußische König das Gebäude der neu gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität schenkte, wurde die Statue der Regina Pacis zur Schutzpatronin der Universität. Die Madonna mit Kind sollte sich als unverwüstlich heraus stellen. Während des großen Schlossbrandes von 1777 war sie unversehrt geblieben, und sie überstand ebenso das Fest der Volkssouveränität, welches die französischen Besatzer am 23. März 1798 im Hofgarten veranstalteten. Zu diesem Fest war im Hofgarten ein Hügel aufgeschüttet worden, auf dem verschiedene Insignien des Kurfürsten geopfert werden sollten. Dazu sollte die Regina Pacis aus ihrer Nische heraus gerissen werden und auf einem Scheiterhaufen zerstört werden. Bereits das Herausreißen aus der Nische misslang. Als sechs Pferde sie aus der Verankerung reißen sollten, rissen die Seile. Nachfolgende weitere Versuche des Herausreißens scheiterten am Widerstand der Bevölkerung. Genauso unbeschädigt überstand die Königin des Friedens die Bomben des Zweiten Weltkrieges. Während das Schlossgebäude im Oktober 1944 zu großen Teilen zerstört wurde, überlebte die Madonna mit Kind in ihrer Nische das Inferno wie durch ein Wunder. Standhaft hatten ihr die Bomben nichts anhaben können. So nimmt sie auch heute in ihrem Aussehen, wie sie 1744 geschaffen worden ist, ihre Funktion als Schutzpatronin der Universität wahr.
18. Mai 2023
Tomaten muss man ausgeizen, das habe ich heute gelernt. Die Gartenarbeit gestaltet sich in diesem Jahr langwierig bis chaotisch, weil meiner Frau nicht so viel Zeit dafür zur Verfügung steht. Dann darf ich diese Tätigkeiten übernehmen, ich mache es aber eher selten so, wie meine Frau es ansonsten gemacht hat. Sie muss mir mehrfach dasselbe erklären, ich muss nacharbeiten, manchmal sogar die erledigten Tätigkeiten zurück arbeiten und dann wieder neu machen. Das ist mühselig, ärgerlich, zeitraubend, so dass wir schlecht voran kommen. Ausgeizen bedeutet, die frischen Seitentriebe der Tomatenpflanzen zu entfernen. Heute habe ich die Tomaten in größere Töpfe umgetopft. Kein durch gesiebter Kompost sollte in die größeren Töpfe hinein, anstatt dessen Tomatenerde, wovon wir noch einen Sack übrig hatten. Den Boden des Topfes bedeckte ich mit Erde, dann stellte ich die Pflanze hinein und entfernte die Seitentriebe mit der Schere, bis auf diejenige Höhe, dass der Stängel aus dem Topf heraus ragte. Den Topf füllte ich mit Tomatenerde aus. Ebenso besprachen wir heute das Herrichten der Hochbeete für die Zucchinis. Die Erde musste heraus gehoben werden, und dann befüllt werden mit Kompost, der noch zusammen pappte. Davon brauchten wir viel Kompost, so dass das Hochbeet danach deutlich höher werden sollte. Diese Abfolge der Tätigkeiten bedeutete für mich, dass ich zuerst die linke Kompostmiete leeren musste (und dabei den guten, nicht zusammen pappenden Kompost) durch sieben musste. Dann konnte ich die Berge von Unkraut, die ich abseits angehäuft hatte, hinein füllen, auf diese Masse konnte ich den rechten Komposthaufen auf den linken Komposthaufen umschichten, bis ich am rechten Komposthaufen auf den matschigen, zusammen pappenden Kompost stoßen würde, der dann wiederum die Grundlage für das Hochbeet mit den noch einzupflanzenden Zucchins bilden würde. Es gab also noch viel zu tun. Ich hoffte allerdings, dass solche Arbeiten künftig nicht mehr auf Sonn- oder Feiertage geschoben werden mussten, sondern dass diese alleine Werktage in Anspruch nehmen würden.
19. Mai 2023
Heute, an unserem Hochzeitstag, hatte ich lauter Dinge unternommen, die ich schon immer unternommen haben wollte, aber nie geschafft hatte. Sie hatten allerdings ganz und gar nichts mit unserem Hochzeitstag zu tun. Ich baute nämlich Überstunden ab und hatte einen Tag frei, den ich dazu nutzte, um mir in der Stadt Dinge anzuschauen, das waren Kleinigkeiten, denen man im Alltag kaum Aufmerksamkeit schenkt. Diese Dinge erzählten eine Geschichte, sie konnten unwichtig sein bis hin zu weltgeschichtlichen Ereignissen, und manche davon waren der Spiegel von einem selbst. Um diese Dinge aufzufinden, war ich mit dem Rennrad in die Stadt gefahren, ich hatte einen alten Dumont-Kunstreiseführer mitgenommen, mich in ein Café gesetzt, um all die Kleinigkeiten, Orte und Ereignisse herauszuschreiben. Die Tour führte mich zu den Orten rund um den Alten Zoll, in die Münsterkirche und in die Südstadt. In Poppelsdorf endete die Tour, wo ich abermals einen Kaffee trank. Dabei lernte ich so einiges. Dass Bonn zum Beispiel bis 1970 Sitz einer wichtigen Bergbaubehörde gewesen war, obschon die Region um die frühere Bundeshauptstadt nie vom Bergbau geprägt war. Oben auf dem Alten Zoll lernte ich, dass sich der Titel seines konfliktträchtigen Werkes „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“ auf dem Sockel des Denkmals von Ernst Moritz Arndt wieder fand. In der Münsterkirche erfuhr ich, dass wenige Kölner Erzbischöfe dort ihre Grabstätte gefunden hatten, was eine Aufwertung für Bonn bedeutete und eine Abwertung für Köln. In der Südstadt bestaunte ich die Geschlossenheit, die Schönheit und die Verzierungen der Bürgerhäuser und der Villen. An einem Giebel hatte der Besitzer dokumentiert, dass sich die Baubehörden nicht nur heute kleinlich, pingelig und beamtenmäßig verhielten. Er äußerte seinen Unmut mit einem Spruch, dass es ihm um die Jahrhundertwende 1900 auch gegen den Widerstand der Baubehörden gelungen war, das Haus fertig zu stellen. Mit dem Denkmal von August Kekulé, einem Chemieprofessor, schlug ich den Bogen zum Chemieunterricht in der Schule. Er hatte die Ringstruktur der chemischen Formel von Benzol entdeckt, womit so mancher Schüler womöglich seine Probleme gehabt haben dürfte. Als ich nach Hause zurück kehrte, machte ich mich an die Außenanlagen des Hauses der Dreier-WG heran. Ich entfernte den Wildwuchs von Disteln im Vorgarten, im Garten mähte ich den Rasen. Gleichzeitig hatte der Treff der Behinderten im Nachbarort statt gefunden, und bei diesem Treff war es zu einer höchst unglücklichen Konstellation gekommen. Der Mai war das Thema dieses Treffs, und um den Mai feiernd begehen zu können, wurde eine Maikönigin und ein Maikönig ausgelost. Wie der Zufall es wollte, war dies der Schwager und die Freundin des einen WG-Bewohners. Dieser war absolut eifersüchtig und zornig, dass diese beiden ein Paar bildeten. Als Höhepunkt war sogar noch ein Fotograf eingeladen, der das Paar fotografieren sollte, was den einen WG-Bewohner außer sich geraten ließ. Die Beteiligten taten sich schwer, sich zu versöhnen. Der WG-Bewohner verließ den Treff, indem er, alleine mit seiner Freundin, zu Fuß mit ihr nach Hause ging. Zu Hause angekommen, gingen die beiden zur Versöhnung ins Eiscafé. Danach waren die Wogen wieder geglättet. Und weil mit dem fest stehenden Behindertentreff und den voraus sehbaren Gartenarbeiten absehbar war, dass die Zeit eng war, um den Hochzeitstag zu würdigen, nahmen wir uns am nächsten Tag etwas vor.
20. Mai 2023
Irgend wie waren wir auf Essen, Restaurants, Cafés und Frühstücken gekommen, wenn wir etwas schönes unternehmen wollten. Gerade das Essen in Restaurants entlastete uns von der Kocherei, da sich das Tagesgeschehen stets eng drängelte. Und gerade das Frühstücken in einem Café ließ ein ganz anderes Zeitgefühl aufkommen, es ließ sich in Bissen und Happen aufteilen, in Schlücke Kaffee oder auch andere Getränke, die sich beliebig ausdehnen ließen. Dabei war die Auswahl an Restaurants endlich, wir bevorzugten zwei chinesische Restaurants sowie einen Griechen und einen Kroaten in unserem Ort, die beide den Charme hatten, dass sie mit dem Fahrrad, vielleicht auch zu Fuß, erreichbar waren. Somit konnten wir einen Wein oder etwas anderes Alkoholisches trinken. An diesem Abend wählten wir das griechische Restaurant, ich aß Moussaka, meine Frau Hähnchenbrustfilet, und dabei diskutierte ich die Häufigkeit unserer Restaurant- und Café-Frühstücks-Besuche. Auch weil zwei Geburtstage aufeinander gefolgt waren, hatten sich das Essen-Gehen zuletzt gehäuft: im Zusammenhang mit dem Geburtstag meiner Frau waren wir dreimal frühstücken gewesen und waren zweimal essen gegangen, was mit Geschenkgutscheinen zu tun hatte. Im April hatte unsere Tochter Geburtstag gehabt, und zuletzt waren wir mit Freunden vor der Lesung von Roland Jankowsky in einer Pizzeria essen gewesen. Beim Essen mit meiner Frau stelle ich fest, dass die Gesprächsverläufe breiter und entspannter waren. Die Umgebung von Restaurants und Cafés inspirierte, wir beiden sammelten uns, diskutierten die Gegebenheiten des Alltags, schüttelten all die Strenge ab, die so manche Situation begleitete. Im Restaurant fanden wir ein Stück zu uns selber, selbst wenn die Häufigkeit zuletzt zugenommen hatte, was eher eine Frage des Geldbeutels war. Als wir das griechische Restaurant verließen, freuten wir uns auf den nächsten noch nicht fest stehenden Anlass, ein Restaurant zu besuchen oder im Café zu frühstücken.
21. Mai 2023
Mit dem Fahrrad fuhr ich so gut wie nie über die Adenauerallee vom Büro aus nach Hause zurück, so dass ich diesen Biergarten in der Stadt zwar gesehen hatte, ich war aber nie dort gewesen. Kennen und schätzen gelernt hatte ich die Biergärten „Zum blauen Affen“ und „Am Schänzchen“, aber der Biergarten am Alten Zoll ? Die Lage sah fantastisch aus, und wie ich heute feststellen sollte, hielt der Biergarten, was er versprach. Während meine Frau mit den Kegelbrüdern rund um den Schwager kegelte, fuhr ich mit dem Bus in die Stadt. Von der Haltestelle am Markt waren es vielleicht fünf Minuten bis zum Biergarten. Das Wetter war genau richtig, die Sonne schien, es war warm, aber nicht zu heiß. Der größte Teil der Plätze lag allerdings in der Sonne, was bei Hitzewellen um die Nachmittagszeit unerträglich sein dürfte. Ich suchte mir indes ein Plätzchen vor dem angrenzenden Hotel Königshof im Schatten, von wo aus ich einen direkten Blick auf die mächtige Festungsanlage des Alten Zoll hatte. Im Gegensatz zu den beiden anderen Biergärten war es hier nicht der Baumbestand oder der ungehinderte Blick auf den Rhein, sondern genau diese hohen Mauern der Festung, die den Charme des Biergartens ausmachten. Die Grünanlage bis zur Adenauerallee war auch nicht schlecht, das Gefühl, hier zu sitzen, war geschichtsträchtig, monumental, romantisch, versponnen. Nur der Blick auf den Rhein war nicht so, wie man es von außen vermuten konnte. Über den Mauervorsprung rankte sich dichtes Blattwerk, so dass das Stückchen Rhein, das man über die Mauer erspähen konnte, schmal war. Der fantastischen Umgebung tat dies aber keinen Abbruch, ich saß an einem sehr schönen Flecken Erde. Den Kaffee genoss ich, und nach einem Spaziergang durch die Stadt nahm ich den nächsten Bus nach Hause zurück.
22. Mai 2023
Es sollte die letzte Schulwoche sein, die unsere Tochter vor sich haben sollte. Nach dieser letzten Schulwoche sollte nur noch die Abschlussfeier folgen. Um das Schuljahr gebührend abzuschließen, machte die Schulklasse einen Ausflug ins Phantasialand. Morgens fuhr ich unsere Tochter mit ihrer besten Freundin dorthin, nach 18 Uhr holte ich sie dort wieder ab. Ich schrieb ihr, dass ich mich verspäten würde, und die Tochter schrieb zurück, dass sie sich noch an einem Fahrgeschäft befanden. So suchte ich unsere Tochter und ihre beste Freundin vergeblich, als ich die beiden abholen wollte. Unser Auto hatte ich auf dem Besucherparkplatz geparkt, ich wartete gegenüber dem Haupteingang, während die Blechlawine von Autos das Gelände verließ. Auto reihte sich an Auto, und es wäre kaum möglich gewesen, die Straße zu überqueren. Derweil erwarteten andere Besucher gegenüber den Shuttle-Bus, der auf sich warten ließ. Als dieser einfuhr, war es ein langer Gelenk-Bus, dessen Kapazität gar nicht ausreichte, alle Fahrgäste unterzubringen. So blieb eine Grundgesamtheit von Fahrgästen übrig, die sich weiter gedulden musste, nachdem der Shuttle-Bus weggefahren war. Die Autoschlange riss nicht ab, und in den zum Haupteingang zurück kehrenden Gesichtern suchte ich diejenigen unserer Tochter und ihrer besten Freundin. Als sich diese aus den Menschenscharen heraus schälten, suchten die beiden gegen den Verkehrsfluss die Straße zu überqueren, doch ein Ordner hielt sie davon ab. Eine Brücke führte über die Straße hinweg, was wesentlich geeigneter war zum Überqueren der Straße. Als ich die beiden erblickte, nahm ich sie in Empfang, geleitete sie zum Auto und wir fuhren nach Hause zurück.
23. Mai 2023
Es war ein schwerer Tag für unser Kätzchen Lilly, da der OP-Termin für die Kastration anstand. Der Termin war um 9 Uhr morgens, und weil ich mit dem Fahrrad ins Büro gefahren war, durfte meine Frau dies alleine mit unserer Katze bewältigen. Weil ich den Termin nicht genau auf diejenige Art und Weise mit der Tierärztin ausgemacht hatte, wie es abgesprochen war, gab es prompt Ärger. Wir hätten nämlich dann anrufen sollen, um den Termin zu machen, wenn unsere Katze rollig war. Ich hatte unabhängig davon den Termin gemacht, als zuletzt unser Kater Oskar bei der Tierärztin behandelt worden war. Nun war die Phase des Rollig-Seins vorbei, und dennoch passte der Zeitpunkt nicht so ganz. Dieser Zeitpunkt sei nicht schön zum Operieren, sagte die Tierärztin meiner Frau, wenn das Rollig-Sein kürzlich erst abgeklungen sei. Sie operierte dennoch, irgendwie funktionierte es auch ohne Gefahr für Leib und Leben unserer Katze, und fortan würde sie nicht mehr in der Lage sein, eigenen Nachwuchs auf die Welt zu bringen. Zu Hause schlief sie zunächst viel und sie musste sich schonen. Wegen der Wunde trug sie diesen Body, welche den Schnitt von der OP unter der Bauchdecke bedeckte. Diesen Body musste sie zehn Tage tragen, und nach diesem Zehn-Tages-Zeitraum sollte sie wieder so mobil sein, wie wir sie kannten. Heute jedenfalls hatte sie sich ein besonderes Fleckchen zum Ausruhen ausgesucht. Alleine im Home Office, war sie plötzlich weg, insbesondere war sie im Wohnzimmer an ihren gewohnten Stellen nicht auffindbar. Einmal rauf und runter suchte ich im ganzen Haus, schließlich wurde ich in unserem Schlafzimmer fündig: oben auf unserem Kleiderschrank hatte sie es sich auf einem Koffer gemütlich gemacht, sie schaute in das Schlafzimmer hinein, ihre wachen Augen waren weit geöffnet, von Anspannung oder gar Schmerz war in ihrem Gesicht nichts zu sehen. Es sah so aus, als hätte sie das schlimmste überstanden.
24. Mai 2023
Ab und an wurde am Arbeitsplatz der Begriff „holistisch“ erwähnt. „Holistisch“ im Sinne von ganzheitlich, als Konzept konstruiert. Bezogen auf den Arbeitsplatz, kann man das, was unser Chef für unser Team geschaffen hat auch als „holistisch“ auffassen. Die einzelnen Tätigkeiten ergeben ein Ganzes, sie ordnen sich einem Oberbegriff unter, welcher unsere Aufgabe als Team beschreibt, die wiederum aus ganz vielen Mosaiksteinchen besteht. So kann man von oben in ganz viele Details hinunter blicken, deduktiv und induktiv, das habe ich früher vor langen Urzeiten in der Schule gelernt. Verläßt man den Arbeitsplatz, so wird im Alltag die holistische Denkweise allzu sehr vom Klein-Klein des Alltagswahnsinns auseinander gerissen. Dinge, die Zeitaufwand rauben, aber nichts beitragen für etwas Ganzheitliches, Dissense, Bürokraten, die dazwischen hauen und die Dinge anders wollen als man selbst, Streit, Zank, irgend jemand schießt ständig quer. Bei anderen Dingen gelingt es dann doch, diese ganzheitlich zu gestalten. Bibliotheken sind ein solches Beispiel, wo die Bücher thematisch nach Ober- und Unterkategorien sortiert sind. Hätten wir mehr Zeit für unseren Garten, wäre dieser ein weiteres Beispiel dafür. Schaut man auf die Lebensleistung einiger Väter, könnte man den Bau eines Hauses für die Familie dazu zählen, wenn dieser Bau ganz viel Eigenleistung beinhaltet. Mir selbst hat es an dem nötigen Know-how dazu gefehlt, gleichwohl bin ich häufig auf der Suche nach ganzheitlichen Ansätzen. Um mir bewusst zu sein, wohin ich im Alltag schaue. Was mich antreibt und wofür ich meine Lebensenergie aufwende, was wichtige Fragen sind und was sich im Klein-Klein des Alltags verliert. Welche Konzepte ergeben im Leben Sinn, wer baut solche Hierarchien und an welcher Stelle in diesem Oberkonzept finde ich mich wieder. Hilfe suche ich gerne in Büchern – es mag aber auch andere kluge Menschen geben, die einem den Weg weisen können.
25. Mai 2023
Während der Schulzeit unserer Kinder haben wir wohl noch rosige Zeiten erlebt, als diese die OGS besucht haben. Vormittags ging unsere Tochter in die Grundschule, dort wurde auch zu Mittag gegessen, nachmittags hat sie die offene Ganztagesschule besucht, die sich positiv auf ihre Entwicklung ausgewirkt hat. Es wurden Hausaufgaben gemacht, die Kinder konnten miteinander spielen und darüber hinaus wurden ihnen weitere Lerninhalte vermittelt. Gegen 16 Uhr hatten wir unsere Tochter abgeholt oder sie kam eigenständig nach Hause. Diese Zeiten, an denen alles reibungslos geklappt hat, sind nun vorbei. An den Grundschulen in unserem Ort herrscht Personalmangel, um die Stellen für die OGS-Kräfte zu besetzen. An drei Standorten in unserer Stadt ist der Bedarf höher als die zur Verfügung stehenden OGS-Plätze, und dies in einer erheblichen Größenordnung. Das führt zu einer Verärgerung bei den abgewiesenen Eltern. Die Kinder kehren nun mittags von der Schule zurück, was vor allem eine mögliche Berufstätigkeit einschränkt. Die Zeiten sind nicht mehr planbar, ebenso der finanzielle Rahmen, wenn die Berufstätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Ist das ein Bezahlungsthema ? Nicht nur, ein Teil der Betreuungskräfte hat die Stelle gewechselt, es gibt wohl auch eine höhere Anzahl von Langzeitkranken. Während der Schulzeit unserer Tochter hatten wir den Eindruck, dass die Betreuungskräfte in der OGS ihren Job mit großem Engagement wahrgenommen haben. Bildung an für sich ist bereits ein hohes Gut, das durch eine Nachmittagsbetreuung aufgewertet werden könnte. Wechsel und Fluktuation lassen Betreuungskräfte knapp werden, es scheint auch an Initiativen der Schulen zu finden, Kräfte für die Ganztagesbetreuung zu finden. Arbeitszeiten von 12 bis 16 Uhr sind nicht unbedingt attraktiv, es sollte aber durchaus attraktiv sein und Spaß bereiten, mit Schulkindern Hausaufgaben zu machen, mit ihnen zu spielen und zum Lernen anzuleiten. Es sieht so aus, als würde es am guten Willen fehlen. Die rosigen Zeiten, wie wir sie mit unserer Tochter noch erlebt haben, sind anscheinend vorbei.
26. Mai 2023
Im März dieses Jahres konnte sich die Bevölkerung unserer Stadt darüber freuen, dass der Förderbescheid des Landes über 5,2 Millionen Euro für den Bau der Stadtbahn erging. Auf unserem Stadtgebiet sollte die Eisenbahntrasse genutzt werden, die als Industriebahn zu den Evonik-Werken führt. Neu gebaut werden sollen Streckenabschnitte im Norden unserer Stadt, ebenso hin zum Bonner Stadtgebiet. Zweifelsohne ist es ein wichtiges Projekt im Hinblick auf eine Verkehrswende, die Fahrzeit nach Köln soll sich dadurch auf eine halbe Stunde verkürzen. Das Problem – wie allgemein bei Verkehrsinfrastrukturprojekten – ist die Dauer. Einen Plan gibt es für die Streckenführung, Bürger sind zu beteiligen, offiziell muss das Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden, das sich mit Klagen von irgend welchen Anwohnern über Jahre hinweg ziehen kann. Und dann ist noch eine neue Rheinbrücke zu bauen. Die Stadtbahntrasse muss auf die linke Rheinseite, um dort an die Straßenbahngleise der Linie 16 angebunden zu werden. 2029 sollen die Straßenbahnen über die neue Stadtbahntrasse rollen, wobei sich vermuten läßt, dass sich der Bau mit diversen Umplanungen immer wieder verzögern wird, so wie etwa beim derzeitigen Bau der S-Bahn-Linie nach Bonn-Oberkassel. Momentan bin ich optimistisch, dass ich eine Fahrt in unserer Stadtbahn noch miterleben werde. Die Schwachstellen dürften aber zahlreich sein, dass irgend etwas bei der Ausführung quer liegt und sich in die Länge zieht.
27. Mai 2023
Häufig hatten wir die Abwesenheit der Eltern des einen WG-Bewohners beklagt. Sie hatten eine weitere behinderte Tochter, das war der offizielle Grund, dass sie durch Abwesenheit glänzten. Ab und zu fuhr er am Wochenende zu seinen Eltern, wobei er zu beachten hatte, dass sein Vater Busfahrer war, der demzufolge an manchen Wochenenden gar nicht zu Hause war. Wie dem auch sei: wir nahmen fast gar keine Notiz davon, dass sie sich um die Belange ihres Sohnes kümmerten, weder finanziell noch materiell. So begrüßten wir es an diesem Wochenende, dass sie gemeinsam mit uns grillen wollten, und ob wir dies im Haus der Dreier-WG tun könnten. Gerne sagten wir zu. Sie brachten ordentlich Würstchen, Fleisch und einen Reissalat mit, und er war ganz fix beim Beheizen unseres Holzkohlegrills, den er schnell mit Briketts und Holzkohle auf die erforderliche Temperatur brachte. Diesbezügliche Erfahrungen hatte er gesammelt, als er zeitweise in einem Wanderrestaurant in Birlinghoven sich am Grill betätigt hatte. Als wir später drinnen saßen, zeigte er stolz seine gebräunten Arme, die nach seiner Theorie auf das pralle Sonnenlicht während des Grillens zurückzuführen war. Zeitgleich ungefähr, als das gegrillte Fleisch plus Würstchen auf dem Tisch stand, trudelte der dritte WG-Bewohner mit seiner Freundin ein, so dass wir Tische umstellen und Stühle herbei schaffen mussten, was eine gewisse Herumschlepperei bedeutete. Meine Frau hatte auf eine größere Anzahl von Einzelgesprächen mit der Mutter und dem Vater gehofft, Gespräche, die sich etwas verloren in dem größeren Kreis der Anwesenden. Meine Frau versuchte bei der Mutter des einen WG-Bewohners zu platzieren, dass ihr Sohn einmal im Monat kegelte und dass die Eltern gerne mitkommen könnten. Als Antwort kam bei der Mutter allerdings lediglich heraus, sie hätte keinen Führerschein und somit Probleme, dorthin zu gelangen. Darüber hinaus diskutierten wir jede Menge Kleinkram. Tochter und Sohn hatten unterschiedliche Grade der Behinderung, 80% hatte die Tochter und 60% der Sohn. So besaß die Tochter ein Jahresticket für öffentliche Verkehrsmittel, das 95 Euro gekostet hatte. Dem Sohn stand ein solches Ticket nicht zu, so dass er Einzelfahrscheine kaufen musste, wenn er mit dem Bus zu seinen Eltern fuhr. Die Tochter ging nicht in die Behindertenwerkstatt, weil sie dort unterfordert wäre, darauf war sie getestet worden. Die Unterforderung war aber genauso beim Sohn mit den Tackernadeln der Fall, weswegen er nicht mehr in die Werkstatt ging und den ganzen Tag zu Hause war. Die Tochter absolvierte momentan in einer Waldorf-Schule ein Praktikum in der Küche, wo man mit ihr sehr zufrieden war. Wir redeten ebenso über die Freundin des Sohnes aus der Behindertenwerkstatt, die sehr hübsch war. Sie wohnte in einer Wohngemeinschaft in Troisdorf, vorher hatte sie in einer anderen Wohngemeinschaft in Eitorf gewohnt. Aus einer Beziehung hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht, weil sie gestalkt worden war. Zusätzlich war sie irgend wann auf der Toilette sexuell belästigt worden. Von den permanenten Geldsorgen des Sohnes wussten die Eltern entweder nichts oder sie nahmen diese zur Kenntnis, weil sie ohnehin nichts daran ändern konnten. Sie hatten Verwandte in Polen, zu denen sie in Urlaub fuhren. Für diesen Urlaub musste der Sohn 500 Euro zusammen kratzen. Wir erzählten, dass wir für die Karl-May-Festspiele in Elspe 48 Euro für den Sohn vorgestreckt hätten. Er sah sich derzeit nicht in der Lage, uns die 48 Euro zurück zu geben. Anstatt dessen erzählte der Vater, dass man in Polen gerne Rotwein trank, einen lieblichen, süffigen Rotwein. Aus ihrem Urlaub brachten sie dann mehrere Flaschen dieses Rotweins mit nach Hause. Irgend wann kamen wir auf meine Ohrverletzung zu sprechen, dass ich an dieser Stelle von unserer Katze zerkratzt worden war, wie verrückt hatte es danach geblutet. Daraufhin stellte der Sohn zynisch einen Zusammenhang zu einem Ohrring her. Ich bräuchte mich nicht mehr mit einer Pistole durchs Ohr schießen lassen, das Loch für einen Ohrring sei bereits vorhanden. Unsere neu dazu gestoßenes Pärchen kam ebenfalls zu Wort. Anfang Juni hatte dieser WG-Bewohner Geburtstag, und er wollte die Anwesenden gerne ins Eiscafé einladen. Wir redeten darüber, dass er viel rauchte. Seine Freundin meinte dazu, sie hätte früher ebenso geraucht, seit vielen Jahren war sie froh, dass sie nicht mehr rauchen würde. Sie erzählte davon, dass ihr Bruder Zahnarzt war. Er hatte seine Praxis in Frankfurt, und bei ihren Zahnarztbesuchen fuhr sie jedes Mal nach Frankfurt. Zuletzt war ihr sogar ein Zahn abgebrochen. Relativ plötzlich fuhren die Eltern des einen WG-Bewohners ab, dabei hörte ich heraus, dass seine Mutter mit Vornamen Monika hieß (der Vater hieß Peter). Am Vortag waren sie noch bei Verwandten in Bochum gewesen, wobei sie im Zusammenhang mit der Ruhrgebietsstadt den Klassenerhalt in der Bundesliga erwähnten. Nun fuhren sie weiter zur Oma des WG-Bewohners, der im Auto seiner Eltern mitfuhr. Vom Grillen übrig blieben ein paar Würstchen, einige Grillfackeln und etwas Bauchfleisch. Dieses verstauten wir im Kühlschrank, damit die WG-Bewohner es später aufessen konnten.
28. Mai 2023
In der 21. Kalenderwoche hatte unsere Tochter ihren letzten Schultag in der Realschule. Anfang Mai waren die zentralen Abschlussprüfungen geschrieben worden, ein bißchen Unterricht wurde in dieser Woche noch erteilt, am Freitag wurden die Vornoten und die Noten der zentralen Abschlussprüfungen bekannt gegeben. Mit dem Schlafanzug gingen die Schüler am letzten Schultag in die Schule. Deutsch und Englisch waren gut bis zufriedenstellend, Mathe war nicht so gut, mit Mathe stand unsere Tochter aber ohnehin auf Kriegsfuß. In der übernächsten Woche würde die Abschlussfeier statt finden, in der nächsten Woche musste unsere Tochter für einen Tag zu einer Generalprobe in die Schule. Meine Frau hatte in dieser Woche eine ungewöhnliche Begegnung in der Apotheke. In unserer Ortsmitte liegen ja zwei Apotheken direkt nebeneinander. Normalerweise gehen wir in die Apotheke direkt am Marktplatz, diesmal hatte ihr Chef meine Frau gebeten, in der benachbarten Apotheke gegenüber der Sparkasse ein Medikament zu besorgen. Dabei machte sie mit der Hand eine so unglückliche Bewegung, dass sie ein Regal auf der Ladentheke umschmiss. Das Regal mit lauter Tabletten landete auf dem Boden, und meine Frau und die Apothekerin hoben in mühsamer Kleinarbeit alles wieder auf. Ich selbst hatte in der anderen Apotheke am Marktplatz ein ganz anderes Erlebnis. Das Medikament zur Senkung der Cholesterinwerte war nämlich gar nicht lieferbar. Nichts war zu kriegen, in verschiedenen Dosierungen, bei verschiedenen Anbietern, auf verschiedenen Lieferplattformen. Das Medikament senkte den Gesamtcholesterinspiegel und bestand ursprünglich aus zwei Tabletten, die in einer Tablette zusammen geführt worden waren. Da nicht lieferbar, wechselte ich nun wieder auf die beiden Tabletten zurück. Kurioserweise waren die beiden Einzeltabletten einiges günstiger als die zusammengeführte eine Tablette. In dieser Woche hatte meine Frau den Friseur gewechselt, da ihr bei unserer Stamm-Friseurin die Haare zu sehr durcheinander geraten waren. Nach dem Friseurbesuch sah nicht nur die Frisur besser aus, sondern der Friseur war auch günstiger. In dieser Woche war mein Bruder in Urlaub gefahren, so dass ich bei unserer Mama nachfragen sollte, ob alles in Ordnung war. Es war alles in Ordnung, man konnte sie mit ihren 87 Jahren allein lassen, und sie fühlte sich gut versorgt. Einmal täglich kam der Pflegedienst vorbei, zusätzlich schaute einmal täglich jemand nach der Katze meines Bruders, und sie fühlte sich sogar sehr wohl, wenn mein Bruder eine Zeit lang nicht im Hause war. Am Samstag hatte ich eine ungewöhnliche Begegnung mit unserer Katze. Nach ihrer Kastration eingepackt in ihren Body, musste man sie an ihren höher positionierten Fressnapf stellen, damit sie fraß. Ich wollte dies tun, dabei hockte sie auf meiner linken Schulter. Nach vorne gebeugt, hing eine Kralle in meinem T-Shirt, wo ich diese Kralle nicht los bekam. Einige Male versuchte ich, die Kralle aus dem T-Shirt zu lösen, bis es mir gelang. Ich erwartete, dass sie auf den Fußboden zu ihrem Fressnapf springen sollte, doch es kam ganz anders. Sie sprang nämlich von der linken auf die rechte Schulter, wo sie nach einem Halt suchte. Diesen Halt fand sie, indem sie sich mit ihrer Kralle in meinem Ohr fest hakte, wo ich erneut Mühe hatte, mein Ohr von der Kralle zu befreien. Als mir dies endlich gelungen war, blutete mein Ohr wie verrückt. Das lag daran, dass ich als Medikament Blutverdünner einnahm. Ich stoppte die Blutung mit einem Blatt Küchenrolle, dann verbrachte ich eine kurze Zeit im Garten, danach ging ich ins Haus zurück, als meine Frau zurück kehrte. Mein Ohr Blut verschmiert erblickend, war sie entsetzt. In der Apotheke besorgte sie Wunddesinfektion und Pflaster, damit versorgte sie die Wund auf dem Ohrlappen und klebte die Ohrmuschel mit einem Pflaster zu. Wir beide waren erstaunt, was unsere Katze mit meinem Ohr angerichtet hatte. Zwei Tage lang hielt das Pflaster auf meinem Ohr, dann entfernt meine Frau dieses, die vielleicht einen halben Zentimeter lange Wunde sah verheilt aus und unsere Katze wartete derweil, dass sie nach zehn Tagen aus ihrem Body befreit werden würde.
29. Mai 2023
Als wir in Leverkusen-Opladen waren, hatte ich mich lobend über die dortige Kneipenszene geäußert und diese damit verglichen, dass man bei uns zu Hause ein ansprechendes Niveau von Kneipen kaum vorfindet. Heute haben wir, auf dem Weg zum Strandfest im Nachbarort, festgestellt, dass wir eine im Inneren sehr schöne Kneipe haben. Diese im Inneren sehr schöne Kneipe war die Strandbar, dessen Äußeres dadurch auffällt, dass die Tische und Stühle im Sand stehen. Mit dem Blick auf den Rhein assoziiert man diesen Ort mit Sonne, Strand, Urlaub, bei Niedrigwasser konnte man sogar auf dem Flussbett des Rheins sitzen. In der Nachmittagssonne wollten wir erst gar nicht draußen sitzen, so dass wir uns im Inneren Plätze suchten und dabei feststellen, dass das Lokal ein sehr gemütlicher Ort war. Irgend wie dachte ich an die Karibik oder vielleicht Kuba, die Wände waren in einem eierschalenen Weiß gehalten, die Ränder der Tische waren in einem türkis-blauen Farbton, was an Meer erinnerte, die Bodenfliesen waren in einem hell-beigen Farbton. An den Wänden fielen uns zwei Bilder von VW-Bussen auf, ein einzelner Bus hing auf einem Foto direkt uns gegenüber, mehrere nebeneinander geparkte VW-Busse in der Ecke uns schräg gegenüber. Die Begleitmusik war neutral und leise, weder deutsche Schlager noch etwas rockiges. Von unseren Plätzen konnten wir direkt auf den Rhein schauen, der still vor sich her floss, ab und an tuckerte ein Schiff vor sich her. Zwischendurch wirbelte der Lärm von Hubschraubern die Stille auf, weil sich auf dem Rhein ein tragisches Unglück ereignet hatte. Das frisch gezapfte Bier schmeckte hervorragend, und auch die Speisekarte war vielfältig und nicht zu teuer – unser Hunger war allerdings nicht so üppig, so dass wir eine Portion Fritten aßen. An diesem Pfingstmontag hatten wir Zeit mitgebracht, so dass wir an die zwei Stunden in dem Lokal verbrachten. Uns hatte es gut gefallen in dieser Kneipe im Nachbarort, die gar nicht so weit weg von uns zu Hause lag.
30. Mai 2023
Turm gesellt sich zu Turm, der eine aus der profanen Welt und der andere aus der göttlichen Welt, so habe ich es einst im Geschichtsunterricht gelernt. Der eine hoch in den Himmel hinaus, so dass man kaum noch hinauf schauen kann, und der andere ziemlich klein und bauklotzartig. Voller Demut duckt er sich und fühlt sich erniedrigt, könnte man meinen. Dabei waren die Verhältnisse über Jahrhunderte hinweg anders verteilt. In der Luftlinie liegt der Kölner Dom eine halbe Autostunde entfernt, auf Augenhöhe mit dem höheren Turm. Über Jahrhunderte hinweg waren Kathedralen wie der Kölner Dom das Maß aller Dinge, was den Kirchenbau betrifft. Sie ragten in die Höhe, nicht ganz so hoch wie Wolkenkratzer in unserer Gegenwart, welche die Dinge auf den Kopf stellten, seit sie in den 1920er Jahren in den USA erstmals gebaut wurden. Unter dem kleineren Turm der Kirche St. Winfried scharen sich Katholiken, die sich zum Gottesdienst versammeln, wenn dieser denn noch abgehalten wird. Die institutionelle Macht der Kirche ist stark zusammen geschrumpft, sie hat ihre Anziehungskraft verloren, die Gläubigen folgen ihr nicht mehr, sie glauben anderen Ismen, Propheten oder Vorbildern. Die Macht in unserer Gesellschaft besteht gerade noch darin, dass an kirchlichen Feiertagen nicht gearbeitet werden braucht, dass das Glockengeläut nicht verstummt ist, dass in den Schulen noch Religionsunterricht erteilt wird, dass bestimmte Pflegeheime von kirchlichen Trägern betrieben werden, ebenso bestimmte Kindergärten oder bestimmte Krankenhäuser. Der höhere Turm, der zum Posttower gehört, hat hingegen wirklich etwas mit Macht zu tun. Hier sitzen die Konzernlenker der Deutschen Post, sie bestimmen die Geschicke des Konzern, halten die Waagschale von Erfolg und Misserfolg in der Hand, an denen Milliardenbeträge hängen und die Interessen tausender von Aktionären. Der höhere Turm sticht den kleineren Turm aus, die Höhe ist ein Maß für die Bedeutung. Mit ihrer Höhe haben sie die gotischen Kathedralen abgelöst, was die Weltordnung komplett neu sortiert hat.
31. Mai 2023
So wie der Lieferant von Bofrost implementiert wird, hat er sich zu einem wahren Schreckgespenst entwickelt. Er schreckt uns auf, wir nehmen Reißaus, wenn wir ihn kommen sehen. Wir flüchten uns, wenn die Klingel geht. Denn der Fahrer hat kaum etwas im Angebot, was dem entspricht, was wir wollen. Als Kunde werden wir dermaßen umsorgt, dass wir uns dem Lieferanten von Bofrost kaum entziehen können. Tage und Wochen vorher wird der Fahrer angekündigt, in welchem Zeitfenster er denn ankommen wird. Dies geschieht sowohl über den telefonischen Kontaktkanal, indem wir angerufen werden und unsere Wünsche im Auswahlmenü hinterlegen können, und es geschieht per Postkarte. Niemals reagieren wir, und so steht dann der Fahrer von Bofrost vollkommen überraschend vor unserer Haustüre. Diesen müssen wir mehr oder weniger abweisen, denn Tiefkühlkost ist im Angesicht der Klimadebatte nicht mehr zeitgemäß, sie frißt zu viel Strom und läuft dem entgegen, das zu verbrauchen, was hierzulande frisch geerntet wird. Wenn denn den Fahrer von Bofrost unsere Rückantwort entgegen nimmt, dass wir nichts brauchen, dann gibt er sich unterwürfig. Der Kunde bedeutet ihm alles, auch derjenige, der nichts kauft – vielleicht beim nächsten Mal. Die paar Cent Provision mögen dann auch als Motivationstreiber wirken: er drückt uns diesen dicken Katalog in die Hand mit all diesen hübschen Speisen, für dessen Kühlung Bofrost ein eigenes Blockheizkraftwerk gebaut hat. Wir sagen nein danke, während Bofrost bei der Energie- und Klimakrise gut dabei ist.
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